Liebesschlösser bringen nicht nur Brücken zum Einstürzen, sondern sorgen bei SPIESSER-Autorin Polina auch für dezenten Brechreiz. Vor allem, weil sie so nach passiv aggressivem Heile-Welt-Getue stinken.
03. June 2015 - 11:57 SPIESSER-Autorin Individuot.
Blumen lassen euren ökobewussten Partner nach dem letzten Knatsch kalt? Und auch sexy Unterwäsche zieht nicht mehr? Dann schnell handeln und zusammen auf der nächstbesten Brücke ein 08/15- Vorhängeschloss anschließen – danach ist bestimmt alles wieder gut! Achso, für die perfekte Versöhnung dürft ihr das komplette Social-Media-Programm natürlich nicht vergessen: Also das Ganze posten, twittern und instagramen, damit auch jeder mitkriegt, wie happy ihr doch seid. Die mit Edding auf das Schloss gekritzelten Initialen und das Additionszeichen dazwischen dürfen natürlich auch nicht fehlen. Das muss echte Liebe sein. Echt.
Die Liebesschlösser – allein, dass sie schon einen eigenen Begriff haben, ist zum Schreien – die Pärchen seit einigen Jahren auf diversen Brücken der Welt, allen voran der Pont-des-Arts in der Metropole der Liiiiebe, verteilen, sind also das neue Must-have für jede Beziehung und natürlich jeden Instagram-Account. Dann noch der Weichzeichnen- und Sonnenuntergangs-Filter drüber gesülzt – schon ist die Romantik perfekt!
Auch wenn der Haussegen mal mächtig schief hängt, wird das romantische Getue volle Möhre durchgezogen. Immer mehr Beziehungen scheinen nach dem Motto zu funktionieren: „Schatz, ich könnt' dir zwar grad den Schädel abreißen, aber lass mal 'n Knutsch-Selfie machen, damit das keiner mitkriegt. “ Jo, gute Tarnung. Ganz ehrlich, bei allen zwischen den Zähnen herausgepressten „Jaa, alles voooll schööön grad bei uns“, ist das Liebesschloss – oh Mann, dieses Wort ey … – der wohl größte Beweis dafür, dass die Kacke mächtig am Dampfen ist.
Aber Leute, keiner erwartet von euch, dass eure Beziehung auf Wolke sieben festgefahren ist. Und ganz ehrlich, das Gras in anderen Beziehungen ist auch nicht grüner: Die anderen „Schatzis“ brauchen ebenfalls eine Ewigkeit im Bad und die anderen „Hasis“ dieser Welt bringen genauso selten den Müll runter. Es lohnt sich also nicht, denen alles nachzumachen. Eure Liebe zueinander wird durch gefakte Social-Media-Romantik außerdem nicht echter. Und eigentlich wissen auch so alle, dass über eurem Beziehungsleben – Gott sei Dank! – nicht permanent der Sepiafilter liegt, sondern auch mal die Fetzen fliegen. Dass ein Teil der Pont-des-Arts 2014 unter den Inhaftierungs-Werkzeugen eurer Liebe eingebrochen ist, sollte doch Zeichen genug sein, diesen Trend der Liebesschlösser – und die Existenz dieses Wortes – endlich wieder sein zu lassen und zum echten, langweiligen, wunderschönen Beziehungsleben zurückzukehren.
Text: Polina Boyko
Collage: Anja Nier
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