Polimika – die Kolumne

Anwesend – sein oder nicht sein?

Heute geh ich zur Uni, heute geh ich nicht zur Uni, heute geh ich zur Uni... Die Abschaffung der Anwesenheitspflicht an den Unis in NRW wird heiß diskutiert und ich denke mir: Wieso? Ist doch gut! Schließlich ist jeder seines Glücks und seiner Prioritäten Schmied. 

25. February 2015 - 09:01
SPIESSER-Autorin Individuot.
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Das erste Mal klingelt mein Wecker um halb acht, um mich zum Seminar um neun wach zu rütteln. Ich schlage die Augen auf und beschließe, dass ich keine Lust habe. Außerhalb des Betts ist es eisig und mein Mitbewohner hat bis zwei Uhr nachts gefeiert – viel Schlaf gab es also auch nicht. Das nächste Mal klingelt mein Wecker um elf. Ich stehe auf, dusche, trinke einen Kaffee und merke: Bieberkacke! Ich hab den Text fürs Seminar ja gar nicht gelesen. Hmm. So oder so würde ich es nicht mehr rechtzeitig schaffen und mit dem Laptop in der Bahn sitzen, ist auch irgendwie doof. Immerhin zur darauf folgenden Veranstaltung schaff' ich's.

„Ja, so sind sie, die Studenten, wenn man die Leine zu lang lässt!“, dürften Verfechter der Anwesenheitspflicht nun schreien. Ein undiszipliniertes, faules Pack, das zu seinem Glück gezwungen werden muss. Mit Zuckerbrot und Peitsche. Wenn's sein muss auch nur mit Peitsche. Aber dadurch, dass wir Studenten auch nur Kinder mit Mietvertrag sind, werden wir bei solchen Ansagen trotzig: Nö! Selber machen! Alleine hinkriegen! Und außerdem haben die Dozenten ja eh keine Lust und keine didaktischen Fähigkeiten – das bringt alles nichts und wäre nur Zeitverschwendung. Ach so und liberté und so!

Ich habe mein Studium an einer Uni ohne Anwesenheitspflicht begonnen. Hoch motiviert und super neugierig besuchte ich schön brav alle Veranstaltungen – in einer Vorlesung, die montags um 7:30 Uhr stattfand, habe ich kein einziges Mal gefehlt! Ehrenwort! Erstsemester sind halt fleißige kleine Bienchen, die eine Viertelstunde früher da sind, um Plätze zu sichern und mitschreiben, bis zur Sehnenscheidenentzündung – dem ultimativen Pokal der Streber. Die Motivation hielt circa das erste Studienjahr.

Danach, ich geb's ja zu, wurde ich faul. Das tat allerdings meinen Noten keinen Abbruch, auch wenn ich nicht um einige Schlamassel mit Prüfungsanmeldungen und Modulordnungen herum kam. Aber ich biss mich durch und ging zudem noch für ein Jahr ins Ausland. Dort war alles ganz anders – kleine Uni, Anwesenheitspflicht, regelmäßig einzureichende Zwischenprüfungen. Klar war das erst mal eine Umstellung, klappte aber auch ziemlich gut.

Was ich damit sagen will: Lasst die Kinderchen mit Mietvertrag sich doch ein Bisschen die Hörner abstoßen! Ihr sagt, es sei nicht eure Aufgabe, Studenten beim Erwachsenwerden zu helfen? Nun, mit Anwesenheitspflicht tut ihr aber genau das. Ohne diesen Zwang muss man sich selbst in den Allerwertesten treten und vielleicht ein Paar mal scheitern – dann weiß man aber, wo die eigenen Prioritäten liegen und warum die Motivation so oft flöten geht. Dann gibt es genau zwei Alternativen: Man beißt die Zähnchen zusammen oder wechselt das Fach beziehungsweise lässt es ganz mit dem Studieren. So oder so muss man endlich mal darüber nachdenken, was man eigentlich will, und schwimmt nicht nur mit dem Strom der studienwütigen Abiturientenmasse.

Text: Polina Boyko
Foto-Collage: Anja Nier

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