Die Wahlerfolge der AfD wurde oft durch die sogenannten "Globalisierungsverlierer" erklärt, die sich aus Protest von den etablierten Parteien abwenden. Diese Argumentationsweise ist jedoch nicht nur empirisch nicht belegt, sondern blendet zentrale Faktoren der Wahlerfolge aus und spielt der AfD somit in die Karten.
01. March 2020 - 13:42 von SPIESSER-AutorIn PiaRTR.
Als jemand, der nicht die AfD oder andere rechte Parteien wählt, ist es oft schwierig nachzuvollziehen, wie die politische Debatte eine solche Kehrtwende hinlegen konnte. Wo kommen die ganzen Rechten her? Viele führen diese Entwicklung auf Globalisierungsprozesse zurück, die immer deutlicher auf unseren Alltag zurückhallen. Dabei fällt häufig der Begriff der "Globalisierungsverlierer", und wird als Erklärungsversuch für die hohen Wahlerfolge der AfD in den letzten Jahren herangezogen. Dieser Begriff beschreibt, dass sich viele Menschen von den "Globalisierungsgewinnern", der Schicht die fließend mehrere Sprachen spricht und sich einen Tag 'Homeoffice' im Hipster-Café nebenan leisten kann abgehängt fühlen. Aus einem Mangel an Möglichkeiten würden aus Protest dann rechte Parteien gewählt, gegen Geflüchtete gehetzt und das Rückbesinnen auf die ”deutsche Kultur der Dichter und Denker" herbeigesehnt. So auf jeden Fall die Hypothese.
Dass mit der Globalisierung durch einen ungezügelten Kapitalismus nicht nur Vorteile einhergehen, ist mittlerweile unumstritten. Die Schere zwischen Arm und Reich immer größer und die die eh über wenig Kapital verfügen, sehen sich einem übersättigten Wohnungsmarkt, einem ungleichen Arbeitsmarkt und neoliberalen Politiken gegenübergestellt. Und obwohl Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch ziemlich gut dasteht, leben in Deutschland immer mehr Menschen in prekären Verhältnissen. Laut der Hans-Böckler-Stiftung hat die soziale Ungleichheit in Deutschland 2019 einen neuen Höchststand erreicht.
Dass vor allem populistische Parteien mit einfachen Antworten davon profitieren, dass viele Bürger*innen enttäuscht von der Politik sind, ließ sich in so ziemlich jeder Wahl der letzten Jahre nachverfolgen. Laut einer Umfrage, die Kantar (Emnid) durchgeführt wurde, würden 14% der Wähler*innen für die AfD stimmen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. 14 % klingt zunächst mal nicht nach sonderlich viel. Wann man jedoch bedenkt, dass die AfD die Partei ist, die vom Wahlverlust der Union, SPD und der Unzufriedenheit bezüglich Politik der Großen Koalition neben den Grünen am stärksten profitiert hat, damit mittlerweile viertstärkste Partei ist und nur 2 Prozentpunkte hinter der SPD liegt, scheint die Lage weitaus ernster zu sein.
Und die Verknüpfung zwischen steigender sozialer Ungleichheit und dem Erfolg rechtspopulistischer Bewegungen anzuerkennen ist wichtig, um den Erfolg rechter Parteien und Bewegungen mit sozialen Problemstellungen in Verbindung zu stellen. Die Globalisierung und die soziale Ungleichheit jedoch als einzige Faktoren für den Erfolg rechtspopulistischer Gruppierungen zu verstehen, was der Begriff "Globalisierungsverlierer" suggeriert, hat jedoch mehrere Probleme zur Folge.
Zum einen setzt der Begriff der Globalisierungsverlierer im Zusammenhang mit den Wahlerfolgen der AfD einen direkten Zusammenhang zwischen niedriger sozialer Schicht und einer Befürwortung rechtspopulistischer Politik voraus, der sich in Wählerumfragen jedoch nicht bestätigen lässt. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung sind Arbeiter und Arbeitslose unter den AfD-Wählern zwar überdurchschnittlich vertreten, "machen aber nur ein Viertel der AfD-Gesamtwählerschaft aus". Die übrigen drei Viertel der Wählerschaft setzt sich aus Beamte, Angestellte und Selbständige zusammen. Ein Großteil der AfD-Befürworter sind also weit entfernt vom Leben des "kleinen Mannes", für das sich die AfD vordergründig einsetzt.
Der Glaube an eine Verknüpfung der Globalisierungsverlierer und Protestwähler ist somit nur haltbar, wenn man den populistischen Parolen der AfD Glauben schenkt, nicht aber wenn man sich die Faktenlage genauer ansieht. Problematisch bei dieser Imagination der AfD als Partei der Globalisierungsverlierer ist zudem nicht nur, dass sie sich auf kaum Faktenlage stützt. Es gerät so auch aus dem Blick, womit die AfD tatsächlich Wähler gewinnt: mit rassistischen Ausgrenzungen. Denn die Ausgrenzung von als "fremd" und somit als gefährlich konstruierte Bevölkerungsgruppen sind nicht nur irgendeine Begleiterscheinung rechtspopulistischer Diskurse. Sie sind essenzieller Bestandteil der Wahlentscheidung vieler Wähler für die AfD. Dass Rassismus nach wie vor fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft ist, zeigt die Studie der Mitte, die seit 2002 die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit erforscht. Laut der "Mitte-Studie" 2018/2019 neigen über die Hälfte der Befragten zu einer Abwertung von Geflüchteten.
Dies ist Teil einer politischen Strategie des völkischen Spektrums um rassistische Begriffe und Strukturen immer weiter im politischen Diskurs der 'Mitte' zu etablieren und die AfD leistet mit Ihrer nach Klassengerechtigkeit strebenden Fassade einen wichtigen Beitrag hierfür. In dem Buch "Das Netzwerk der Neuen Rechten" arbeiten Christian Fuchs und Paul Middelhoff heraus, wie die AfD in enger Verknüpfung mit rechtsradikalen Gruppierungen, wie beispielsweise die Identitäre Bewegung, nicht etwa auf einen gesellschaftlichen Konsens, sondern auf eine Aushöhlung des demokratischen Systems hinarbeiten. Die Verknüpfung der "Globalisierungsverlierer" mit den AfD-Wählern verdeckt die antidemokratischen und rassistischen Strukturen, auf denen die Erfolge rechtspopulistischer Parteien tatsächlich aufbauen.
Wenn die Analyse der AfD-Wähler*innen so deutlich auf eine Zugehörigkeit zur Mittelschicht hindeutet und ihre Politiken bei genauerem Hinschauen über Parolen hinweg keineswegs zur Verstärkung sozialer Gleichheit beitragen, warum nehmen nicht-rechte Diskurse die Verknüpfung von "Globalisierungsverlierern" und der AfD so dankend entgegen? Ist es, weil man sich durch diese Begründung mit den Rechtspopulisten verbunden fühlt, und man endlich für das Gleiche einzustehen scheint, nämlich soziale Gerechtigkeit? Fühlen wir uns bei dem Gedanken, dass Menschengruppen aktiv auf eine rassistische und antidemokratische zuarbeiten, so unwohl, dass wir das Argument der Globalisierungsverlierer dankend annehmen? Oder ist es eine Möglichkeit, die Angst, die beim Gedanken an eine offen rassistische Gesellschaft aufkommt, dadurch zu kompensieren, dass wir auf Rechtspopulisten als die Armen da unten herunterblicken? Was immer es ist, wir müssen damit aufhören, um den aktuellen Rechtspopulismus zu verstehen, sich ihm entgegenzustellen und ihm nicht auch noch die populistischen Märchen zu glauben.
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