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Kopfnoten - Chance oder Riesenquatsch?

In zwölf Bundesländern müssen Lehrer die so genannten Kopfnoten vergeben, zum Beispiel zur Zuverlässigkeit und Selbstständigkeit, Sorgfalt, Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und Kooperationsfähigkeit. In jedem Halbjahr werden so bundesweit etwa 15 Millionen Zensuren vergeben. Könnte Angelika entscheiden, würden keine Kopfnoten mehr in den Zeugnissen stehen. Hier lest ihr, warum sie diese Bewertung ablehnt.

21. September 2008 - 13:23
SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
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Beigetreten: 25.04.2009

In der DDR gab es sie schon immer, auch die Wessis hatten sie bis in die 70er Jahre. Mittlerweile gibt es die Kopfnoten nur noch in wenigen ostdeutschen Bundesländern sowie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Kürzlich wurden sie auch in Nordrhein-Westfalen wieder eingeführt. Durch sie sollen unsere zukünftigen Arbeitgeber uns besser einschätzen können und leichter erkennen können, ob wir wirklich fleißig, ordentlich und höflich sind. Das sagen zumindest die Befürworter wie die Nordrhein-Westfälische Ministerin für Schule und Weiterbildung, Barbara Sommer (CDU), oder verschiedene Arbeitgeberverbände.

Die Landesschülervertretung in NRW ist da aber anderer Meinung und möchte die neuen Noten am besten gleich wieder abschaffen. Warum sie das wollen und was sie eigentlich von normalen Noten halten, wollten wir in einem Interview von Landesvorstandsmitglied Horst Wenzel wissen.

Warum ist die LSV gegen Kopfnoten, sind die denn nicht eigentlich etwas Gutes für uns Schüler?
Wir glauben, dass Kopfnoten im Prinzip reine Disziplinarmittel sind, sie machen den Unterricht nicht besser, sondern schlechter. Die Leute konzentrieren sich nur noch darauf. Wenn man das Verhalten von jemandem kritisieren will, dann tut man das am besten direkt. Dann sage ich zum Beispiel "Hey Herr Journalist, die Art und Weise, wie sie mir das Diktiergerät hier hinhalten, finde ich nicht so toll". Das wäre ein direktes Feedback, aber in der Schule passiert es momentan so, dass man das Ganze erst ein halbes Jahr später aufs Zeugnis bringt.
Ein Lehrer sieht den Schüler im Prinzip ein paar Stunden in der Woche und kann dabei nicht sehen, was sonst so los ist. Ein Schüler kann also das größte Arschloch sein, hat aber auf dem Zeugnis 'ne super Kopfnote stehen, weil er im Unterricht nie groß aufgefallen ist. Wir glauben, dass es durch Kopfnoten einen gewissen Demokratieabbau gibt, weil Lehrer ganz bewusst mit einer schlechten Kopfnote drohen können, um Schüler "ruhig zu stellen". Es gibt Leute, die sich gegen die Meinung des Lehrers artikulieren und sich für jemanden anderes einsetzen, was ja in der Regel etwas sehr soziales ist. Die kriegen dann dafür eine schlechte Kopfnote, weil es heißt, sie können sich nicht richtig verhalten.


Horst ist 19 Jahre alt,
besucht die 13. Klasse
des Max-Planck-
Gymnasiums in Dortmund
und ist seit 2006 im
Vorstand der LSV NRW.

Viele Arbeitgeberverbände unterstützen die Kopfnoten ja und wünschen sie sich schon länger. Kann sich ein Arbeitgeber dadurch nicht ein viel besseres Bild von einem Schüler machen?
Erstmal sind das ja auch nicht alle Arbeitgeberverbände. Da muss man mal genauer schauen, welche das unterstützen und welche nicht. Es gibt ja auch schon welche, die sich dagegen ausgesprochen haben. Zum Beispiel gab es mal auf einem Kongress des Schulministeriums eine Frau aus dem RWE-Vorstand, die endlos mit Ministerin Sommer diskutierte, das war ganz witzig. Frau Sommer sagte immer "Ja, Sie brauchen die Kopfnoten, sie brauchen das, das ist gut, das ist wichtig!", die Frau aus dem RWE-Vorstand sagte "Nein, das ist totaler Schwachsinn, das brauchen wir nicht!" Frau Sommer wieder: "Ja, doch, doch, doch, das brauchen Sie!" - "Nein, das brauchen wir nicht!" usw. Das war total stumpf und ging 'ne ganze Weile so, bis der ganze Kongress vor Lachen über die naive Ministerin tobte.
Darum glaube ich nicht, dass die Wirtschaft geschlossen dahinter steht. Das sind wahrscheinlich die großen Unternehmen, die hauptsächlich Gehör finden. Man müsste auch mal in die mittelständischen hinein hören, wie da so die Meinungen dazu sind. 
Ich glaube, dass die Kopfnoten auch eher kontraproduktiv für die Wirtschaft sind. Denn im Prinzip wird man durch die zusätzliche stetige Bewertung nur ein großes Kameradenschwein, Schüler versuchen sich selbst immer möglichst gut zu positionieren. Die Kopfnoten schaffen kein gutes Klima, sie schaffen keine Teamfähigkeit.

Siehst du denn irgendeine Chance, die Kopfnoten doch noch salonfähig zu machen?
Nein. Es gibt alle möglichen Ansätze, da irgendwie freundliche Formulierungen rein zu bringen. Da hat man dann solche Standardstatements, bei denen sowieso alle wissen, was gemeint ist. Da heißt es: "Er hat sich bemüht, mit seinem Umfeld gut klar zu kommen" - und das heißt im Prinzip: Es ist ihm überhaupt nicht gelungen. Was man durchaus machen kann, ist einen offenen Dialog miteinander zu pflegen, so dass sich  in der Schule langsam eine Feedback-Kultur entwickelt und die Menschen ehrlich aneinander Kritik üben können. Das gibt es ja inzwischen ganz selten, welcher Schüler geht nach dem Unterricht zu dem Lehrer hin und sagt "Wissen Sie was, das hab' ich nicht so gut verstanden, könnten Sie das vielleicht anders rüberbringen?" So was traut sich momentan keiner. Und andersherum ist das natürlich genauso. Also, Lehrer müssten auch Schüler durchaus im Gespräch konstruktiv kritisieren, das ist auch wichtig, aber ich bin überzeugt, dass es keine Lösung ist, diese Ziffernnoten auf das Verhalten von Menschen anzuwenden.

Wie steht ihr denn allgemein zu Ziffernnoten?
Die Landesschülervertretung glaubt, dass Noten im Prinzip nicht das wirklich Wahre in der Schule sind, weil sie viel kaputt machen. Sie erziehen die Schüler zur Unselbständigkeit. Keiner tut mehr was ohne Noten, wenn er es gewohnt ist, ständig mit einer Note für sein Handeln belohnt oder bestraft zu werden. Manchmal geben Noten den Leuten zwar auch eine Einschätzung, "so gut war ich", aber das sollte man konstruktiv mit Anregungen verbinden, wie es noch besser geht. Wirklich nur als Rückmeldung.
Noten werden leider hauptsächlich als Disziplinarmittel eingesetzt, um Schüler zum Lernen zu zwingen. Dabei könnten Lehrer die Leute doch viel besser durch interessanten Unterricht motivieren. Die Schule hat die Aufgabe, jedem etwas zu erklären und individuell zu fördern, bis es wirklich jeder verstanden hat. Das ist möglich und das muss auch möglich sein in der Bildungspolitik. Und da ist es einfach ganz wichtig, dass sich eine menschliche Alternative zu den Kopfnoten findet und auch zu den Noten allgemein, damit die Qualität des Unterrichts nicht ungenügend bleibt. 

Was meint ihr? Sind Kopfnoten eine Chance für Schüler oder erfüllen sie ihren Zweck überhaupt nicht? Diskutiert mit! 

Interview und Foto: Felix Huesmann

@kopfnoten

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Kommentare

54 Kommentare
  • Kopfnoten im Abizeugnis sind wie Beurteilungen in Arbeitgeberzeugnissen zu werten. Eine einzige negative Wertung, kann die ganze spätere Berufslaufbahn negativ beeinflussen.
    Lehrer selbst haben gar nicht die Qualifikation solche Arbeitgeberbewertungen abzugeben.
    Es gibt Lehrer die geben gerade engagierten und kritischen Schülern und Schülersprechern schlechte Kopfnoten, um diese mundtot zu machen.
    Mit solchen Methoden werden Jasager und Duckmäuser erzogen. Unseren jetzigen und zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen sind aber solche Typen nicht gewachsen.
    Dabei kann nur Mittelmaß herauskommen, das ja auch bei der erneuten Einführung der Kopfnoten, seit den 70-iger Jahren, die maßgebende Rolle gespielt hat.

  • Nach 10 Jahren Schule in Sachsen-Anhalt und 2 Jahren Berufsschule in NRW, in denen ich mich relativ erfolgreich vor den Kopfnoten drücken konnte, bekommt meine Klasse sie zum letzten Oberstufenblock auch noch.
    Nun ja, zuerst hab ich die Einführung durchaus befürwortet, weil ich dachte, dass sich dadurch
    wirklich zeigen würde, wie man sich als Schüler so durchgeschlagen hat und das die Leute, die es wirklich verdient hätten (solche Prachtexemplare gibt es wohl in fast jedem Jahrgang), mal richtig eine vor den Bug bekommen würden.
    Wenn man jedoch weiter denkt, merkt man leider schnell, wie oberflächlich dieser Gedankengang ist.
    Wie ich schon erwähnt hab, bekommt meine Klasse das Zeugnis mit den Kopfnoten zusammen mit dem Berufsschulabschluss.
    Allein diese Tatsache sollte den "durchschnittsfaulen" Schüler davor retten, unter den Bereich von B bzw 2 zu kommen.
    (wie mone bereits schrieb).
    Dem entsprechend werden einige wohl im Unterricht auf Sparflamme schalten,
    "da man im letzten Jahr ja eh nix mehr reingedrückt bekommt".
    Diese Taktik ist -zugegeben- recht angenehm für den diesjährigen Abschlussjahrgang/Kurs, hat aber
    , wenn wir mal ehrlich sind, wenig mit dem Grundgedanken zu tun, der hinter der neuen Einführung der Kopfnoten steckte.
    Wenn wir den Fokus jetzt vom halb sorglosen Abschlussjahrgang nehmen, gibt es eine große Anzahl an Schülern, die trotz guter Unterrichtsmitarbeit in diesem Jahr keine all zu guten Kopfnoten erwarten dürfen; schlicht und einfach, weil sie vom Lehrer nicht gemocht werden. Leider ist dies wirklich die gängige Praxis und hat, wieder mal, nichts mit der Grundidee zu tun.
    Das definitive KO-Kriterium des Kopfnotenzeugnisses sehe ich aber in seiner Darstellung. Meinen Informationen zu diesem Thema nach, wird das Kopfnotenzeugnis in Rasterform (Kriterien auf der y-Acjse, Bewertungsstufen auf der x-Achse) aufgebaut sein, wobei die jeweilige Note mit einem Kreuz merkiert wird.
    Ich gehe ganz stark davon aus, dass diese Form der Darstellung noch aus den 60ern stammt und damals durchaus praktikabel war.
    Das sieht ca 40 Jahre später anders aus.
    Sind wir mal ehrlich, jeder Schüler, der mit seinem Kopfnotenzeugnis unzufrieden ist, aber ein Minimum an Erfahrung im Umgang mit Drucker, Scanner, PC und Bildbearbeitung hat, kann (und wird) sein Zeugnis in 5 Minuten zu seinen Gunsten auslegen.

    Aus diesen Gründen halte ich die Kopfnoten in der Theorie für gut,
    in der Praxis für Schwachsinn.

  • Die LSV NRW ist da auf einem sehr richtigen Kurs!

  • Hessen hat auch noch Kopfnoten (Sozial-/Arbeitsverhalten). Bei mir haben sie keine Kopfschmerzen verursacht. Ich denke auch nicht, dass sich Arbeitgeber so sehr darauf verlassen, sie möchten sich schon selbst ein Bild machen. Und wenn man sich - wie du schreibst, nur noch auf seinen Fleiß und die Ordnung konzentriert, anstatt auf Unterrichtsinhalte, dann machst du etwas falsch.

  • Ich habe mich etwas gewundert, welches Aufheben um die sogenannten Kopfnoten gemacht wird. In Baden-Württemberg gibts die zwar, aber zumindest an meiner Schule interessiert sich niemand dafür.
    Es ist einfach allgemein bekannt, "normale" Schüler bekommen grundsätzlich die 2, nur wenige Ausnahmen in beide Richtungen werden gemacht. Zumal die Noten ja vor allem vom Tutor gemacht werden und andere Lehrer sich da kaum die Mühe machen, sich einzumischen. Die Aussagekraft geht stark gegen null, das wissen die Schüler, die meisten Lehrer - und ich vermute fast, die Arbeitgeber auch.
    Konkurrenzkampf darum habe ich noch nie erlebt, auch nicht, dass Lehrer sie als Druckmittel einsetzen. Vielmehr habe ich den Eindruck, mancher Lehrer wäre froh, wenn er sich die Arbeit am Schuljahresende ersparen könnte.

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