Schon seit meiner Jugend bin ich gern gereist und dafür häufiger ins Flugzeug gestiegen, um in andere Länder zu gelangen. Da gleichzeitig Klimaschutz für mich ein bedeutendes Thema ist, stellte sich mir mit der Zeit mehr und mehr die Frage: Umweltschutz und Fliegen – kann das überhaupt zusammen funktionieren? Bei Zielen, die innerhalb Europas erreichbar waren, begann ich, vorzugsweise Bus und Bahn zu nehmen. Dabei stellte ich fest, dass diese Art des Reisens manchmal sogar spannender sein kann, als ins Flugzeug zu steigen: Ich sah malerische Landschaften an mir vorbeiziehen, hatte Zeit, entspannt ein Buch zu lesen und konnte mich mit meinem Sitznachbarn darüber unterhalten, woher wir kamen und wohin es gehen sollte. Manche der einprägsamsten Momente auf Reisen habe ich erlebt, während ich mit Bus und Bahn unterwegs war.
Ein Masterplan für unsere Challenge
Mit der Fähre ging es von Palermo nach Tunesien.
Mein Wunsch, über Europa hinaus die Welt zu entdecken, blieb, und da mein Freund die gleiche Einstellung zum Fliegen teilt wie ich, entwickelte sich rund ein Jahr vor Reiseantritt das Vorhaben, mit Bahn und Fähre durch Italien bis nach Tunesien zu reisen.
Wir sparten das nötige Geld an und vereinbarten mit unseren Arbeitgebern eine Auszeit von insgesamt drei Monaten. Für den ersten Monat bis zu unserer geplan-ten Ankunft in Tunesien buchten wir bereits von unserem Zuhause in Hamburg aus alle Unterkünfte sowie Bahn- und Fährfahrten. Im Gegensatz zu der Deutschen Bahn ist die italienische Staatsbahn Trenitalia ziemlich preisgünstig. Bei Zugverbindungen mit Umstiegen planten wir immer genügend Zeitpuffer wegen möglicher Zugverspätungen mit ein. Letztendlich bereisten wir die geplante Route innerhalb von zwei Monaten, bevor wir nach Hamburg zurückkehrten.
Auf der Zugstrecke nach Italien lernten wir viele interessante Orte kennen.
3000 Kilometer mit Bahn, Bus und Fähre
Lange Zeit mit Bus, Bahn und Fähre unterwegs zu sein, kann sehr entspannt, aber auch äußerst abenteuerlich sein. Während schneebedeckte Berge, Olivenhaine und pittoreske Städte am Fenster an uns vorbeizogen, hatte ich Gelegenheit, an dem vor uns aufgeklappten Tisch in mein Notizbuch zu schreiben, mir auf dem Weg durch den Gang die Beine zu vertreten und die letzte Etappe in Gedanken Revue passieren zu lassen. Da auf den Zugstrecken durch Italien viele interessante Orte lagen, führte die Reise mit der Bahn dazu, dass wir uns für Zwischenstopps mit Übernachtung entschieden, die vorher noch nicht auf unserer Reise-Bucket-List gestanden hatten. Von Hamburg ging es zunächst ganz unspektakulär mit dem ICE nach Venedig, wo ich die Magie des venezianischen Winters beim Karneval inmitten von kostümierten Menschen auf einer Bootsparade nach-spüren konnte. Vier Stunden mit der italie-nischen Trenitalia entfernt lag Rom: In der Hauptstadt kostete ich den besten Espresso der Stadt, bevor unser nächster Zug uns nach Neapel führte. Dort bewegten wir uns zwi-schen vorbeibrausenden Vespas und Pizza-Ständen durch die Gassen, um uns danach in unserem nächsten Ziel Tropea ein paar Tage am Meer zu entspannen. Ein Zug, der mit auf die Fähre nach Sizilien fuhr, brachte uns von dort aus über die Straße von Messina auf die Insel an der Stiefelspitze Italiens. Diese zog uns mit ihren mediterranen Landschaften schon hinter dem Zugfenster sofort in ihren Bann. Nach einer Woche Karneval und Sightseeing auf Malta hatten wir dann noch mal eine Woche, um Sizilien in Ruhe zu erkunden, bevor es von der Hauptstadt Palermo endlich direkt nach Tunesien ging. Nach all diesen Stopps wartete schließlich Tunesien mit seinen bunten Türen, scharfen Speisen und dem warmen Klima auf uns.
Die blau-weißen Häuser in Hammamet haben es
Fabienne besonders angetan.
Über Nacht im Zug oder auf dem Schiff
Die zehnstündige Fährüberfahrt von Palermo nach Tunesien stellte sich als Herausforderung dar, da die Stühle an unserem Tisch nicht sehr bequem waren und ich mich an die Schwankungen des Schiffs erst gewöhnen musste. In der tunesischen Hauptstadt Tunis kostete ich regionale Datteln, spazierte durch das belebte Gassenlabyrinth der alt-städtischen Medina und trank stark gesüßten Minztee auf einer Dachterrasse. Ich fühlte mich wie in einer anderen Welt. In Hammamet, einem Ort voller blau-weißer Häuser am Meer, entspannten wir uns nach einigen aufregenden Wochen des Reisens zwischen rosafarbenen Sonnenuntergängen und Muezzin-Rufen aus den uns umgebenden Moscheen.
Besonders gern erinnere ich mich an die Strecke mit dem Nachtzug zwischen Palermo und Bologna.
Auf der Rückreise nach Palermo fuhren wir über Nacht mit der gleichen Fährlinie und legten mehrere Stunden später als ursprünglich geplant in Tunis ab. Noch erschöpft von all den Eindrücken, Gerüchen und Farben Tunesiens verbrachten wir die Wartezeit am Fähranleger und waren überglücklich, als wir das Schiff betreten konnten. Die Fähre schaffte es, die verlorene Zeit wieder einzuholen, und auch der beeindruckende Blick in die Bucht von Palermo entschädigte uns für die Strapazen der Reise.
Besonders gern erinnere ich mich an die Strecke mit dem Nachtzug zwischen Palermo und Bologna. Diese dauerte 18 Stunden, kam uns bei Weitem aber nicht so lang vor. Dies lag auch daran, dass wir einen ganzen Nach-mittag die Küste Siziliens entlangfuhren und dabei die Liparischen Inseln, die Vulkaninseln vor Sizilien, am Horizont beobachten konnten. Zudem hatten wir ein eigenes Waschbecken im Abteil zur Verfügung und bekamen ein Hygieneset sowie ein Frühstück gestellt. Die Fahrt mit dem Nachtzug habe ich als echt lohnenswertes Erlebnis empfunden, das ich gern wiederholen werde. Bei häufigen Fährüberfahrten werde ich es weiterhin bevorzugen, nachts zu fahren, und habe daraus für künftige Reisen mitnehmen können, dass sich die Buchung einer Schlafkabine lohnt.
Wenn der Weg zum Ziel wird
Da ich nun um die Erfahrung, per Fähre auf einen anderen Kontinent überzusetzen, reicher bin, kann ich mir gut vorstellen, weitere Kontinente auf dieser Erde zu besuchen, ohne zu fliegen. Für mich ist es meine persönliche Challenge geworden, auf dem Boden zu bleiben und dennoch alle Ziele auf dieser Erde zu bereisen, die ich entdecken möchte. Diese Reise hat mir gezeigt, dass mein Verzicht aufs Flugzeug mich nicht davon abhält, die Welt zu sehen. Im Gegenteil: Dass ich mich mit Bahnen, Bussen und Fähren nach Tunesien fortbewegt habe, hat dazu geführt, dass ich noch viel mehr Orte gesehen und den Weg intensiver erlebt habe, als wenn ich von Hamburg direkt nach Hammamet geflogen wäre. Hätte ich zudem auch mit Zug und Fähre möglichst schnell nach Tunesien gelangen wollen, wäre dies auch mit wenigen Stopps machbar gewesen. Dafür hätten sich Bologna und Palermo mit einer Nachtzugfahrt angeboten, sodass wir in-nerhalb von drei Tagen angekommen wären.
In solch einer schnellen Welt kann langsam zu reisen ein großes Abenteuer sein.
Doch hätte ich dann den Karneval auf Malta, das beste Streetfood meines Lebens in den Straßen von Sizilien oder die Wanderung auf den Vulkankrater des Ätna erlebt? Wohl kaum.
Ich glaube, dass es gerade in einer auf Schnelligkeit getrimmten Welt ein großes Abenteuer sein kann, langsam zu reisen. Es ist, als würden wir einen Gehweg entlanglaufen – den Kopf voller Gedanken an den Zielort –, dabei plötzlich die farbenfroh blühenden Blumen am Wegesrand entdecken – und kurz innehalten, um den Anblick zu genießen, bevor wir lächelnd weitergehen.
• Einen Teil der Reise durchgeplant zu haben, sorgt für Sicherheit, einen Teil offen zu lassen, hingegen für Flexibilität.
• Zugreisen müssen nicht teuer sein: Wenn wir nach möglichst frühen oder späten Zeiten und außerhalb des Wochenendes nach Verbindungen gesucht haben, konnten wir mit etwas Geduld günstige Tickets ergattern.
• Es lohnt sich, vor der Reise alle bisherigen Buchungen von Unterkünften und Zug- tickets auszudrucken und zusätzlich auf dem Handy alle Unterlagen zu speichern. So ist alles sowohl analog als auch digital griffbereit.
• Die beste Investition für unsere Reise: ein Besteckset in einer Plastikhülle und eine Metallbrotdose mit Dichtungsring. Damit war sowohl unterwegs als auch in Unter- künften die Grundausstattung für unser Essen vorhanden.
• Für längere Bahnfahrten kann es praktisch sein, sich Podcasts oder E-Books herunterzuladen.
• Ein kleines Näh-Set mit Nadeln und Garn habe ich öfter benutzt als erwartet, wenn etwas an unserer Kleidung kaputtgegangen ist.
Text von Fabienne Kollien, die kurzzeitig den Alltag einer digitalen Nomadin nachgefühlt hat, während sie in ihrem Zimmer mitten in Dubrovnik diesen Artikel geschrieben hat.