Ich kauere vor meinem Bett und heule. Eine SMS nach der anderen tippen meine Finger. Ich habe das Bedürfnis, die Text-Botschaften meiner Freunde wieder und wieder zu lesen. Das Fotoalbum, das mir meine besten Freundinnen zum Abschied geschenkt haben, liegt neben mir, aufgeschlagen auf einer bunten Seite mit vier lachenden Gesichtern. Darauf ist ein nasser Fleck, eine Träne hat es nicht mehr bis ins Taschentuch geschafft. John Denver singt erbarmungslos aus meinem Handy. „So kiss me and smile for me. Tell me that you wait for me. Hold me like you never let me go. Cause I’m leaving on a jetplane.” Das Lied läuft heute bei mir in der Endlosschleife. Und es berührt mich immer noch. Zu gut passt es gerade in meine Situation, zu viele schöne Erinnerungen ruft es in mein Hirn zurück. Ich hätte mehr Taschentücher kaufen sollen. Aber wer denkt denn, dass ich schon zwei Tage vor der Abreise in die USA meine geplante Wochenration verbrauche?
Übermorgen geht es also los. Übermorgen beginnt die Reise, auf die ich mich im Grunde seit meinem 11. Lebensjahr überirdisch freue. Ich habe Monate gezählt, Wochen, schließlich Tage. Ich wurde mit jedem durchgestrichenen Kästchen im Kalender aufgeregter und glücklicher.
Bis heute. Jetzt driftet der Stimmungs-Kurs steil abwärts. Totaleinbruch bei Anitas Gefühlskurve. Aktionäre meiner Stimmung würden sich die Haare raufen und verzweifelt schreien „Warum habe ich nicht gestern verkauft?“. Millionenverluste sind zu erwarten. Meine Koffer liegen halb gepackt neben mir. Auch hier sind Verluste zu erwarten. Niemals kann ich mich auf das erlaubte Gewicht beschränken. Momentan sieht der Inhalt noch mehr nach Chaos als nach der systematischen Ordnung aus, zu der mir Mama geraten hat. „Dann passt mehr rein!“, sagte sie.
Obwohl es sinnvoll wäre weiterzupacken, interessiert es mich gerade überhaupt nicht. Wo soll das nur hinführen? Ich habe jetzt schon Heimweh, obwohl ich noch nicht einmal weg bin! Ich vermisse alles, meinen routinierten Alltag, der mir immer zu langweilig erschien, die Zeit, die ich mit Freunden einfach mit sinnlosem Nichtstun verbracht habe, sogar die Menschen, für die ich noch nie auch nur einen Hauch von Sehnsucht empfunden habe.
Musik, Rotz und Wasser
Ich sollte den zweiten Koffer füllen und den ersten umordnen. Ich sollte mich freuen, wie verrückt. Ich sollte meiner Gastfamilie noch eine Mail schreiben. Ich sollte endlich einmal zufrieden sein, weil sich bald mein allergrößter Traum erfüllt. Was mache ich statt all dieser sinnvollen Taten!? Ich sitze auf einem von Kleidungsstücken und Dokumenten übersäten Boden, lese mit zittrigen Fingern Abschiedsgrüße, höre schnulzige Herzschmerz-Musik und heule Rotz und Wasser.
Die unbändige Freude der letzten Wochen wird zu mir zurückfinden, da bin ich mir ganz sicher. Aber jetzt muss mein Kissen noch tapfer die Tränen-Wimperntusche-Tortur über sich ergehen lassen. „Now the time has come to leave you. One more time let me kiss you. Close your eyes and I’ll be on my way.” Danke, John, für die aufmunternden Worte.
Text: Anita Edenhofner
Titelbild: pixelio.de/ Rainer Sturm
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Zufall oder nicht ich weiß es nicht.
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Allerdings heißt es für mich statt 5 Monate USA, 11 Monate China.
Deine Gefühlslage kenne ich sehr gut.
Diese Lied begleietet mich schon seit einigen Wochen... und tut es sogar jetzt noch während ich schon in China bin.
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