Ein blauer Kapuzenpulli, das Basecap ins Gesicht gezogen und mit schwitzigen Händen sitzt Bernd auf der Parkbank neben mir. Seine Stimme bricht, als er von seiner Zeit als Neonazi erzählt.
Mit 13 Jahren rutscht er in die rechte Szene. Das war im Oktober 1989. In der DDR geboren war er nach der Wende orientierungslos. Mit einem Deutschlandaufnäher auf der Jacke findet er schnell Anschluss an eine rechtsradikale Gruppe.
Schützer der Verfassung
Das Bundesamt für Verfassungsschutz sammelt mit den Landesbehörden Infos über verfassungswidrige Aktivitäten und wertet sie aus. Das ist der Fall, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik oder der Gedanke der Völkerver-ständigung in Gefahr sind oder die freiheitlich demokratische Grundordnung bedroht wird. Jährlich erscheint ein Bericht über diese Arbeit.
Das neue Umfeld sieht man ihm an: Adolf-Hitler-Shirts, Springerstiefel und Hakenkreuze. Mit seinen „Kameraden“ zieht Bernd durch die Straßen und brüllt Parolen. Die Gruppe richtet sich gegen jeden, der anders zu sein scheint: Punker, Schwule, Ausländer. „Damals habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht.“ Er wollte nur dazu gehören. Dafür musste Bernd prügeln und sich verprügeln lassen.
Straftaten begeht er regelmäßig in der Gruppe und unter Alkoholeinfluss: „Damit haben wir uns stärker gefühlt.“ Er greift linke Aktivisten und Polizisten an. „Einmal habe ich sogar auf einen Menschen geschossen.“ Er hebt einen Käfer vom Boden auf und setzt ihn sich auf den Arm.
Laut dem Verfassungsschutz ist die Zahl des rechtsextremistischen Gesamtpersonenpotenzials 2012 leicht auf 22.150 Personen gesunken. Davon sind 9.600 Personen dem gewaltbereiten Spektrum zuzurechnen. Die NPD verliert seit 2010 Mitglieder. Der „Bürgerbewegung pro NRW“ gehören immer mehr Mitglieder an.
Mit Kopfschütteln erzählt Bernd, dass es niemanden interessiert hat, dass er sich die Haare kurz schnitt und anders kleidete. Sein Kinderzimmer dekorierte er mit Hakenkreuzen und Fahnen. „Ich war total fanatisch und habe in meiner eigenen Welt gelebt.“ Seine Eltern interessieren sich dafür am allerwenigsten.
In den ersten zehn Jahren verbringt er seine Tage damit, „irgendwelchen Mist zu machen“. Sich prügeln, Wände beschmieren, Propaganda verteilen. Mit zunehmendem Alter beschäftigt er sich mit Politik und wird Mitglied in einer rechtsextremen Partei. „Ich wollte immer mehr über den Nationalsozialismus wissen.“ Seine politischen Ambitionen bringen ihm schnell Ansehen unter den Neonazis und innerhalb der Partei ein – eine Motivation für ihn, weiterzumachen.
Mit seiner Überzeugung und seinem Redetalent wirbt er junge Leute als Nachwuchs für die rechte Szene. Wie er sollen sie Hitler verehren. Was es an Hitler zu verehren gibt, möchte ich wissen. Nach einer langen Pause murmelt er: „Keine Ahnung. Ich war einfach zu naiv, um mir über alles Gedanken zu machen.“
Jetzt, nach über zwanzig Jahren als Nazi, hat er der Szene den Rücken gekehrt, ist aus der Partei raus. Ans Aussteigen dachte er zum ersten Mal vor fünf Jahren. „Ich merkte damals, dass hohe Tiere der Partei gegen ihre selbst gepredigten Verhaltensweisen verstoßen hatten.“ In der Zeitung stieß er auf das Aussteiger-Programm „Exit“, rief an, vereinbarte ein Treffen und ließ sich beraten. „Ich kam mir vor wie ein Verräter“, sagt er. Jeglichen Kontakt zu seinen früheren Weggefährten hat er abgebrochen. „Ich will ein normales Leben leben.“
Alle Utensilien aus seiner Nazizeit hat er längst in eine Kiste in den Schrank gepackt. „Verbrennen oder wegwerfen geht noch nicht.“ Dafür war das zu lange sein Leben, auch wenn es ihn krank gemacht hat.
Heute kämpft er mit Angstzuständen und Depressionen. „Ich habe Angst vor mir selbst und davor, dass ich rückfällig werde.“ Für die Zukunft wünscht er sich, dass er das „Verbockte“ wieder gut machen kann. „Wie? Keine Ahnung.“
* Name von der Redaktion geändert
Text: Victoria Gütter
Illustration: Ronny Pietsch