Nachgefragt

„Wir brauchen den Aufstand der Jungen“

Anna Braam (30) ist Vorsitzende der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und nebenbei vor allem in den Bereichen Umwelt- und Klimapolitik aktiv. SPIESSER-Autorin Lara hat mit ihr über Jugendprotest und -beteiligung gesprochen.

24. September 2018 - 16:56
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Beigetreten: 23.08.2011

Lara: Unsere Eltern und Großeltern kommen gar nicht mehr aus dem Erzählen raus, wenn es um Protest und Revolution geht. Gleichzeitig wird der Jugend immer wieder vorgeworfen, sich politisch nicht ausreichend zu engagieren. Dabei gäbe es genug, wofür oder wogegen man heute protestieren könnte: Für eine offene Gesellschaft, für bessere Bildung, gegen eine Rentenpolitik, die die jüngere Generation vernachlässigt. Anna, du und deine Stiftung – wofür kämpft ihr?

Anna: Wir kämpfen für all die Dinge, die du schon angesprochen hast: Als Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen setzen wir uns für Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit in Politik und Gesellschaft ein. Viele Bereiche werden also gleichermaßen angegangen: In der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ebenso wie bei den Themen Rente, Demokratie und Klimaschutz geht es uns um einen fairen Ausgleich zwischen Alt und Jung, die Berücksichtigung der Interessen zukünftiger Generationen und eine gleichberechtigte Teilhabe Jüngerer an Entscheidungsprozessen.


Pulse of Europe Demonstration in Bremen
Eure Stiftung organisiert Aktionen und schreibt Positionspapiere zu heiß diskutierten Themen, zuvor hast du schon ein Jugendforum gegründet. Wie relevant ist diese Form von Protest heute noch? Sollte man lieber versuchen, über weniger laute Methoden wie Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden Einfluss zu gewinnen und für seine Positionen zu kämpfen? Was bringt es, auf die Straße zu gehen, wenn man selbst am Tisch der Macht nicht vertreten ist?

Ich glaube nicht, dass nur EINE Protestform zum Erfolg führt. Häufig sind es auch soziale Bewegungen, die erstmals gesellschaftliche Probleme und Themen ins öffentliche Bewusstsein tragen – ganz gleich, ob sie mit am Tisch sitzen oder nicht: Die Umweltbewegung in den 1970er Jahren mit ihrem Anti-Atom-Protest hat letztlich zur Gründung von Bündnis 90/Die Grünen geführt. Die Proteste im Rahmen des „Arabischen Frühlings“, wenn auch weniger erfolgreich als erhofft, führten zumindest zu Regimewechseln in Tunesien, Libyen, Ägypten und im Jemen. Soziale Bewegungen und Proteste können sich also auch institutionalisieren.

Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden helfen zunächst über ein Thema vielschichtig aufzuklären und ein Bewusstsein zu schaffen. Das kann in einigen Fällen die Basis dafür schaffen, dass es überhaupt zu Protesten kommt.


Anna bei der UN-Klimakonferenz 2017 in Bonn
Als Jugend-Delegierte besuchst du regelmäßig die UN-Klimakonferenzen, wo es auch jedes Jahr organisierte Protestaktionen gibt. Zeigen die denn Wirkung oder sind es eher Showacts für schöne Pressefotos und ein bisschen Aufmerksamkeit?

Es kommt ganz darauf an, wie die Protestaktion aufgebaut ist: Hilfreich ist etwa, wenn die Presse vor Ort über die Aktion informiert ist, es Unterstützung von anderen Organisationen gibt oder eine Pressekonferenz zu dem Thema abgehalten wird. Beispielsweise haben wir als UN-Jugendvertretung dafür gekämpft, dass Generationengerechtigkeit im Pariser Klimaabkommen verankert wird. Dazu haben wir Verbündete in den verschiedenen Länderdelegationen gesucht – also unter denjenigen, die letztlich entscheiden –, auf UN-Veranstaltungen über den Begriff aufgeklärt, Presse-Statements geschrieben, Interviews geführt und Protestaktionen durchgeführt.

Dieser zweijährige Prozess hat letztlich zum Erfolg geführt und das Thema Generationengerechtigkeit wurde 2015 im Pariser Klimaabkommen in die Präambel eingefügt. Das bedeutet, dass die einzelnen Staaten dazu angehalten sind, in ihren nationalen Klimaschutzbemühungen nach dem Prinzip der Generationengerechtigkeit zu handeln – damit auch zukünftige Generationen noch gut auf diesem Planeten leben können.


Anna bei Protestaktion gegen Kohlefinanzierung bei
den UN-Klimaverhandlungen 2016 (4. v.l., hintere Reihe)
Sollten junge Menschen also mehr protestieren?

Auf jeden Fall! Deutschland ist das zweitälteste Land der Welt, die Mehrheit der Wähler und Wählerinnen ist über 50 Jahre alt. Für die Parteien und Politiker ist es daher attraktiv, die ältere Wählerschaft zum Beispiel mit teuren Wahlgeschenken für sich zu gewinnen – allein die Mütterrente kostet jedes Jahr mehr als das, was der Staat für Kita-Ausbau, Ganztagsbetreuung und den Digitalpakt zusammen ausgibt. Damit junge Themen, Zukunftsthemen auf die politische Agenda kommen, brauchen wir den Aufstand der Jungen.

Wie könnte der aussehen? Wie könnte man die politisch Verantwortlichen hier zum Umdenken bewegen?

Zunächst hilft es, für das eigene Anliegen Unterstützung zu gewinnen, sich permanent zu dem Thema weiter zu bilden und dann einen Platz am Tisch zu fordern. Sucht das Gespräch mit Entscheidern, engagiert euch in Parteien und Verbänden, besucht Konferenzen, Podiumsdiskussionen und vor allem: Seid laut und schreckt nicht vor Misserfolgen zurück – macht's beim nächsten Mal einfach besser!


Anna bei „Zero by 2050“, einer Protestaktion für Null
Emissionen bis 2050 und 100% Erneuerbare Energien.
Wann hast du das letzte Mal selbst protestiert?

Das letzte Mal habe ich protestiert, indem ich einen offenen Brief gegen die rechten Ausschreitungen in Chemnitz unterstützt habe. Bei den Klimakonferenzen habe ich vor ein paar Monaten für den deutschen Kohleausstieg und gegen den Einfluss der Kohle- und Gasindustrie protestiert. Das letzte Mal „auf der Straße“ war ich mit Pulse of Europe und bei verschiedenen Aktionen des Bremer Bündnis gegen Rassismus und Rechtspopulismus, etwa beim Parteitag der AfD in Bremen oder einer „Bremen ist bunt“-Solidaritätsdemo nach der Bundestagswahl im September letzten Jahres.

Stiftung Generationengerechtigkeit
Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (kurz: Stiftung Generationengerechtigkeit), ist eine Denkfabrik an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik und gilt als „bekanntester außerparlamentarischer Thinktank in Sachen Generationengerechtigkeit“ (Wirtschaftswoche). Sie wurde 1997 von einer überparteilichen Allianz junger Menschen im Alter von 18 bis 27 Jahren ins Leben gerufen, wird von einem der jüngsten Stiftungsvorstände Deutschlands geleitet und kämpft seitdem für Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Anna Braam ist seit 2015 in der Stiftung aktiv und heute deren Sprecherin und Vorstandsvorsitzende.

Text: Lara Schech
Fotos: privat
Teaserbild: Anna bei einer Pressekonferenz der Jugenddelegierten bei der UN-Klimakonferenz

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