SPIESSER unterwegs

Wo Schokolade auf Bäumen wächst

Melanie, 20, packt auf der Kakaoplantage ihrer ghanaischen Gastfamilie mit an und lernt dort die süßen und bitteren Seiten des Fruchtanbaus kennen.

21. June 2013 - 17:55
SPIESSER-Autorin dingue.soce.
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dingue.soce Offline
Beigetreten: 10.05.2009

 

Dies ist ein Beitrag des
SPIESSER Fernweh-Spezials.

 

Als waschechtes Dorfkind weiß ich natürlich, dass Kühe nicht lila sind, dass sie in Wirklichkeit Milch geben und nicht die fertige produzierte Schokolade abwerfen. All das habe ich auf meiner Liste der wirklich wichtigen Erkenntnisse des Lebens bereits notieren können. Woher aber nun die Schokolade kommt, ist mir bis heute ein Rätsel. Höchste Zeit also, mich mit meiner Gastmama auf den Weg zu ihrer eigenen Kakaoplantage zu machen.

Dicke Schale, kleine Frucht

Zwei Kilometer laufen wir hinein in feuchtwarmes Pflanzendickicht. Vorbei an Reis- und Maisfeldern, vorbei an Bananenstauden und Ölpalmen. Bis wir an einer großen Lichtung ankommen, wo meine Gastoma und alle Onkel meiner ghanaischen Familie schon auf uns warten.


Mit der Machete geht es den
Kakaoschoten an den Kragen.

Zu zehnt sitzen wir um einen hüfthohen Haufen reifer Kakaofrüchte. Ich bekomme eine Machete in die Hand gedrückt und lasse mir das Prozedere zeigen. Unerschrockene, kraftvolle Hiebe sollen die Schale zerteilen, die so dick wie die einer Wassermelone ist. Ich probiere mein Glück und Tatsache – es funktioniert! Zum Vorschein kommen die an einer Rispe vereinten Kakaobohnen.

Makabere Geschichte

Milchweiß sind die frischen Kakaobohnen und unter der weißen Decke violett. So groß und so geformt wie platt gedrückte Eicheln im Herbst. Glitschig vom frischen Fruchtfleisch, als hätte jemand Spülmittel über sie geschüttet. Sie schmecken sauer und süß, aber irgendwie auch fruchtig und bitter, wenn man sie kaut.


Unter der milchigen Decke sind die
Kakaobohnen violett.

So wie wir heute saßen die Ghanaer nicht immer fröhlich schwatzend um einen Kakaoschotenberg herum. Ende des 19. Jahrhunderts brachten Spanier und Portugiesen die Kakaopflanze aus Südamerika nach Westafrika, wo sie die einheimischen Sklaven die Pflanze anbauen und ernten ließen. Bereits 1911 dominierte Ghana mit 40 Prozent Anteil am weltweiten Kakao-Export den Weltmarkt. Heute leben 1,5 Millionen Ghanaer von der Kakaopflanze – und die Sklaverei existiert in Form von Kinderarbeit noch immer.

Quetschen, abdecken, Wärme bewahren

Zwischen Bananenblättern eingebettet
müssen die frischen Kakaobohnen eine
Woche lang trocknen und gären.

Auf einem Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche wird die Frucht heute in Ghana angebaut. Wegen ihrer hohen Krankheitsanfälligkeit wird die Pflanze vorwiegend auf Kleinfarmen von Familien und nur selten in der großen Plantagenwirtschaft gezüchtet.

Auch auf der kleinen Farm meiner Gastfamilie wird gezüchtet, was das Zeug hält. In der Blechschüssel neben mir landen immer mehr Rispen, von denen ich nun die Kakaobohnen abquetschen soll, die später mit Bananenblättern abgedeckt werden. So wird die Wärme bewahrt, die den Gärungsprozess ankurbelt.

Ein Geruch zum Nase rümpfen

Eine Woche dauert die Verwandlung von der Raupe zum Schmetterling: Danach sind die Bohnen geschrumpft, rot-orange-braun gefärbt, haben sehr viel Flüssigkeit verloren und an Härte gewonnen. Und sie riechen, ja, wie vergorene Früchte eben riechen.

Eine weitere Woche trocknen die Früchte auf Wellblechen einen halben Meter über dem Erdboden, damit sie nicht die Feuchtigkeit des Bodens aufnehmen. Mehrmals am Tag werden sie gewendet, vereinzelt, aussortiert. Bis sie dunkelbraun und hart sind. Und bitter. Bitter, aber irgendwie immer noch sehr süß.


Nach einer weiteren Woche im
Öko-Solarium sind sie knackig braun.
Bittere Wahrheit

Getrocknet und unverarbeitet machen sich die Kakaobohnen dann auf den Weg zur lila Kuh nach Deutschland. Der Wirtschaft in Ghana fehlt ein gut ausgebauter und weltweit konkurrenzfähiger Sektor der Rohstoffverarbeitung. Nur so könnte dem ressourcenreichen Land ein gerechter Teil des ihm zustehenden Reichtums zurückgegeben werden.

Doch Import und Export bilden in Ghana kein gesundes Gleichgewicht. Exportiert werden vorwiegend Rohstoffe wie unsere getrockneten Kakaobohnen, teuer importiert dagegen die daraus gefertigten Waren. Zu teuer für den Großteil der Bevölkerung. Dieser kennt den süßen Geschmack der Schokolade nicht. Nur den der Kakaobohnen. Und der ist bitter. Bittersüß.

 

Text: Melanie Weise
Fotos: Melanie Weise

 

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