Nicht vor meiner Haustür! Bloggerin Annemarie hat sich auf Spurensuche begeben: Warum protestieren Bürger gegen Maßnahmen für erneuerbare Energien? Ist es purer Egoismus – oder steckt mehr dahinter?
04. February 2013 - 12:11 von SPIESSER-Redakteurin Annemarie Walter.
„Alt wie ein Baum..." ist der Streit um die Trasse durch den Thüringer Wald.
Sieben Jahre. So lange schon versucht der Netzbetreiber „50 Hertz“ eine 380-kV-Leitung zwischen Halle und Schweinfurt zu bauen, um Strom vom Norden in den Süden zu transportieren; von Kohlekraftwerken, aber vor allem von Windkraftanlagen. Genauso lange kämpfen die ansässigen Bürger gegen diese Trasse, die mitten durch den Thüringer Wald führen soll.
Was der Betreiber will
Lange vor dem Atom-Moratorium war es, als „50 Hertz“ Strom vom Norden in den Süden Deutschlands transportieren wollte. Dadurch hätte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: eine kurze, direkte Leitungs-Verbindung zwischen Nord und Süd zu schaffen und das Pumpspeicherwerk Goldisthal an den internationalen Stromhandel anzuschließen. Doch, wie so oft bei großen Bauvorhaben, waren die Bürger nicht einverstanden.
Warum die Bürger dagegen sind
Rund um diesen Abschnitt formierten sich 13 Bürgerinitiativen, die sich schließlich zur Interessengemeinschaft „Achtung Hochspannung“ zusammenschlossen. Ihr Ziel: den Bau der Trasse verhindern. Augenmerk sind der Thüringer Wald und die darinliegenden Landschafts- und Naturschutzgebiete, durch die eben jene Leitung führen würde.
Auch wenn hier wieder einmal eine Minderheit gegen eine Mehrheit kämpft, vom „Nicht-vor-meiner-Haustür"-Egoismus kann keine Rede sein. Stattdessen stellt sich die Frage: Was hat Vorrang? Naturschutz – und damit die Umwelt – oder Energieversorgung – und damit die Gesellschaft? Was können und wollen wir uns eher leisten? Mehr Umweltbewusstsein oder weniger Komfort? Denn es ist klar, dass die Netzlast auf Dauer zu groß wird für die bestehenden Netze. Würde alles beim Alten bleiben, wäre der Natur geholfen und damit sicher in gewisser Weise auch den nachfolgenden Generationen; eine wirkliche Lösung jedoch wäre es nicht.
Die Initiative gab eine Studie in Auftrag, die die Notwendigkeit der Trasse prüfen sollte. Ergebnis: Die Neubeseilung bestehender Leitungen mit Hochtemperaturseilen wäre ausreichend und würde im Vergleich zum Neubau ein Viertel der Kosten verursachen. Dadurch würde auch dem Erneuerbare-Energien-Gesetz Folge geleistet, dass „Netzoptimierung vor Netzverstärkung vor Netzneubau“ vorsieht. Das Pumpspeicherwerk würde nicht angeschlossen werden.
Soweit die Theorie. Aber wie sieht es jetzt in Thüringen aus?
Was aktuell passiert
Ausbauen? Neu bauen? Auch nach sechs Jahren ist nichts entschieden.
Vor vier Jahren trat das „Energieleitungsausbaugesetz“ in Kraft, das den Bau notwendiger Trassen erleichtern soll. Darunter fällt auch die Trasse durch den Thüringer Wald.
Ende Januar 2012 wurde vom Thüringer Landesverwaltungsamt die Baugenehmigung erteilt. Zwei Monate später hat die Interessengemeinschaft beim Bundesverwaltungsamt einen Eilantrag zum Baustopp eingereicht – der jedoch abgelehnt wurde. Aktuell läuft noch eine Klage gegen die Baugenehmigung des Thüringer Landesverwaltungsamtes. Eine Entscheidung dazu soll es dieses Jahr geben. Unterdessen baut „50 Hertz“ die ersten Strommasten.
Was denkt ihr: Ist der Protest der Bürger berechtigt oder verzögern beziehungsweise verhindern sie eine wichtige Leitungsverbindung?
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