Nick, du bist ja gar nicht „nur“ Bildungscreator, sondern schon seit 2009 ein Coach für Mathe und hast dein eigenes Coaching Institut AKADEMUS. Was genau bietest du da an und an wen richtet sich das Angebot?
Ursprünglich hat das als Nachhilfe-Institut begonnen, weil ich mein Studium mit Nachhilfe finanziert habe. Das ist auch ganz normal als Mathestudent – irgendwann wird dich ein Verwandter dazu nötigen. (lacht) Mein Cousin war dann quasi mein erster Schüler und es hat gleich super geklappt. Und schnell hat dann die Nachbarin meiner Tante gefragt, ob ich ihrem Sohn nicht auch helfen könnte – und ich dachte: Klar, wenn ich ohnehin dort in dem Dorf bin, um meinem Cousin zu helfen, kein Problem? Ja, und dann kam die dritte und vierte Anfrage aus dem Ort und dann hatte ich irgendwann schon zwei Nachhilfe-Tage in der Woche, Schüler aus anderen Dörfern und meiner Heimatstadt. Dann waren es plötzlich 20 Schüler. Und das neben dem Studium. (lacht) Dann musst du ja auch noch überall hinfahren, Termine vereinbaren, was vor- und nachbereiten natürlich. Das war dann eigentlich schon ein Fulltime-Job. Ich war quasi Vollzeit Nachhilfe-Lehrer und tendenziell Teilzeit-Student. (lacht)
Am Ende des Studiums habe ich mich dann gefragt: Was mache ich jetzt? Ich habe dann tatsächlich erstmal ein halbes Jahr in der als Finanzanalyst gearbeitet – Finanzmathematik war nämlich mein Schwerpunkt im Studium. Das war auch alles nicht schlecht, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass bis ans Ende meines Arbeitslebens zu machen und habe zudem immer wieder an meine Zeit als Nachhilfelehrer gedacht. Es ist komisch: Mein Job damals, der hat sich einfach auch nach Arbeit angefühlt – während sich Nachhilfe für mich nie als Arbeit angefühlt hat. Und dann habe ich den Entschluss gefasst und AKADEMUS gegründet. Inzwischen sind wir 60 Dozenten im Team, die alle Schularten, alle Unterrichtsfächer und alle Klassenstufen unterrichten können.
Dein eigenes Institut macht doch sicher schon sehr viel Arbeit – warum hast du dich entschieden auch mit Social Media zu starten?
Ich wollte was zurückgeben. Also ich mache das nicht des Geldes wegen, denn AKADEMUS lief und läuft erfolgreich. Nein, ich habe begonnen, um noch mehr Menschen zu erreichen und für Mathe zu begeistern, als ich es mit meinen Kursen kann. Mein erstes Jahr war aber ehrlich gesagt eine Katastrophe. (lacht) Ich wurde von allen Seiten belächelt. Schüler haben mich nicht ernst genommen. Am Anfang habe ich auch weniger Mathe thematisiert, sondern eher Motivationstipps gegeben und Lernstrategien geteilt.
Der Durchbruch gelang mir dann erst mit TikTok. Die ersten Videos waren natürlich auch nichts, aber dann hat ein Video gleich 700.000 Aufrufe bekommen. Das war echt krass. Wir reden hier ja immer noch über Mathematik. (lacht) Und da wusste ich dann: Das ist meine Plattform.
Woher nimmst du die Ideen für deine Videos? Kommt das eher spontan oder machst du einen richtigen Wochenplan?
Genug Stoff gibt der Bereich Mathe natürlich her für Erklärvideos. Aber ich habe schon den Anspruch an mich und meine Videos: Sie sollen unterhaltsam sein und auch für jemanden interessant sein, der vielleicht noch gar nicht in der entsprechenden Klasse ist oder vielleicht überhaupt nicht mehr in die Schule geht. Ich muss also sehr kreativ sein, denn Mathe kreativ unterrichten ist eine echte Herausforderung. (lacht) Ich sitze also auch oft da und überlege mir aktiv neue Videokonzepte und plane meine Videos auch richtig – ich habe ja auch noch meinen Vollzeitjob im Institut. Wenn mir eine Idee im Alltag kommt oder ich ein Video sehe, dass mich zu einer eigenen Idee inspiriert notiere ich das immer direkt, damit ich es nicht vergesse. Ich mag vor allem Videos, bei denen das Ergebnis überraschend ist und die zeigen, dass man Mathematik schon auch im Alltag brauchen kann.
Siehst du dich selbst als Influencer? Wenn nein: Was unterscheidet dich von anderen Influencern?
Ich mag das Wort „Influencer“ nicht so gern. Das ist auch irgendwie schon negativ behaftet, finde ich. Aber ich mag das Wort „Sinnfluencer“ ganz gern, um zu beschreiben, was ich als mathe.nick bin.
Du bist ja als mathe.nick auf verschiedenen Plattformen aktiv, die meisten Follower hast du aber auf TikTok, einer Plattform, die eigentlich für ihre Lipsinc-Videos bekannt ist. Warum kommen deine Inhalte gerade da so gut an?
Tatsächlich bin ich ja der größte Mathe-TikToker in Deutschland – vielleicht sogar in Europa. (lacht) Ich denke das klappt so gut, weil der Algorithmus der Plattform so ist, wie er ist. Bei Instagram ist der Algorithmus beispielsweise stark auf die Followerzahl abgestimmt. Also die Zahl der Follower sagt bei Instagram sehr viel aus und gibt dir auch quasi automatisch eine größere Reichweite.
Aber TikTok ist es egal, wie viele Follower du hast. Wenn das Video gut ist, kann das eine Millionenreichweite bekommen. War ja auch bei mir quasi so. Dieser Algorithmus ist aber Fluch und Segen zugleich. (lacht) Jetzt hat man 350.000 Follower und ein Video bekommt nur 5.000 Aufrufe – auch nicht so toll.
Wie hat dein Sinnfluencer-Dasein deinen Alltag beeinflusst?
Für AKADEMUS gar nichts – weil ich über meine Kanäle keine Werbung für das Institut mache. Aber ich lerne durch den Erfolg im Social Media jetzt sehr spannende Leute kennen, zu denen ich vorher keinen Zugang hatte. Aber abgesehen davon habe ich einen soliden – fast schon spartanischen Life-Style. (lacht) Im Ernst: Ich bin sehr bodenständig und das will ich auch bleiben.
Aktuell nutzen die meisten von uns soziale Netzwerke ja vor allem zur Unterhaltung. Meinst du das bleibt so? - Welches Potenzial schlummert deiner Meinung nach noch in sozialen Netzwerken in Bezug auf Bildungsinhalte?
Da ist noch unendlich viel Potenzial, denke ich. Spätestens, wenn künstliche Intelligenzen mit ins Spiel kommen. Da bekommst du dann als User Videos ausgestrahlt, die einfach perfekt zu deinem Problem passen. Ob das jetzt schon auf TikTok passiert, kann ich nicht sagen. Aber ich denke, wenn die künstlichen Intelligenzen ins Spiel kommen in Bezug auf Bildungsinhalte, werden die ein echter Game-Changer.
Was macht für dich einen guten Mathe-Lehrer aus?
Du musst genau zwei Eigenschaften mitbringen: Du musst erst einmal auf den Punkt erklären können – und dazu gehört eine fachliche, aber auch eine Erklär-Kompetenz. Und die zweite Sache bringen leider viele in meinen Augen nicht mit: Du musst Schüler motivieren können. Und diese zwei Dinge sind quasi gleichwertig zu betrachten. Weil du kannst noch so gut erklären – aber, wenn du es am Ende des Tages nicht schaffst, dass sich Schüler über den Unterricht hinaus mit dem Stoff auseinandersetzen, dann wirst du immer nur mittelmäßige Klausuren erreichen.
Guter Schulunterricht ist für mich das genaue Gegenteil zu einer Vorlesung in der Uni: Im Unterricht müssen die Schüler maximal, aktiv mit eingespannt werden – und das können die Schüler auch selbst mit beeinflussen, indem sie sich aktiv melden und beteiligen.
Du warst ja selbst nicht schon immer ein Mathe-Ass. Wie hast du es geschafft von einer 5 in Mathe zum Mathematikstudenten zu werden?
Also ich hatte in mir drin schon die Motivation mal zu studieren – damals noch Informatik. Aber ich war auf der Realschule und wusste, um zu studieren, brauche ich das Abitur. Für mich war dann die einzige Möglichkeit zur Fachoberschule – kurz FOS – zu gehen, aber genau in meinem Jahrgang, in dem sich das entschieden hat, wurde ein Numerus Clausus für die FOS eingeführt. Tja und von dem Schnitt, den ich brauchte, war ich Lichtjahre entfernt. Denn ich stand nicht nur in Mathe auf fünf – ich stand auch in allen anderen Fächern schlecht. Sogar in Sport stand ich auf vier – das grenzte fast schon an Arbeitsverweigerung. (lacht)
Dann kam ich in die 10. Klasse und es war klar: Jetzt ist Schluss damit. Es hat sich auch einfach nicht gut angefühlt, schlecht zu sein in der Schule. Ich denke, für die meisten Schüler fühlt sich das nicht gut an. Ich habe mich dann erstmal in die erste Reihe gesetzt im Unterricht, wurde zwar komisch angeguckt – auch von Lehrern –, aber ich habe dadurch einfach auch mehr vom Unterricht mitbekommen und mich sogar mal gemeldet, wenn ich was wusste. Nach etwa zwei Wochen kamen auch die ersten Lehrer auf mich zu und haben mich für meinen Elan gelobt. Aber ich hatte sehr große Wissenslücken – und keine Nachhilfe. Ein Senkrechtstart war also auch nicht gleich drin. Aber ich bin drangeblieben, habe meine Hausaufgaben gemacht, sie dann auch mal vorgestellt und dadurch sukzessive bessere Noten bekommen. Im ersten Halbjahr hatte ich dann in Mathe beispielsweise schon eine 3. Mega. Und auch in anderen Fächern habe ich mich um 1 bis 2 Noten verbessert. In Sport stand ich plötzlich wieder auf 1. (lacht) Vor den Abschlussprüfungen kam dann mein Mathelehrer zu mir und sagte, wenn ich in der Prüfung eine zwei schreibe und damit auch auf dem Abschlusszeugnis die zwei habe, spendiert er mir ein Bier auf der Abschlussfeier. (lacht) Natürlich wollte ich es dann auch selbst schaffen und habe in den letzten Ferien vor den Prüfungen nochmal richtig geackert und es hat sich gelohnt. Mit dem Endjahreszeugnis war ich tatsächlich im vorderen Drittel des Schnitts. Und später auf der FOS hat sich das dann weiter so durchgezogen.
Aber der Wunsch Mathematik zu studieren kam dann erst in der Bundeswehr.
Warum bereitet gerade Mathe so vielen Schülern Probleme? Gibt es so ein Alter bzw. eine Klassenstufe, in der eine Art „kritische Schwelle“ ist, an der einige Schüler hängen bleiben und nicht mehr mitkommen?
Ja, ich denke so in der 8. und 9. Klasse muss man dranbleiben. Das liegt zum einen an dem Schulstoff, der herausfordernder wird und zusätzlich an der Lebensphase, in der man sich zunehmend für andere Dinge interessiert und die Pubertät ins Spiel kommt. Mit keine-Hausaufgaben-machen und nicht lernen kommt man in der Grundschule und Unterstufe noch ganz gut durch. Aber in der Mittelstufe zerlegt es dann die Leute. Und dann kommt das Problem: Mathe ist wie ein Kartenhaus. Es bringt dir nichts, wenn du oben alle Kärtchen super draufsetzt, wenn es unten wackelt. Und das macht Mathematik einzigartig. Bei Mathe brauchst du einfach immer alles – und das ist die Krux.
Gibt es sowas wie Jungs- und Mädchen-Fächer? Warum?
Leider. Aber das ist in meinen Augen eingeimpft. Also ich erlebe das bei Schülern, deren Eltern sowas sagen wie: „Auch, ich war schlecht in Mathe. Das hat meine Tochter von mir geerbt.“ Oder: „Jungs sind halt einfach besser in Mathe.“ Und genau das ist einfach Quatsch.
Könnte es ein Problem sein, dass sich Jungs bzw. Mädchen auf den Klischees ausruhen? Im Sinne: ich muss ja nicht gut sein in Mathe, ich bin eben ein Mädchen.
Ja. Absolut. Das liegt auch an solchen Sprüchen, wie ich sie eben gesagt habe. Sowas erstickt die Motivation im Kind, besser zu werden.
Was war denn dein erster Berufswunsch als Kind?
Tatsächlich so einen echten Berufswunsch hatte ich als Kind gar nicht. Aber so ab der siebten Klasse war es schon Informatik – hat ja gut geklappt. (lacht)
Text/Fragen: Tabea Grünert
Foto: NieKoe-Fotografie