„Warum willst du hier arbeiten?“ Mein Chef sieht mich streng an. Ich blicke an ihm vorbei und auf die Menschen hinter der Theke. Ich, damals keine 18, will Geld verdienen und frei sein. Wo, ist mir eigentlich egal. Bei ihm kann ich Milchschaum schlagen und irgendwie soll ich ihm begründen, warum ausgerechnet sein Café mein „place to be“ sein soll. Früh habe ich gelernt, wie wichtig die richtige Motivation bei Bewerbungen ist. Immer sollte dieses oder jenes Unternehmen genau das sein, auf das ich mein (bis dahin noch kurzes) Leben lang gewartet hatte und für das ich brennen würde. Ja klar, aber dafür muss ich doch erstmal anfangen.
Spaß vs. Gehalt
Google ich nach Stellenanzeigen, bekomme ich regelmäßig den Eindruck, ich hätte mich in der Rubrik vertan. Es ist, als bewerbe man sich nicht für einen Job, sondern für einen neuen Freundeskreis. Ein Callcenter sucht Mitarbeitende, die „Spaß an der telefonischen Beratung“ haben, ein kommerzieller WG-Anbieter sucht Hausmeister, die handwerklich begabt sind und „Spaß an solchen Aufgaben“ haben. Wer arbeiten will, muss neben Qualifikationen die richtige Portion Spaß mit zur Arbeit bringen – und erwartet das von sich vielleicht auch selbst.
Für Geld sollte man nur das tun, was man ohne Geld auch tun würde.
Für eine Studie haben das Jobportal Indeed und das Marktforschungsinstitut YouGov mehr als 2000 Arbeitnehmende in Deutschland befragt. Demnach sehen neun von zehn Arbeitnehmenden im Job Spaß an erster Stelle, noch vor dem Gehalt und Selbstverwirklichung. „Das Selbstverständnis von Arbeit hat sich verändert, heute wollen Menschen einen Job, der sie erfüllt“, sagt die Sozialwissenschaftlerin Annina Hering, die an der Studie mitgeschrieben hat.
Ronald Steiner
In meinem Freundeskreis haben die ersten ihren Vollzeitjob angetreten, andere wissen noch nicht so recht, wo es hingeht, aber alle fragen wir uns gegenseitig: Was möchtest du machen? Bist du glücklich? Wie wird es später, wenn wir zwanzig, dreißig Jahre in einem Job gearbeitet haben, um das große Wort Erfüllung bestellt sein?
Ein Beruf, der Halt gibt
Ronald Steiner hat sie gefunden, seine Erfüllung, und zwar im Yoga. Vor sieben Jahren hat der 43-Jährige sein Hobby zum Beruf gemacht. Der Mann mit der Glatze, vollem Kinnbart, stahlblauen Augen und sehnigem Körper ist in Deutschland einer der bekanntesten Vertreter des Ashtanga-Yoga, eine Yoga-Art, die an Akrobatik erinnert und mit jeder Menge Schweiß verbunden ist. Sein Studio ist hell und still, bunte Tücher hängen an der Wand, ein paar Paletten sind zu einer Art Altar aufgestellt. Darauf meditiert ein Abbild der hinduistischen Gottesfigur Shiva. Bis vor sieben Jahren war Steiner Arzt in Vollzeit. „Die klassische Medizin hat mir Spaß gemacht, aber Yoga war mir immer wichtiger“, so Steiner. Sein jetziger Beruf jetzt sei sein „Dharma“, sagt Steiner. Er hat eine extrem ruhige Art zu sprechen. Ich kann mir vorstellen, dass einige Menschen hier ihr „Dharma“ finden könnten, im Yoga oder auch im Sport generell. Nur die wenigsten können aber davon leben. „Dharma“ ist ein Ausdruck aus der indischen Philosophie, der so viel wie „Halt“ bedeutet. Jeder Mensch müsse für sich sein „Dharma“ finden, sagt Steiner, das könne theoretisch in jedem Beruf passieren. „Für Geld sollte man nur das tun, was man ohne Geld auch tun würde“, so seine Devise. „Wer in seinem Beruf sein ‚Dharma‘ nicht mehr finden kann, sollte besser den Job wechseln.“
Eine weitere Erkenntnis der Studie von Indeed und YouGov:
Über 70% der 18- bis 24-jährigen Befragten wollen sich
weiterbilden können, also neues Wissen und Qualifikationen
gewinnen.
Übergangsjobs als Kompromiss
Das klingt einfacher, als es ist. Gäbe es bestimmte Berufsgruppen einfach nicht mehr, wenn alle Unglücklichen sofort den Job wechseln würden? Nehmen wir die Pflege. Kaum eine Branche stand in den letzten Monaten so oft in den Schlag zeilen. Es gibt zu wenig Menschen, die Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger werden wollen, gleichzeitig ist der Bedarf riesig. Anne, 31, hat mehrere Jahre als Krankenpflegerin gearbeitet und möchte nun zur Goldschmiedin umsatteln. „Ich wollte damals Krankenpflegerin werden, um Menschen zu unterstützen. Aber dann wurde die Diskrepanz immer größer zwischen meinen Werten, wie ich Menschen pflegen möchte, und der Realität“, sagt sie. „Der Stress war extrem und bei einigen Kolleginnen und Kollegen fehlte auf die Dauer die Empathie zu den Behandelten.“
Im vergangenen halben Jahr wurden die hohe Arbeits-
belastung und die niedrigen Löhne im Pflegebereich
besonders deutlich – trotz „Systemrelevanz“.
In meinem Umfeld gibt es viele junge Berufseinsteigerinnen und -einsteiger, die erstmal einen Job angenommen haben, um überhaupt eine Arbeit zu haben und das als Kompromiss sehen. Larissa ist 24 und hat ihren Master in England gemacht. Ihren Traumjob sieht sie an der Uni. Um in der Zwischenzeit weiter in England bleiben zu können, arbeitet sie als Schuldeneintreiberin für ein Unternehmen und telefoniert acht Stunden täglich Leuten hinterher. Glücklich ist sie mit dem Job nicht, aber sie schätzt ihr Kollegium. „Ich versuche, mir in der Freizeit schöne Erlebnisse einzurichten“, sagt sie mir. Sie trifft sich mit Freunden, geht klettern, ins Theater, an die frische Luft. Eine Bekannte arbeitet bei einem großen deutschen Flugzeugbauer und möchte wechseln. In ihrer Stelle mit Routinearbeit sieht sie sich als Maschinenbauingenieurin eigentlich unterfordert. Sie sucht Herausforderungen, glaubt jedoch, dass der Job eine Tür in das Unternehmen aufstößt.
Sinnsuche als Privileg
Ich ertappe mich selbst dabei, wie ich Menschen frage, ob ihnen ihre Arbeit denn „Spaß“ mache. Oder ob sie nochmal wechseln wollten. „Den gesamten Sinn in der Arbeit zu suchen, ist ein Privileg und Luxus, den wir heute haben, weil Generationen vorher ihn erwirtschaftet haben“, sagt Falk Eckert, Arbeitssoziologe vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München. „Ein Großteil der Menschen weltweit hat dieses Privileg nicht.“ Auch in Deutschland gibt es mit Blick auf die Arbeit in verschiedenen Milieus unterschiedliche Werte. Für die Studie „Migranten als Journalisten“ wurden Oberstufenschülerinnen und -schüler über ihre Einstellungen zur Berufswahl gefragt. Das Ergebnis: Schülerinnen und Schüler mit sogenanntem Migrationshintergrund streben eher eine berufliche Zukunft an, die ein hohes Gehalt und gute Aufstiegschancen bietet. Je nach dem Verlauf des eigenen Lebens oder dessen der Eltern ist Sicherheit weiterhin ein Faktor für die Berufswahl.
Allerdings ist seit den 70er und 80er Jahren und im Zuge der „Individualisierung“ die Frage nach dem individuellen Sinn in der Arbeit wichtiger geworden. „Der einzelne Mensch beginnt, sein Leben entkoppelt von größeren Gruppen zu planen. Die Familie als Zentrum verliert an Bedeutung. Es liegt an uns, herauszufinden, was wir wollen und wie“, erklärt der Arbeitssoziologe. Die Verantwortung für den Erfolg und das Glück im Job liegen gleichzeitig zunehmend bei uns selbst. „Wir sind heute schon fast gezwungen, einen eigenen Weg zu finden. Und wer sich in seinem Job nicht wohlfühlt, sei selber schuld, signalisiert uns die Gesellschaft.“ Eine Freiheit, die uns ein Stück weit von uns selbst abhängig macht.
Georg Jitaru
60 Jahre Schuhe flicken
Georg Jitaru hat nie hinterfragt, ob er nicht auch etwas anderes hätte werden können. Er sitzt an seiner alteisernen Nähmaschine, tritt das Pedal und schießt die kleine Nadel durch das aschblaue Leder feiner Damenschuhe. Jitaru ist 87 Jahre alt und seit über 60 Jahren näht, flickt, repariert, klebt oder poliert er Schuhe. Wenn man ihn nach seinem Beruf fragt, lehnt er sich zurück, öffnet die Arme und weist auf die kleine Schusterei um ihn herum. Ein vollgestellter Raum mit hunderten Miniaturschuhen aus aller Welt in Regalen aufgereiht neben Lederrollen und Garn. Seine Frau Emilia sitzt auf einem Stuhl und blickt hoch auf den Fernseher, der von der Decke hängt. Jitaru sagt: „Ich liebe meinen Beruf.“ Und seine Frau kommentiert aus dem Hintergrund: „Es ist wie ein Hobby.“ Sie begleitet ihn jeden Tag, schaufelt nach Ladenschluss den Staub vom Lederschnitt aus der Fräsmaschine. Nachmittags kochen sie hier zusammen, essen, reden, arbeiten.
Aus dem Brennen für einen Beruf kann auch ein „Verbrennen“ werden mit Stress und Burn-Out.
„Am Wochenende sitze ich zu Hause und warte darauf, dass es Montag wird“, sagt der alte Schuster. Das Schönste sei der Blick des Kunden auf einen Schuh, den er geschustert hat. „Wenn der Kunde zu mir kommt und sagt: Ooh!“ Sein Beruf sei „golden“, sagt der 87-Jährige, der als Jugendlicher von seinem Vater das Handwerk in Rumänien lernte. „Ich wollte Lokführer werden. Dann hat mein Vater mich mitgenommen und gesagt: Das hier ist dein Beruf.“ Da war Jitaru 16. Er habe das Schustern ausprobiert und sei dabeigeblieben. Ob er glücklich ist? „Ich bin glücklich, wenn ich gesund bin“, sagt er und schnaubt. Er überlegt. „Jeder Beruf ist schön, wenn er mit Liebe gemacht wird.“ Jitaru kramt ein Foto aus einer Schublade. Es zeigt ihn mit einem noch älteren Mann in einer Schusterei. „Als ich ihn getroffen habe, war er hundert Jahre alt und hat noch Schuhe repariert.“ Auch Georg Jitaru möchte arbeiten, bis er hundert ist.
„Mach dein Hobby zum Beruf, dann musste du nie wieder arbeiten“,
heißt es in zahlreichen Influencer-Ratgebern. Aber kann man seine
Arbeit mit zu viel Leidenschaft ausüben?
Mehrere Arten von Freude
Auch das gibt es. Menschen, die ohne ihre Arbeit nicht komplett zu sein scheinen. Ich arbeite, also bin ich. „Die moderne Gesellschaft, wie wir sie in den westlichen Ländern kennen, ist eine Arbeitsgesellschaft“, sagt Arbeitssoziologe Eckert. „Arbeit ist ein zentraler Punkt für die soziale Position in unserer Gesellschaft. Arbeit bring uns Anerkennung, Wertschätzung. Es geht nicht ohne.“
Nur der Anspruch an das, was Arbeit für uns sein soll, habe sich in den letzten fünfzig Jahren verändert. „Viele klassische Arbeiter hatten gar nicht die Freiheit dazu, sich aktiv für einen Job zu entscheiden. Sie mussten arbeiten, um Geld zu verdienen.“ Aber auch da stellten sich Menschen die Frage nach Sinn und Nutzen ihrer Arbeit. „Es gibt den Arbeiterstolz, darauf, wie ein Zahnrad eine Funktion in einer Produktion zu haben. Freude an der Arbeit muss nicht heißen, jeden Tag mit Vorfreude in den Tag zu starten.“
Es mag nicht das beste Beispiel dafür sein, was gängig unter
„Work-Life-Balance“ verstanden wird. Georg Jitaru ist trotz-
dem glücklich damit, wie sein Leben und Arbeiten
ineinandergreifen.
Natürlich ist es am schönsten, wenn wir unsere Arbeit mit Leidenschaft verfolgen und wenn beide Seiten davon profitieren, also der Arbeitgeber, aber auch die Beschäftigten. „Problematisch ist es allerdings, wenn eine Überidentifikation mit Arbeit einhergeht“, so Eckert. Für seine Dissertation hat der Soziologe mit Softwareexperten in Start-ups gesprochen. „Gerade Berufseinsteigerinnen und -einsteiger waren viel eher bereit, mehr eigene Lebenszeit in die Arbeit zu investieren.“ Aus dem Brennen für einen Beruf könne auch ein „Verbrennen“ werden mit Stress und Burn-Out. Wer regelmäßig mit Magengrummeln in die Arbeit gehe, sollte über einen Wechsel nachdenken. „Wenn Beschäftigte für ihre Arbeit brennen, sind sie auch eher dazu bereit, Bedingungen auf sich zu nehmen, die echt nicht okay sind“, so Falk Eckert. Dazu zählen geringere Gehälter, befristete Beschäftigungen oder mehr als die vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten.
Selbst das Hobby als Beruf ist keine Garantie für Glück. „Warum konzentrieren wir uns so auf die Arbeit?“, überlegt Eckert. „Es gibt ja auch genug sinnvolle Tätigkeiten neben der Arbeit und ohne Geld.“ Gerade neue Arbeitsmodelle, wie eine 4-Tage-Woche oder reduzierte Stunden, könnten uns Zeit geben für mehr soziales Engagement oder für Tätigkeiten, „die auch mal völlig sinnfrei, aber einfach glückbringend sein können“.
Text und Foto von Lisa Pausch, 26, sieht sich als freiberufliche Journalistin in einem dieser Leidenschaft-Jobs.
Teaserbild: Paula Hohlfeld