Kolumne

Warum so viel
Wirbel um Weihnachten?

Seit Wochen schon geht es in Nachrichten über die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung nur um Weihnachten. Warum sehen wir es als selbstverständlich an, dass zu diesem Feiertag die Kontaktbeschränkungen gelockert werden, und zu keinem anderen?

30. January 2021 - 22:14
SPIESSER-Autorin Cherilia.
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Cherilia Offline
Beigetreten: 04.08.2012

Eine gefühlte Ewigkeit schon dreht sich in der Politik und in Gesprächen unter Bekannten alles  nur um Weihnachten. Nicht, dass das in Deutschland im Winter nicht ohnehin normal wäre. Selbst diejenigen, die kein Weihnachten feiern, können sich dem Thema meist nicht entziehen. Aber dieses Jahr kommt noch ein entscheidender Diskussionspunkt hinzu: nämlich wer sich wann, mit wem, wo treffen darf.

Weihnachten ist damit seit Wochen der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Corona-Politik. Schon im November hat Bundeskanzlerin Merkel an die Vernunft der deutschen Bevölkerung appelliert. Bis Weihnachten sollten die Kontakte möglichst reduziert werden, um die Beschränkungen dann lockern zu können. Das klang, als verspreche sie kleinen Kindern Süßigkeiten als Belohnung, wenn sie nur lang genug brav durchhielten. Und bei diesem Versprechen blieb es selbst bei immer weiter steigenden Infektionszahlen. Bis am vergangenen Sonntag endlich eine strengere Regelung durchgesetzt wurde, die auch zu Weihnachten nur Treffen im kleinen Kreis erlaubt.

Jetzt mahnt auch die Kanzlerin, trotz Weihnachten möglichst zu Hause zu bleiben. Dennoch hat sich eins nicht geändert: der Fokus auf den christlichen Feiertag, der für viele Menschen gar keine Bedeutung hat. Die Pandemie hat in diesem Jahr vieles sichtbar gemacht, das auch schon vorher in Deutschland schief lief. Soziale Ungleichheiten zum Beispiel, als es für diejenigen mit Haus und Garten deutlich einfacher war, zu Hause zu bleiben als für Familien in kleinsten Wohnungen. Oder Geschlechterungerechtigkeit, als es darum ging, wer die Betreuung der Kinder übernimmt, wenn diese nicht in Kindergarten und Schule können. Das alles sind Symptome größerer gesellschaftlicher Probleme.

So auch der politische Fokus auf Weihnachten, der uns einmal mehr zeigt, welche Stimmen in Deutschland gehört werden – und welche nicht. Obwohl die Infektionszahlen weiter steigen, scheint es selbstverständlich, dass zu diesem Feiertag Lockerungen ein Muss sind. Über die Feiertage anderer Religionen wie zum Beispiel des Islams oder Judentums, wird kein Wort verloren. Obwohl diese auch viele Menschen in Deutschland betreffen.

Natürlich kommen auch viele Familien an Weihnachten zusammen, die nicht die Geburt Jesu feiern. Sie nutzen einfach den scheinbar unumstößlichen Fakt, dass diese Tage gesetzliche Feiertage sind und sie mitunter nicht arbeiten müssen. Aber auch daran wird deutlich, wie tief verankert christliche Werte in unserer Gesellschaft sind, die nicht hinterfragt werden. Ebenso wie an der Tatsache, dass die Lockerungen der Kontaktbeschränkungen an den Weihnachtsfeiertagen nur für den engen Familienkreis gelten, womit hauptsächlich Blutsverwandte gemeint sind. Auch das ist ein christlicher Wert, den wir selten hinterfragen: dass Blut dicker als Wasser ist. Warum sollte ich an den Feiertagen nicht auch einfach mit meiner besten Freundin zusammenkommen?

Generell scheint der Blick auf Weihnachten bei vielen die Auswirkungen ausschweifender Verwandtenbesuche zu verklären. Für viele scheinen überfüllte Intensivstationen im Januar ein legitimer Preis zu sein – oder sie denken nicht darüber nach, weil man „zu Weihnachten schon mal eine Ausnahme machen kann“. Das Virus macht aber keine Pause nur aufgrund eines Datums, dem wir als Menschen so viel Bedeutung zuschreiben. Was würde dagegensprechen, Weihnachten dieses Jahr einfach zu verschieben?

Bei dieser Frage spielen natürlich auch viele strukturelle Faktoren eine Rolle, an die wir uns gewöhnt haben. Das Weihnachtsgeld zum Beispiel, das unbedingt im Dezember ausgeschüttet werden muss und nicht verteilt auf das ganze Jahr. Die vielen kleinen Geschäfte, die vor allem dieses Jahr auf diese Zeit zählen, um weiterhin wirtschaftlich zu überleben. Es ist wichtig, sich diese Faktoren und ihren Ursprung bewusst zu machen. Nicht nur, um zu hinterfragen, warum es für uns so selbstverständlich ist, zu Weihnachten Menschenleben aufs Spiel zu setzen. Sondern auch, um uns unserer eigenen Privilegien als (wenn auch nur kulturell) christliche Menschen bewusst zu werden. Um sichtbar zu machen, was oft unsichtbar bleibt, aber eigentlich viele Menschen diskriminiert.

Text von Pierre Hofmann
Fotos: Photo by Volodymyr Hryshchenko on Unsplash

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