Laut einer Umfrage ist ein Großteil der Deutschen weltoffen, fühlt sich aber durch Muslime fremd im eigenen Land. SPIESSER-Autorin Polina fragt sich, wie das zusammenpasst. Und stellt die alles entscheidende Frage: Hääää?
04. March 2015 - 18:15 SPIESSER-Autorin Individuot.
Eine meiner besten Freundinnen am Gymnasium hieß Sevda. Eine Ecke in der Schulmensa wurde liebevoll „Klein-Istanbul“ genannt. Eines meiner Lieblingsgerichte ist Plov – ein usbekisches Reisgericht mit Möhren, Kichererbsen und viel Koriander. Ich habe drei Jahre lang in einem libanesischen Restaurant gekellnert und dabei nicht nur gelernt, wie man türkischen Mokka kocht, sondern auch, was Ramadan ist. Ja, ich bin nicht in einem kleinen, abgeschotteten Ort aufgewachsen, sondern in einer Großstadt mitten im Ruhrpott. Und ich war selten so froh darüber, wie in den letzten Wochen.
Vor Kurzem quatschte die Bertelsmann-Stiftung mit 937 nichtmuslimischen Deutschen. Was dabei herauskam, lässt mir die Haare zu Berge stehen: 57 Prozent der Befragten empfinden den Islam als eine Bedrohung. Bumm. 40 Prozent fühlen sich wegen der Muslime wie Fremde im eigenen Land. Babumm. 24 Prozent finden, man solle Muslimen die Zuwanderung entsagen. Babababumm! Das fast lächerlich Absurde dabei ist, dass gleichzeitig 85 Prozent behaupten, sie stünden anderen Religionen sehr tolerant gegenüber. Und ein Pferd springt höher, wenn der Schmetterling schon gefrühstückt hat, hääää?
Ich werde bei meinem Philosophiestudium oft gefragt, was man denn da lerne und vor allem, was es bringe. Nun, Freunde, ich lerne beispielsweise Logik. Ich lerne, was inhaltliche und formale Widersprüche sind. Und das schon im ersten Semester! Offensichtlich übersteigen die Ansprüche des ersten Semesters Philosophie auch das Verständnis des Großteils der Befragten. Aber zu erkennen, dass es Blödsinn ist, zu behaupten, man sei anderen Religionen gegenüber tolerant, und gleichzeitig anzugeben, man empfinde eine davon als Bedrohung, ist doch wirklich keine sonderliche Leistung.
Das Phänomen der inhaltlichen Widersprüche begegnet uns in den letzten Wochen und Monaten auch verstärkt bei den passionierten Spaziergängern a.k.a. Pegida. Auch hier heißt es in einem Atemzug, man hätte nichts gegen Ausländer, aber gegen Muslime und den Islam halt schon irgendwie.
So langsam flaut der Spuk Pegida zum Glück wieder ab. Die Spitze um Bachmann, Oertel und Co zerbröselt und Pegida scheint genau das zu widerfahren, was viele prophezeit haben: sie scheitert. Aber auch wenn es Spaß macht, sich in aller Hab-Ich's-Doch-Gewusst-Manier ins Fäustchen zu lachen, darf man nicht vergessen: Der sich herauskristallisierte rechte Bodensatz Pegidas hat es geschafft, tausende Menschen für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Bei dem Gedanken läuft's mir kalt den Rücken runter.
Gleichzeitig bin ich froh. Froh, dass ich niemals so denken könnte. Dass die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, mich davor bewahrt hat, dieses Ausmaß an Intoleranz und Widersprüchlichkeit überhaupt entwickeln zu können. Und natürlich schockieren auch mich die Taten des IS oder der Anschlag auf „Charlie Hebdo“, aber es würde mir niemals in den Sinn kommen, Menschen damit zu verbinden, mit denen ich in der fünften Klasse Diddl-Blätter getauscht und von denen ich bei Klassenarbeiten abgeschrieben habe – auch wenn sie heute Vollbart tragen.
Text: Polina Boyko Foto-Collage: Anja Nier
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