Setzen wir uns mal in eine Zeitmaschine und machen eine Reise ins Jahr 2022. Wir stellen fest, dass Deutschland keine Atomkraftwerke mehr betreibt und regenerative Energien zur Hauptenergiequelle geworden sind. Die Bundesrepublik hat sich energiepolitisch enorm entwickelt. Die Atomkatastrophe in Fukushima von 2011 hat nun auch dem Letzten die Augen geöffnet. Welch wunderbare Traumwelt: Weitestgehend sauberer Strom und ein sorgenfreies Leben. Wir müssen eigentlich keine Angst mehr vor einer eventuellen Atomkatastrophe haben – wären da nicht noch unsere Nachbarländer...
In der Nähe der deutsch-französischen Grenze befinden sich die Atomkraftwerke Cattenom und Fessenheim, gegen die deutsche Grenzbewohner schon seit Jahren demonstrieren. Eine sehr verständliche Aktion, finde ich. Wenn mein Nachbar in seinem Garten mit brennenden Ästen um sich werfen würde, wäre ich auch nicht sonderlich begeistert. Nur wäre ein Super-GAU á la Fukushima für Frankreich etwas teurer als das wahrscheinliche Malheure durch die brennenden Äste in meinem Garten. Laut Untersuchungen des französischen Instituts für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit koste solch eine Katastrophe 430 Milliarden Euro. Zudem müssten rund 100.000 Personen aus Frankreich und dessen Nachbarländern ihre Heimat verlassen und umsiedeln. Aber auch Frankreich zeigte sich inzwischen einsichtig und möchte bis 2025 „nur“ noch die Hälfte des produzierten Stroms aus Kernenergie gewinnen. Besser als nichts, denn derzeit beträgt der Anteil atomarer Energie dort stolze 75 Prozent.
Als wären die hohen Kosten im Falle einer Atomkatastrophe noch nicht schlimm genug, schadet ein Unfall in einem Atomkraftwerk natürlich auch der Umwelt erheblich. In Fukushima laufen täglich circa 300 Liter radioaktiv verseuchtes Wasser in den Pazifik, weil einer der Reaktoren ein Leck in der Größe eines Fußes hat. Nun kann sich die Westküste der USA über radioaktive Wellen freuen. Wie verheerend die Auswirkungen auf die Umwelt international sein können, zeigt Tschernobyl. Es ist nun schon über ein Vierteljahrhundert her, dass es dort zum Super-GAU – dem Größter Anzunehmender Unfall – kam. Das ganze Gebiet in einem Umkreis von 30 Kilometern ums Atomkraftwerk Tschernobyl ist noch immer aufgrund hoher Strahlungswerte evakuiert und für Menschen unbewohnbar. Blöderweise stoppt Strahlung auch nicht an Landesgrenzen. So kommt es, dass in Süd-England noch immer manche Viehweiden gesperrt sind, in Finnland Wildbeeren sowie in Deutschland Wildfleisch unter der Strahlung leiden und die finnische Fischzucht beschränkt ist.
Selbst wenn sich Deutschland energiepolitisch weiterentwickelt und sämtliche Atomkraftwerke bis 2022 abschaltet: Sollte es in einem unserer Nachbarländer zu einer Nuklearkatastrophe kommen, werden wir es auch zu spüren kriegen. Deutschland nimmt zwar eine Vorbildfunktion ein, dennoch müssen auch unsere Nachbarn in absehbarer Zeit nachziehen. Immerhin verpesten sie im Falle einer Katastrophe nicht nur ihren Grund und Boden. Gerade weil es Auswirkungen auf umliegende Staaten gibt, sollten doch alle Beteiligten mitentscheiden können. Aber auch, wenn alle Länder der Welt plötzlich in einer utopischen, kernenergiefreien Welt leben, stellt sich die Frage: Wohin mit dem Atommüll? Weltweit existiert kein Atommüllendlager für die gefährlichen hochradioaktiven Stoffe – auch nicht im fortschrittlichen Deutschland. Bislang können nur schwach- oder mittelradioaktive Abfälle für immer eingelagert werden.
Inzwischen hat sich auch die Europäische Union (EU) eingeschaltet und beschlossen, dass die EU-Staaten bis 2015 ein geeignetes Endlager für ihren Atommüll gefunden haben müssen. Auch ein gemeinsames Endlager soll möglich sein – vielleicht beschleunigt dies die schneckenschnelle Suche endlich. Ich finde es sollte erst mal ein geeignetes Endlager gefunden werden, bevor man – wenn auch mit gutem Willen – alle Atomkraftwerke abschaltet. Ich schicke ja auch kein Flugzeug in die Luft und stelle dann schockiert fest, dass es nirgends einen Landeplatz gibt.
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