Acht Poeten haben sich eingefunden, um in einem Kampf der besonderen Art gegeneinander anzutreten. Eine von ihnen ist Christel, 73, unterstützt von Hans-Jürgen, 68, und Eva, 85. Das Ergebnis: Ein Abend mit kleinen Hindernissen, wenig Ruhm, viel Ehre und einem verfrühten Ausgang.
09. April 2012 - 10:53 SPIESSER-AutorIn Pantoffeltierchen.
Dienstagabend im Szeneklub, Poetry Slam. Junge, bunte, hippe Leute trudeln ein – und staunen nicht schlecht, als sie vor dem Klub auf drei Gestalten treffen, die so gar nicht ins Bild passen wollen: drei Rentner, allesamt Oma oder Opa von SPIESSER-Autorinnen.
Eva Die Alten sind da, es kann losgehen.
Hans-Jürgen Da bin ich ja der Jüngste… unter den Alten.
Lust auf Poetry Slam bekommen? Dann haben wir die richtige Bereicherung für euer Bücherregal. Wir verlosen zehn Sammelbände vom Slampoeten Tilman Döring. Euch erwartet ein bunter Mix an Texten und eine heiße Gratwanderung zwischen Freude und Wehmut, Grinsen und Zähneknirschen.
Ob sie wohl wissen, was sie erwartet? Noch sind alle völlig entspannt. Selbst Christel, die auftreten soll, zeigt keine Spur von Nervosität. Schließlich ist sie seit Jahren bei einem Seniorenverband aktiv und hat schon im Bundestag geredet. Eine Sorge ist da aber doch.
Christel Ich hoffe nur, ich sehe die Zeilen. Hab extra meine Brille mit.
Eva Man kann immer dazulernen. Am besten ist es, wenn man ins Wasser geworfen wird und schwimmen muss.
Musste unsere Dichterin zum Mitmachen überredet werden?
Christel Ach was. Solange ich kein ganzes Theaterstück aus dem Boden stampfen muss…
Man lässt sich in der ersten Reihe nieder. Doch die Bühne bleibt leer, der Beginn verzögert sich. Bei den Rentnern kommt langsam Unruhe auf.
Eva Jugendfreunde! Schon zehn nach acht! Nein, sogar zwanzig! Großmutter hat keine Brille auf, da kann sie das nicht sehen. Die akademische Viertelstunde ist jedenfalls um.
Endlich kommen die anderen Künstler aus dem Backstage-Bereich nach vorn. Sie stehen dabei unter kritischer Beobachtung.
Eva Aha, man trägt Hut. Der da kommt ohne, dafür mit Bier, das lockert.
Hans-Jürgen Wo kommen die denn alle her?
Moderatorin Kaddi Wer war denn noch nie bei einem Poetry Slam? Bitte melden!
Nur in der ersten Reihe gehen drei Hände hoch.
Kaddi Aha, hier vorne… zeigt auf unser Dreiergespann
Jetzt muss nur noch die Punktvergabe organisiert werden. Aus dem Publikum werden sechs Juroren gewählt, die über das Schicksal der Poeten entscheiden. Wie Castingshow, nur demokratischer.
Jemandschiebt Eva und Hans-Jürgen die Punktetafeln zu Ihr müsst das jetzt einfach machen. Aber nicht parteiisch werten!
Eva Na gut. Aber wir müssen nicht reden, ja?
Jacinta Nandi ist als erste dran. Ihr Mikro ist nicht richtig eingestellt, es ist viel zu hoch.
Eva Das ist doch zu groß! Und keiner hilft ihr. Da ist doch ein Mann in der Nähe.
In ihrem Text, vorgetragen in charmant amerikanischem Dialekt, nimmt sie die Deutschen auf die Schippe und spielt mit Klischees. Weil in Deutschland Gleichberechtigung so wichtig ist, gehört nach dem One-Night-Stand die Beteiligung am Taxi-Geld zum guten Ton. Bei der Bewertung herrscht Uneinigkeit.
Eva Ich fang gar nicht erst an, ich bin ja hierher gelockt worden.
Hans-Jürgen Sechs?
Eva Drei vielleicht?
Hans-Jürgen Wenns bis zehn geht? Machen wir sechs, damit liegen wir nicht schlecht.
Dem nächsten, Max Rademann, geht das Mikro knapp bis zur Brust. Aber der Text überzeugt. Die zehn in Evas Hand geht sofort hoch, noch bevor der Countdown läuft.
Kaddi Die erste zehn des Abends, dafür gibts einen Extra-Applaus!
Es wird politischer. Frank Klötgen schafft es in seinem Klagegedicht über ausbleibenden Erfolg, Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ mit der Finanzkrise zu verbinden.
Christel Also das war echt gut, wirklich ordentlich.
Eva Eine zehn war das nicht.
Für Christel wird es jetzt ernst. Jemand stellt ihr das Mikrofon ein.
Eva Aha, jetzt kommt also der Kavalier!
Christel liest einen Teil aus ihrer Biografie, an der sie gerade schreibt, vor und wirkt dabei so, als hätte sie nie etwas anderes getan. Es geht um ihre Jugend und ihren ersten Arbeitstag, als sie gerade 13 Jahre alt war. Es herrscht Stille im Raum, niemand lacht, einige tuscheln. Christel überschreitet ihr Zeitlimit von sechs Minuten nur knapp und erntet Applaus. Die Jury geht jedoch hart mit ihr ins Gericht. 18 Punkte reichen leider nicht für die zweite Runde. Hans-Jürgen und Eva klatschen dafürumso lauter.
Christel Ich dachte, ich schneide noch viel schlechter ab.
Keine Zeit für Pausen. Mike Altmann bringt „Aggroday“ auf die Bühne. Krasser könnte der Unterschied zwischen zwei Texten wohl kaum sein.
Mike Als mein Wecker wie immer um 6.29 Uhr klingelt, weiß ich sofort Bescheid. Heute ist aggressive Stimmung im Orbit. Der Wecker ist aggro. Das Laken riecht aggro. Die Nachbarkinder flennen aggro.
Hans-Jürgen Das war sehr lustig.
Christel Ein bisschen zu frech für meinen Geschmack.
Eva Da waren meiner Ansicht nach einige Boshaftigkeiten dabei.
Henning Wenzel ist der nächste, der die Dichterkrone erobern will. Er macht Anstalten, am verwünschten Mikrofon herumzubasteln.
Hans-Jürgen Bloß nicht anfassen! In seinem Text werden Eltern ermordet...
Christel Das war am Thema vorbei…
Eva Ich fand das jetzt etwas makaber.
Der vorletzte Kandidat ist zwar der Erste, der das Mikro im Griff hat, kann aber die Senioren-Jury nicht überzeugen.
Hans-Jürgen Ich habs, glaube ich, nicht so richtig verstanden.
Eva Schon sein Auftreten fand ich sehr gewöhnungsbedürftig und ungepflegt. Da zieht sich bei mir die Jalousie schon runter.
Der letzte Kandidat, er nennt sich „Netter Kumpel Ivan“, versucht es mit einem politischen Text. Das kommt gut an, er darf in die nächste Runde. Für die Rentner endet der Abend hier. Eva ist müde und die anderen beiden haben irgendwie auch genug gesehen.
Hans-Jürgen Das war eine völlig neue Erfahrung, sehr gut! Wir sind mit einer ganz anderen Vorstellung hergekommen.
Christel Aber wir müssen jetzt wirklich ins Bett.
Text: Maren Volk
Fotos: Frank Grätz
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