Stressresistenz macht einen evolutionären Vorteil aus. Das müssen wir nutzen – jetzt wo das Leben immer schneller wird. Sich regelmäßig Horrorstreifen reinzuziehen ist schon mal ein guter Ansatz. SPIESSER-Autorin Polina meint, dass wir mit Angst noch viel mehr bewirken können.
30. October 2015 - 13:29 SPIESSER-Autorin Individuot.
Adrenalin schießt ins Blut, das Herz schlägt schneller, das „Fell“ stellt sich auf – so reagiert der Körper auf Stresssituationen – auf Angst. Diese wegstecken zu können, Stresstoleranz und -resistenz zu entwickeln, stellt einen evolutionären Vorteil dar und ist ein Zeichen für schnellere und bessere Anpassungsfähigkeit. Menschen, die in stressigen Zeiten einen kühlen Kopf bewahren, können in kürzerer Zeit mehr erledigen als andere. Das lässt sich doch sicher gezielt fördern und quasi anerziehen.
Ein Ansatzpunkt, der schon mal in die richtige Richtung geht, wären Horrorstreifen und Thriller, die manche von uns so gerne gucken. Schön blutig, spannend und mit vielen Schreckmomenten. Meine Theorie: Weil – wie wir so oft zu hören kriegen – das Leben immer schneller wird, wir uns parallel auf immer mehr verschiedene Dinge konzentrieren müssen und eine Lücke im Lebenslauf jedes Mal eine Panikattacke auslöst, brauchen wir diese mehr schlechten als rechten Horrorstreifen. Denn, wie gesagt, indem wir sie gucken, trainieren wir unser Durchhaltevermögen im Umgang mit permanentem Smartphone-Gepiepe, durchgetakteten Stundenplänen und Hobbyarmeen, die uns auch noch die allerletzte Verschnaufpause rauben.
Nun müssen wir nur dieses Schreck-Training effektiv umfunktionieren und auf alle Lebensbereiche ausdehnen. Wie bei allem anderen gilt auch bei der Stressresistenz: Übung macht den Meister. Und weil man jung am besten lernt, müssen wir zeitig anfangen. Nix mit „Mama, ich hab Angst im Dunkeln ...mimimi...“ nenene, zack! Licht aus! Und auch nix mit „Die Achterbahn ist mir zu hoch ... wuäää...“ – Rauf da! Und eine Strafrunde, weil du so rumgeflennt hast! Vor dem Einschlafen wird Stephen Kings „Es“ vorgelesen und in den Schulen muss „Saw“ eins bis sieben in den Lehrplan aufgenommen werden. Auf Klassenfahrt müssen die Jugendlichen dann eine Woche alleine in den Wald, im Praktikum zum Gerichtsmediziner und später im Arbeitsleben muss es entsprechende Fortbildungen geben. Im Gefängnis oder so.
So können wir uns und die kommenden Generationen soweit abstumpfen, dass wir auch unter dem größten Stress noch funktionieren und uns dieses schnelle, laute, wilde Leben und die ständig über uns hereinbrechenden Meldungen über Umweltkatastrophen, brennende Flüchtlingsunterkünfte, Mord und Totschlag komplett kalt lassen. Natürlich kann es sein, dass wir so zu Robotern werden. Dann können wir durch sie zumindest nicht mehr ersetzt werden ...und glänzen dabei so schön silbern.
Text: Polina Boyko
Collage: Anja Nier
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