Vorfreude ist fehl am Platz. Ich sitze Punkt 11 Uhr an einem Tisch in der Sonne und schreibe eine Zehnte-Klasse-Abschlussprüfung, nachdem ich die Schulbank zuletzt vor fünf Jahren gedrückt habe. Das kann doch nur schiefgehen.
13. September 2018 - 12:59 SPIESSER-Autorin VeryMary94.
Montagvormittag + Abschlussprüfung = x. Man muss nicht besonders gut in Mathe sein, um zu erkennen, dass x in diesem Fall nichts anderes als „Warum? Warum, ich? Neeiiinn!“ sein kann. Verhältnismäßig sehr unvorbereitet sitze ich nun nach fünf Jahren wieder hier und muss einen Test schreiben, der gleich Mathe, Deutsch und Englisch abdeckt.
Los geht‘s! Die Nervennahrung steht auch schon bereit
Sport 4 — Festhalten!
Vor einer Woche: Die Ankündigung des Tests von meiner Chefredakteurin Polina und ich werde das Gefühl nicht los, dass sich in ihr ein wohlig-freudiges Gefühl breitmacht, als sie mein verstörtes Gesicht sieht. „Muss ich das machen? Du bist doch schon viel länger aus der Schule, da ist der Test doch noch spannender, wenn du ihn machst!“, versuche ich meine Würde zu retten und Polina unbemerkt zu überreden. Der Versuch scheitert genauso kläglich, wie mein Versuch im Sportunterricht die Kletterstange hochzukommen. Ich höre noch meine verständnisvolle Sportlehrerin sagen: „Marie, wenn du es schaffst, dich einfach 30 Sekunden festzuhalten, ohne den Boden zu berühren, bekommst du eine 4.“
Der erste Blick auf die Matheaufgaben ist zum Haareraufen
Polina grinst nur hämisch und fängt wie wild an zu tippen, der Test ist unausweichlich. Am Wochenende will ich mich vorbereiten, tue es aber natürlich nicht. Erfolgreiche Verdrängung – das kann ich. Zu Schulzeiten ist mir das allerdings nie passiert. Ich war zugegebenermaßen recht fleißig – musste ich, denn Mathe kam bei mir, trotz langem Üben, nie über eine Drei. In der Grundschule, als der Euro frisch eingeführt wurde, sollten wir Geldbeträge auf malerische Weise mit Münzen und Scheinen darstellen. Ich hatte mich gefreut, wie leicht mir die Aufgabe fiel. Dass es keine 7-Euro- Scheine und 30-Cent-Münzen gab, hatte mir vorher niemand gesagt.
Aber Moment! Das kenn ich doch noch!
Easy peasy, lemon squeezy
Grinsend legt mir Polina an dem sonnigen Prüfungsmorgen die Blätter vor die Nase. Sie hat den Test aus alten Klassenarbeiten zusammengestellt und sogar Hörverständnis ist dabei! Da ist an jemandem echt eine Lehrerin verloren gegangen. Ich mache mich als Erstes an den Teil mit der Kommasetzung. Jeden Tag in der SPIESSER-Redaktion sitzend, sollte das kein Problem sein. Easy! Genauso wie der Englischteil. Der Test versetzt mich zurück in meine Schulzeit: Die Aufgaben sind genauso lebensfremd wie eh und je.
Langsam, aber sicher überkommt mich überraschenderweise ein angenehmes Gefühl. Ich merke, dass ich ununterbrochen Matheaufgaben auf meinen Schmierzetteln errechne und beim Zeichnen eines Diagramms wird es mir auf einmal klar:
Geschafft! Auf dem Zeugnis stehen:
eine Eins, eine Zwei, eine Drei
Das macht Spaß!
Es steht nichts auf dem Spiel und ich fühle mich unbeschwert. Im Vergleich zu meinem immer erwachsener werdenden Leben ist so ein Test echt Pillepalle. Ich erinnere mich, wie ich in der Schule saß und keine anderen Probleme hatte, als bei einem von 100 Tests gut abzuschneiden. Damals war das belastend, jetzt ist die „Abschlussprüfung“ fast eine spaßige Auszeit. Ausgerechnet die Matheaufgaben haben es mir angetan. Ich nehme sie als Herausforderung und krame in lange unangetasteten Bereichen meines Gehirns. Das ist wie Sport machen nach langer Zeit. Es kostet Überwindung, aber hinterher fühlt man sich besser. Letztlich bin ich auch noch früher fertig und kann in Ruhe noch mal drüberlesen. Am Ende gehe ich mit einem von Polina handgeschriebenen Zeugnis mit einer Eins, einer Zwei und einer Drei nach Hause und fühle mich leicht wie am ersten Tag der Sommerferien.
Text: Marie Robinski Fotos: Polina Boyko
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