Nachgefragt

Zwischen Wissen und Glauben

Anfang des 17. Jahrhunderts fand Galileo Galilei heraus, dass die Sonne der Mittelpunkt des Universums ist und die Erde sich um sich selbst sowie um den glühend heißen Stern dreht. Die Kirche zwang ihn damals, seine Entdeckung zu widerrufen. Dass sich Religion und Wissenschaft aber nicht immer gänzlich ausschließen müssen, beweist Professor Heino Falcke, der erfolgreiche Astrophysiker ist nämlich bekennender und praktizierender Christ. SPIESSER-Autorin Anna-Lena Malter hat mit ihm über seinen Spagat zwischen den beiden Welten gesprochen.

07. December 2021 - 11:08
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Beigetreten: 25.04.2009

Wie können Sie Ihre Arbeit als Astrophysiker mit der des Hilfspredigers in Ihrer Kirchengemeinde vereinen?

Bei der Glaubensfrage geht es ja darum, woher alles kommt. Gibt es einen Gott als Ursprung und wenn ja, was bedeutet das? Was bedeutet das für mich, für mein Leben? Das sind Fragen, die man naturwissenschaftlich beantworten kann. In der Bibel stehen Glaubensfragen in Form von Geschichten, die können wir nachlesen. Für mich persönlich war der Glaube immer eine tolle Ergänzung. Ich hatte dann das Gefühl, ich laufe auf zwei Beinen. In der Physik schaue ich auf die unbelebte Materie und in der Religion schaue ich, was dahintersteckt.

Wie sind Sie überhaupt zum Glauben gekommen?

Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen. Ich hatte Religionsunterricht und war im Konfirmandenunterricht. Meine Mutter war in der Kirche aktiv und auch meine Großeltern waren sehr gläubig. An einem Morgen bin ich aufgewacht und mir wurde klar, Gott ist Leben. Und dieser Spur wollte ich folgen. Das war für mich ein naturwissenschaftlicher Prozess voller wagen und ausprobieren. Das Experiment war herauszufinden, was Glaube mit mir macht.

Die Kirche war immer interessiert an Wissenschaft.

Was meinen Sie: Gibt es den Gottesbeweis und würden Sie diesen gerne finden?

Ich wäre erschüttert, wenn es einen Gottesbeweis gäbe. Ich glaube an Gott, der auch Person ist, der nicht nur Etwas ist. Für mich im Glauben ist wichtig, dass ich frei bin als Mensch. Ich kann glauben oder nicht glauben. Wenn Gott sich beweisen ließe, hätte ich diese Freiheit nicht mehr. Mathematisch wäre der Gottesbeweis auch zum Scheitern verurteilt, da man nur etwas innerhalb eines Bezugssystems beweisen kann. Glaube ist für mich nicht Beweis, sondern Entscheidung.

Was antworten Sie Ihren Gottesdienstteilnehmern, wenn Sie nach dem Ursprung des Universums gefragt werden?

Der Ursprung von Allem ist schon für mich Gott der Schöpfer mit seinem Schöpferwort. Und dieses Schöpferwort ist für mich auch die Naturwissenschaft und die Rationalität. Wenn jemand wissen will, wie das genau passiert ist, dem nenne ich den Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren.

Gibt es einen Zwiespalt zwischen der kirchlichen Institution und der wissenschaftlichen Arbeit?

Die Kirche war immer interessiert an Wissenschaft. Die Mendelschen Vererbungsregeln beispielsweise wurden von einem Mönch durch Experimente entdeckt. Aber natürlich gab es auch immer schon einen Machtstreit zwischen Wissenschaft und Kirche. Wer hat was zu sagen? Wer hat die letzte Autorität? Und in den letzten 400 Jahren hat die Kirche ihre Autorität in allen Lebensfragen verloren. Dies bedeutete einen großen Machtverlust für diese Institution. Es geht eigentlich weniger darum, dass Wissenschaft und Kirche nicht gut miteinander können, denke ich, sondern darum, wer die Erkenntnis an das Volk bringt.

Was ist größer, Ihr evangelischer Glaube oder Ihr Glaube in die Wissenschaft?

Beides sagt mir, ich soll nach der Wahrheit suchen. Ich würde nie sagen, das eine sei mächtiger als das andere. Auch Wissenschaft kann nicht alles erklären. Irgendwann hören die Fakten auf. Nämlich da, wo Werte auch eine Rolle spielen. Was ist der Wert eines Menschen? Das kann ich wissenschaftlich nur schwer ausdrücken. Aber in meinem Glauben ist der Mensch gewollt, er ist geliebt und hat einen Platz hier. Er hat einen Wert, der nicht von der Wissenschaft allein bestimmt wird. Ich benutze die Bibel aber nicht, um wissenschaftliche Fakten festzulegen. Es geht auch um die Bedeutung des Zweifels. Jeder Glaube ist auch immer ein Abbild der Wirklichkeit, nicht die Wirklichkeit selbst. Selbst an Gott ist zu zweifeln ist wichtig, finde ich. Genauso wie wir immer wieder wissenschaftliche Modelle hinterfragen.

Die Physik und auch viele andere Wissenschaftliche Gebiete gehören ganz selbstverständlich zum Schulunterricht dazu – der Religionsunterricht jedoch ist zum Teil umstritten. Was meinen Sie zu dem Thema?

Ich wäre nie der Mensch geworden, der ich heute bin, ohne meinen Glauben. Und auch junge Menschen haben Fragen, nach dem Leben, nach sich selbst. Religion hat dafür viele Antworten. Ethikunterricht allein reicht da aus meiner Sicht nicht aus. Die deutsche Geschichte, die Philosophie, die Grundlage der Menschenrechte – all das hat einen christlichen Ursprung. Ohne Religionsunterricht würde uns etwas fehlen. Aber bei Fragen wie zum Beispiel nach der Gleichberechtigung gibt es zum Glück die weltliche Macht, die dies gesetzlich gewährleistet. Kirche und Staat waren oft in einem Boot in der Geschichte, aber eben auch oft Gegenpole, die sich gegenseitig kontrolliert und korrigiert haben.

Sollte es Grenzen in der Wissenschaft geben, die der Mensch nicht erforschen sollte?

Nein. Der Mensch darf und soll jede Frage stellen. Er soll alles untersuchen, aber vielleicht nicht alle Antworten finden. Es ist nicht möglich, dass man alles erklären, alles machen, alles lösen kann. Aber man muss die Fragen danach stellen. Man muss nicht alles tun, was einem die Wissenschaft hergibt. Ein gutes Beispiel: Wir können Atombomben bauen, müssen dies aber nicht tun. Vielleicht können wir in einigen Jahren Mensch-Tierwesen künstlich erschaffen, trotzdem müssen wir das nicht tun. Wir müssen uns in der Wissenschaft auch den ethischen Fragen stellen und uns dabei fragen, ob uns die Erkenntnisse als Menschheit wirklich weiterbringen.

Wissen oder glauben, was ist wichtiger für die Menschheit?

Auch in der Wissenschaft muss ich zuerst an etwas glauben, bevor ich es wissen kann. Wenn ich eine These aufstelle und mir dafür noch die Ergebnisse fehlen, glaube ich trotzdem an meine These, um diese zu beweisen. Glauben und Wissen bringen sich aus meiner Sicht gegenseitig weiter. Mir würde es grauen vor einer Welt ohne Glauben. Aber eine Welt ohne Wissen ist genauso katastrophal. Es sind zwei Pole, die miteinander im Gespräch bleiben müssen, sich immer wieder fordern und hinterfragen sollten.

"Licht im Dunkeln - Schwarze Löcher, das Universum und wir"
In seinem Buch beschreibt Prof. Falcke den Weg von den ersten Blicken der Menschen hoch zum Himmel bis hin zu unserer modernen Astrophysik. Dabei geht er auch auf seine Forschung zu Schwarzen Löchern und die noch unenthüllten Geheimnisse des Universums ein – und darauf, was das alles mit ihm und uns zu tun hat.

Text: Anna-Lena Malter, 22

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