Für knapp fünf Monate probierte sich SPIESSER-Redakteur Falk als De-Icer auf dem Mount Ruapehu in Neuseeland aus. Ein wahrer Traumjob für jeden kälteliebenden Cowboy, aber sicher nichts für Warmduscher mit Höhenangst.
06. July 2017 - 15:51 SPIESSER-Autor SPIESSER.Falk.
Wind und Eis pfeifen mir wie so oft um die Nase. Die Muskeln meiner Arme sind geschwollen und meine Hände spüre ich schon lange nicht mehr. Was das Tageslicht preisgibt, entschädigt wie jeden Morgen für die Anstrengung. Ich schaue auf das Land von Mordor herab und auf den Schicksalsberg, in dem Frodo in Tolkiens „Herr der Ringe“ einst den einen Ring mit letzter Kraft vernichtete. Ich weiß, wie du dich fühlst kleiner Hobbit: erschöpft aber glücklich. Jeden Morgen stehe ich früh auf, um den Vulkan auf dem Rücken einer Pistenraupe hochzufahren und dann auf dem Snowboard weiter zu den Liftanlagen zu brausen. Dann erklimme ich jeden Liftturm einzeln, um das Eis davon ab zu prügeln.
Holzknüppel statt Chemiekeule
Die geographisch einmalige Lage auf der Nordinsel Neuseelands sorgt dafür, dass das Skigebiet über Nacht von extrem feuchtem, aber gleichzeitig eiskaltem Niederschlag heimgesucht wird. Die Liftanlagen sind zwar nicht gerade modern, dafür aber robust. Wind, Temperaturen und Niederschläge sorgen dafür, dass sich regelmäßig dicke Eisschichten um den kalten Stahl der Liftanlagen festsetzen. Wenn Tragflächen eines Flugzeugs vereist sind, dann werden sie einfach mit einer Art Enteisungsspray besprüht. Hier, in einem Skigebiet mitten im ältesten Nationalpark Neuseelands, dem Tongariro National Park, geht das natürlich gar nicht! Aber hey, es werden sich schon jede Wintersaison ein paar ehrgeizige Knüppelbrüder finden, die sich für Mindestlohn in den Kampf zwischen Mensch und Natur stürzen und Väterchen Frost mit purer Gewalt den Kampf ansagen.
Arbeit in schwindelerregender Höhe.
Endlich spüre ich die ersten Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Es fühlt sich an, als belohnt mich die Natur für die Strapazen, die mein von Kälte und Schmerz zerfressener Körper durchgemacht hat. Ich stehe auf über 2000 Metern Höhe auf dem größten aktiven Vulkan Neuseelands. Als wäre das nicht schon hoch genug, klettere ich einen über 20 Meter hohen Liftturm hoch, auf dem ich balancierend mit einer Art Baseballschläger die Laufräder der Seilanlage vom Eis frei schlage. Hoffentlich lässt der Wind bald nach, damit ich die hartnäckigen Brocken auch mal mit zwei Händen bekämpfen kann. Die Sicht heute ist gut, so sehe ich auch den Liftturm vor und hinter mir, auf denen sich die Kollegen auslassen. Die Zeit drängt, schließlich müssen die Jungs und ich noch einige andere Lifte enteisen, damit die Wintersportler den Berg bequem erklimmen können.
Ein Käfig voller Narren
Die Palette der Freiwilligen ist so bunt wie lustig. Engländer, Australier, Deutsche, Neuseeländer und mehr geben sich die Ehre menschlichen Abrissbirnen nachzueifern. Bewaffnet mit Klettergeschirr, Helm und Holzknüppel vereint uns die Liebe zu Adrenalin und Grenzerfahrungen. Man wird fast süchtig nach Action und so heizen wir auch an freien Tagen mit unseren Boards über die Pisten des Vulkans oder probieren das Bungeejumping aus, um einfach mal wieder „runter“ zu kommen.
Ein Härtetest zum weich werden
Als De-Icer habe ich fröhlich verrückte und tollkühne Typen kennen gelernt und meine eigenen Grenzen bis zum Äußersten austesten können. Mal etwas zu tun und zu wagen, das vielleicht nicht meinen intellektuellen Bedürfnissen entspricht, dafür aber primitivere Instinkte anspricht, war allein schon eine bereichernde Erfahrung. Zudem konnte ich interessante Menschen kennenlernen, neue Freunde aus aller Welt finden und ganz nebenbei zum Eis-Ironman werden. Auch wenn ich schon längst nicht mehr auf Vulkanen mit Holzknüppeln auf Eis, sondern wieder am Schreibtisch in die Tasten hämmere, zaubert mir mein Härtetest am anderen Ende der Welt immer noch ein wehmütiges Grinsen ins Gesicht.
Text+Bilder: Falk Herrmann
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