Wird's schlimmer?“ fragte sich schon mein Lieblingsdresdner, Erich Kästner. Gut, bei dem Blödsinn, der sich derzeit in Dresden formiert, PEGIDA nennt, ganz scheinheilig jeden Montagabend „spazieren“ geht, und sich wie ein lästiger Grippevirus ausbreitet, würden sich dem guten Herrn Kästner zwar die Fußnägel hochrollen, aber seine Fragerei ist dann doch eher genereller Natur.
07. January 2015 - 13:22 SPIESSER-Autorin Individuot.
Während sich Lutz Bachmann, Initiator der PEGIDA, vermutlich weitere folgsame Schäfchen unter seinen Weihnachtsbaum wünscht, könnte einer seiner Vorsätze sein, diese Schäfchen noch möglichst lange an ihrer ängstlichen und naiven Nase herumzuführen, immer schön im Kreis auf der Suche nach dem nicht vorhandenen, einen, schwarzen Schaf. Aber auch wir, die wir keine dubiosen „Bürgerinitiativen“ in die Welt gerufen haben, lassen zum Jahresumschwung gerne mal das Jahr Revue passieren und machen uns automatisch Gedanken über das Kommende.
Seltsamerweise sind also Silvester und Neujahr, die meistens groß, laut und bunt gefeiert werden, Momente der Gegenwartslosigkeit. In diesen Übergangsmomenten verfällt man plötzlich in Nostalgie oder brennt darauf, irgendetwas zu planen. Dass das Schwärmen von der guten, alten Zeit auch schief gehen kann, wenn man dabei die Augen vor der Realität verschließt, können wir derzeit mehr als deutlich beobachten: Plötzlich fühlt man sich wohl in der Schafherde, sieht schwarze Schafe, wo überhaupt keine sind, und würde am liebsten einen schützenden Zaun hochziehen.
Generell ist Nostalgie aber nichts Schlimmes – gemeinsam von alten Zeiten zu schwärmen, ist ein wundervolles Eintauchen in gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen. Beim Blick in die Zukunft wird in diesem Zusammenhang oftmals auf die Tradition der Neujahrsvorsätze zurückgegriffen. Man hofft, wünscht und legt sich etwas auf – so als Versprechen für sich selbst. Wobei ich ja froh wäre, wenn alle ihre groß angelegten Ziele schön für sich behalten würden. Denn irgendwie glauben ja alle, nur weil sie sich irgendwas ganz Dolles (Abnehmen, gesünder ernähren, mit diversen Lastern aufhören) vornehmen, wäre das schon Grund genug zu prahlen.
Vorsätze, insbesondere laut und breit vorgetragene Vorsätze, finde ich ja ziemlich albern. Gut, Erich Kästner schrieb auch mal: „Jeder Mensch ist anders albern“, aber irgendwie nehmen sich doch alle immer das Gleiche vor. Ist doch öde! Also seid mal ein bisschen kreativ mit dem, was ihr euch vornehmt – rank und schlank und schrecklich gesund werdet ihr eh nicht mehr. Wäre schließlich auch zu langweilig. Aber wie wäre es mit folgenden Vorsätzen: Jeden Tag mindestens ein Mal in den Himmel schauen. Jeden Tag einem fremden Menschen in die Augen sehen. Jeden Tag sich selbst in die Augen sehen. Beim Anblick von etwas Schönem jedes Mal inne halten. Einander umarmen so oft es geht. Mal wieder etwas selbst machen. Eine schön hitzige Diskussion führen. Sich selbst hinterfragen.
Mit diesen Vorsätzen wäre immerhin die kollektive Suche von Bachmanns Schäfchen nach dem schwarzen Schaf ziemlich fix vorbei und Erich Kästner, der Ärmste, müsste in seinem Grab nicht mehr wie verrückt rotieren.
Text: Polina Boyko
Teaserbild: Anja Nier
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