Man stelle sich mal all die Leute vor, die Weihnachten nicht zu Hause mit der Familie verbringen können. Wie viele sind es wohl? Hunderte? Tausende?
Wenn man aber nie Weihnachten fern von den Gewohntheiten verbracht hat, weiß man vieles nicht zu schätzen, das man allerdings vorgibt, zu schätzen.
„Es ist so schön mit der ganzen Familie zusammen zu sein“ haben wohl schon viele gesagt oder zu hören bekommen. Klar, es ist schön, keine Frage. Aber wenn es doch sooo viele Menschen sooo schön finden, wieso machen sie es dann nicht öfter? Gemeinsam zusammen sitzen, essen, trinken, anderen eine Freude machen.
Ich habe dieses Jahr das erste Mal (und hoffentlich das letzte Mal) meine Feiertage in Kamerun verbracht, ohne Mami und Papi an meiner Seite und mir ist vieles klar geworden. Sehr viel. Weihnachten ist Stress. Nicht nur zu Hause, auch auf anderen Kontinenten geht es in der Zeit der Besinnlichkeit ziemlich hektisch zu. Wer feiert mit wem, wo, was bringe ich mit, wie kleide ich mich angemessen…. Tausend Fragen, die geklärt werden wollen und einige Kompromisse erfordern.
Mein richtiges Weihnachtsfest hatte ich bereits am 21. Dezember, als ich mit Franzi und Eric gemeinsam ein bisschen gefeiert hab. Der Kälte der Nacht zum Trotz haben wir unseren runden Metalleimer im Garten (Grill) angeschmissen und stilecht auf Kamerunischem Holz gegrillt. Um Toastbrot, Mais und Kartoffeln hat sich Eric am Feuer gekümmert, während ich Salat, Erdnusssoße, Ayoli und Kräuterbutter zubereitet habe. So wurde es dann ein äußerst leckerer Abend, die Feier wurde mit gutem Weißwein aus der Tüte und einem Flaschenwein begossen.
Ich bin jetzt mal so frei und sage ehrlich, dass es manchmal gar keinen Spaß macht, zu beschreiben, was ich wann mit wem gemacht habe. Denn die Dinge, die mich hier wirklich beschäftigen, sind weniger die Dinge, die man macht als dass, was man dabei zwischen den Zeilen lesen kann. Was ich genau an Weihnachten gegessen habe, interessiert doch niemanden so wirklich, oder? Klar, Laura und Eric haben gemeinsam gekocht, toll! Aber was war das, was mir am Heiligabend durch den Kopf gegangen ist?
Als ich nachts einige Stunden in meine Bettdecke eingewickelt im Liegestuhl bei uns im Garten saß und die unzählbaren Sterne beobachtet habe, überkam mich die Traurigkeit doch schon. Weihnachten ohne die Familie ist einfach merkwürdig, ich würde fast behaupten, dass ich dieses Jahr gar kein richtiges Weihnachtsfest hatte. Jedenfalls kam mir der Gedanke, dass das „Wachsen“ immer schmerzhaft sein muss, sonst wächst man nicht.
Es ist wie bei einem Kind, das den ersten Zahn bekommt. Es schreit, weil es schmerzt.
Ein Sportler läuft so lange, auch wenn es schon schmerzt, um die Schmerzgrenze fürs nächste Mal etwas weiter herausgeschoben zu haben.
Und ich habe mich dazu entschlossen, ein Jahr im Ausland zu leben und den Schmerz, den ich an diesem Weihnachten erfahren habe, muss ich als Teil vom ganzen anerkennen. Es gehört dazu, sich auch mal einsam zu fühlen. Was ich auch bemerkenswert finde, ist die Tatsache, dass ich nun einen guten Freund aus der Heimat hier habe und mich dennoch nicht mehr oder weniger einsam fühle. Es hat sich eigentlich nichts in der Hinsicht verändert.
Was jedoch auffällig ist, seit er da ist, haben wir so gut wie nie fließendes Wasser und auch oft keinen Strom, wobei die Wasserausfälle leider überwiegen.
Und hier merke ich wieder, ein Gut wie Strom ist zwar nett, aber ich brauche es nicht zwingend zum überleben.
Mit dem Wasser hingegen sieht es anders aus, denn Wassermangel schränkt den Alltag enorm ein. Es kostet viel Zeit und Kraft, die riesigen Kanister im Büro von Franzi bergab zu füllen (und sie dann wieder gefüllt bergauf zu schleppen). Und auch hier ist es so, dass ich mich zwar darüber aufrege, stets und ständig kein Wasser zu haben, aber mir dann denke, wie viele Menschen es noch mehr auf der Erde gibt, die täglich Kilometer weit laufen müssen, um sich mit einem Minimalvorrat an Wasser zu versorgen. Es kann doch nicht sein, dass ich auf der Straße einen höchstens fünfjährigen Jungen sehe, wie er sich mit einem Kanister (20 Liter) abrackert, bei dem selbst Eric Probleme hat, ihn nach Hause zu schleppen (und ich natürlich sowieso).
Wenn ich jetzt von mir in Deutschland rede und so eine Geschichte höre, würde ich wahrscheinlich denken: „Man, das ist schlimm. Aber was kann ich dagegen schon machen?“ es gibt Hilfsorganisationen, die versprechen, sich darum zu kümmern. Aber sind sie wirklich seriös oder muss man Angst haben, dass die 10€, die man ihnen eventuell spendet, für den Flug und die Unterkunft der Mitarbeiter in einem Luxushotel draufgehen? Sich nach Organisationen umzusehen, denen man Vertrauen kann, ist für die meisten (das behaupte ich jetzt einfach mal) zu viel Aufwand. Ich habe hier zwei Menschen kennengelernt, die eine solche Organisation machen. Da ich keine Werbung machen möchte, lasse ich den Namen weg. Aber diese insgesamt vierköpfige Organisation bringt es auf die Reihe, Spenden im fünfstelligen Bereich zu sammeln – Eben weil sie transparent sind. Sie bezahlen ihren gesamten Aufenthalt incl. Flug selbst und all diejenigen, die ihrer Organisation Geld spenden, bekommen einen genauen Bericht, wofür ihr Geld verwendet wurde. Was ich damit sagen will, ist: Man kann helfen, wenn man sich nur dahinter klemmt und sich dann auch wirklich dazu entscheidet, etwas zu machen. Nicht jeder ist dafür gemacht, wie manche Leute für mehrere Jahre ins Ausland zu gehen. Dafür gibt es Entwicklungshelfer, die ausgebildet sind und meistens wissen, was sie machen.
Hierzu eine nette Anekdote: Ich habe gehört (Ob an Gerüchten etwas dran ist, wer weiß das schon?), dass sich Entwicklungshelfer aus einem europäischen Land hier in Kamerun ihren Kaffee aus der Heimat schicken lassen, weil er ihnen hier nicht schmeckt. Um der Geschichte mehr Bedeutung zu verleihen, wiederhole ich sie: Hier, in einem Land in dem die Kaffeebohne einen Großteil des Bruttoinlandproduktes ausmacht, also Kaffee überall wächst und so den Farmern ein Einkommen sichert, gibt es sogenannte Entwicklungshelfer, die dafür da sind, das Einkommen und Wohl der Einwohner zu steigern, die sich ihren Kaffee von zu Hause importieren lassen. Geht’s eigentlich noch? Und dazu kommt noch, dass der Kaffee hier verdammt gut schmeckt, wenn man nicht grade den Nescafé löslichen Kaffee erwischt, der mit unsauberem Wasser (womit wir wieder beim Thema wären) zubereitet wurde. Das ist eines der Grundprobleme von uns Europäern. Wir halten uns für so barmherzig, wenn wir für gewisse Zeit in ein unterentwickeltes Land gehen und erwarten aber dennoch, unseren Lebensstandart so hoch und gewohnt wie möglich zu erhalten. Irgendwas läuft doch da schief in unseren Köpfen! Schon alleine das Einkommen, das ich hier als Freiwillige erhalte, darf man eigentlich nicht vergleichen mit studierten, ausgebildeten Mitarbeitern. Bei Organisation X in Kamerun bekommt jemand, der Management studiert hat, insgesamt 40.000frs pro Monat. Mein Gehalt hingegen (das ist mir schon fast peinlich das zu sagen) teilt sich auf in 100€ Essensgeld, 100€ Taschengeld und 15€ Fahrtkostenzuschuss. Wenn ich richtig gerechnet habe, dann sind das 164.000frs im Monat. Dabei bin ich nicht einmal ausgebildet in dem, was ich mache. Ich will das nicht kritisieren, es ist eine Menge Geld, die ich hier aber auch brauche. Rede ich mir das ein, dass ich das Geld brauche, oder brauche ich es wirklich? In den nächsten Wochen werde ich genauer darauf achten.
Nun komme ich aber zu etwas wirklich wichtigem beziehungsweise zu etwas, das mir wirklich sehr am Herzen liegt. Ihr habt sehr oft den Namen „Phil“ in meinem Blog gelesen und oft kam dieser Name in Zusammenhang mit guten, hilfsbereiten Taten, die er vollbracht hat. Wenn man einen Menschen sucht, von dem man komplett behaupten kann, er ist eine gute Seele, dann hat man diesen Menschen in Phil gefunden. Als wir vor einiger Zeit gemütlich zusammen saßen und uns unterhalten haben über die Besonderheiten in den Industrienationen, kamen wir auf das Thema Rolltreppe. Es gibt Treppen, auf die man sich bloß zu stellen braucht und sie transportieren einen eine Etage höher. Für körperlich eingeschränkte Menschen ist das sicher praktisch, aber für den Rest? Mich jetzt über solche „Lebenserleichterungen“ lustig zu machen, kommt mir grade nicht in den Sinn. Fakt jedoch ist, das Phil noch nie mit einer Rolltreppe gefahren ist. Mit wie vielen bin ich bereits in meinem Leben gefahren? Ich kann mich nicht daran erinnern.
Okay, ich komme zum Punkt. Unser bester Freund hier wird in diesem Sommer mit der Highschool fertig und würde dann gerne ein Jahr arbeiten, bevor er etwas studiert. Wieso kann er nicht in Deutschland arbeiten? Er nimmt freiwillig (!) seit Jahren jüngere Schüler am Nachmittag bei sich auf, um ihnen mit den Hausaufgaben zu helfen. Er zieht als 17-Jähriger alleine einen Welpen (unsere Lolo) auf, geht mit ihr Spazieren und Erzieht sie. Wirklich, er ist geistig gesehen definitiv älter als die meisten Deutschen in diesem Alter. Der Gedanke, der mir kam, war folgender: Viele Leute, die mich kennen und diesen Blog verfolgen, sind Menschen mit Kindern oder kennen Familien mit Kindern. Daher habe ich eine Bitte: Vielleicht kann sich jemand vorstellen, ein Au-Pair bei sich aufzunehmen. Ich übertreibe nicht, wenn ich schreibe, dass er wirklich toll und hilfsbereit ist; und dazu noch cool! Wieso sollte ich nach Kamerun gehen; wieso sonst gibt es tausende von deutschen Jugendlichen, die mal eben als Au-Pair für ein Jahr nach Amerika, nach Kanada, nach Russland, nach Südamerika, nach Australien (…) gehen, nicht aber ein Junge aus Kamerun?
Was ich will, ist, dass ihr es euch durch den Kopf gehen lasst. Es muss nicht für ein Jahr sein, aber in meinen Augen hat Phil es wirklich verdient, den Luxus zu erleben, den wir Deutschen „Alltag“ nennen.