Die maximale Lebensdauer meiner Jeanshosen beträgt zwei Jahre. Das sind 2,5 Prozent meiner durchschnittlichen Lebenserwartung von 80 Jahren. Angenommen ich konsumiere in der zweijährigen Lebensperiode meiner Jeans drei Stück ihrer Sorte – ich will schließlich nicht jeden Tag dieselbe tragen – dann gehen 120 Jeans in meinem Leben drauf. Die hundertfünfzig Strampler, Latzhosen und Röcke, die ich als kleiner Fratz trug, lasse ich hier mal außen vor. Immerhin hatte ich damals noch kein Entscheidungsrecht, wenn es darum ging mich einzukleiden. Das Schlimmste an dieser Zahl ist: zu diesen 120 Jeans gesellen sich gefühlt 1000 andere Kleidungsstücke, darunter Fehlkäufe, Eintagsfliegen und absolute Lieblingsteile. Meine Kleidung, mein Glück – ich bin wohl eine Egoistin.
Dabei könnte ich bereits jetzt anfangen, Kleidung für meine Urenkel zu sammeln. Entgegen dem Trend einer minimalistischen Lebensweise würde ich die Mode von heute einfach bunkern. Schließlich kommt bekanntlich jeder Modetrend wieder. In alten Fotoalben meiner Familie entdeckte ich bereits Latzhosen, Sneaker und Schluppenblusen (allein der Name klingt nach 1899). Warum sollen meine Kindeskinder also nicht total begeistert von Cropped Tops und Co sein? Indem ich also heute in qualitativ hochwertige und gleichzeitig total angesagte Kleidung investiere, erspare ich meinen zukünftigen Verwandten den Aufwand zu shoppen. Das ist Nachhaltigkeit wie aus dem Bilderbuch. Einen Haken hat die ganze Sache jedoch – ich projiziere die Verantwortung weg von mir, hin zur übernächsten Generation. Wieder taucht sie auf, die Egoistin.
Eine Lösung muss her: Mode aus zweiter Hand, oder auch Second Hand Kleidung! Der Trend wurde lange Zeit denjenigen zugeschoben, die sich sonst nichts leisten konnten. Heute kleiden sich von Schülerinnen und Schülern bis hin zu Universitätsprofessorinnen und -professoren immer mehr Menschen mit schon einmal Getragenem. Ganze Events werden veranstaltet, um in leerstehenden Fabrikhallen Röcke, Hemden und anderes Gebrauchtes zum Kilopreis zu verhökern. Der gesunde Menschenverstand darf sich ruhig fragen, inwiefern der Kommerz nicht mehr von dem Trend profitiert als unsere Erde in 50 Jahren. Denn anstatt meine Konsumgier zu stoppen, um letztlich global weniger zu produzieren, werde ich angestiftet immer mehr zu kaufen – schließlich ist es ja „nur“ gebraucht. Da spielt es keine Rolle, ob ich schon von Anfang an weiß, dass ich das Second Hand Kleid nur morgen Abend zum Essen anziehe. Und dann?
Gehen Mode und Nachhaltigkeit folglich einfach getrennte Wege? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Neuer Vorschlag, etwas präziser: Second Hand im Privaten. Die Kommerzialisierungskomponente fällt hierbei weg. Ich bringe in Zukunft einfach zu jedem Treffen mit Freunden ein entbehrliches Kleidungsstück mit und tausche es gegen ein anderes meiner Freunde. Kleidertauschpartys werden immer populärer, um dem langweiligen Sleepover mit Filmen, Chips und Lästergeschichten Paroli zu bieten. Oder ich erspare der Umwelt den Weg einer Internetbestellung, indem ich den Kleiderschrank meiner Schwester nach Verwertbarem durchstöbere. Immerhin kann ich so im Hier und Jetzt ein Stückchen Verantwortung tragen. Eine Weltenretterin bin ich zwar nicht, kann ich nicht sein. Vielleicht überlebt die Erde trotzdem einen Bruchteil einer Sekunde länger, wenn ich die Lebensdauer meiner Jeans verdoppele und sie gegen eine andere tausche. Das macht mich immerhin zur Teilzeit-Egoistin.
Text: Katharina Petry
Teaserbild: Lena Schulze
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