Verratet eure Namen nicht, wenn ihr verhaftet werdet!
62 Jahre nach der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg blasen die Nazis zum "Trauermarsch". Sie sehen sich etwa 5.500 Gegendemonstranten ausgesetzt. SPIESSER-Autorin Antonie geht links mit.
14. February 2007 - 03:24 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
"Heute sehe ich doch genauso aus wie die." Die 20-jährige Maria* hat keine Angst vor den vermummten Typen mit den Sonnenbrillen, die ein paar Schritte entfernt stehen. Das Gesicht der 20-Jährigen ist unter der Kapuze kaum zu erkennen. Der Schal vor ihrem Mund macht die Worte nur schwer verständlich. Sie möchte nicht erkannt werden. "Schließlich geht es hier darum, eine Nazidemo zu blockieren", erklärt sie mir. In der Hand hält sie ein Transparent: "Bei uns wird Courage großgeschrieben", steht drauf. Die Farbe ist noch feucht - und hat bei dem Regen auch keine Chance, zu trocknen.
Es ist der 13. Februar in Dresden, Gedenktag an den Bombenabwurf auf die Stadt im Jahr 1945. Wie jedes Jahr gibt es eine genehmigte Nazidemo, und wie jedes Jahr gibt es jede Menge Leute, die sich das nicht gefallen lassen wollen. Neben Linksextremen haben sich auch Menschen wie Maria für die von der Antifa organisierte Gegendemo "Deconstruct" entschieden. Denn ihrer Meinung nach ist die geplante Blockade des Naziaufmarsches ein stärkeres Zeichen als das einfache "Rumlatschen" in der Stadt.
Der Song "Krawall und Remmidemmi" dröhnt über den Platz vor der Altmarktgalerie, dem Treffpunkt der Demonstranten. Mehr Klischee geht nicht. Auch Polizei hat sich auf Remmidemmi eingestellt: Die Spitze der Demonstranten ist umstellt, und jeder, der sich anschließen möchte, wird kontrolliert. Ein paar betrunkene Punks werden nicht durchgelassen. Einer der grünen Ritter hat sich einen Feuerlöscher auf den Rücken geschnallt.
"Bei diesem Scheiß machen wir nicht mit. Nie wieder Deutschland."
Jonas*, ein Freund von Maria, konnte die Polizeikontrolle gerade hinter sich bringen. Es ist 17.30 Uhr, und keiner der Demonstranten hat sich bisher vom Fleck bewegt. Aus dem Lautsprecherwagen - liebevoll "Lauti" genannt - werden ständig holprige Reden gehalten: "Die Stadt ist sich nicht zu blöde, die Nazis an der Synagoge vorbeimarschieren zu lassen. Bei diesem Scheiß machen wir nicht mit. Nie wieder Deutschland."
Wer die Parolen ausgibt, ist nicht zu erkennen. Und der Lauti wurde mit einem riesigen Plakat verhüllt: "Deutsche Täter sind keine Opfer" steht darauf. Und für diejenigen, die mit Kameras herumlaufen, gibt es auch eine klare Ansage: "Wir wollen, dass alle abhauen, die vorhaben, unsere Demonstranten zu fotografieren oder zu filmen." Jeder scheint hier strengstens auf seine Anonymität zu achten. Es wird kaum geredet, selbst Marie und Jonas sind wortkarg, bis sie lauthals in den Nazis-raus-Chor einstimmen. Mit diesem Schlachtruf beginnt die Demonstration. Es wird noch kurz die zu wählende Nummer ausgegeben, um einen festgenommenen Teilnehmer zu melden. Schließlich soll heute die Nazidemo blockiert werden. Das ist eine Straftat.
Aus dem Lauti trällert jetzt Madonna. Maria hat sich bei Jonas untergehakt. Die Demonstranten sollen sich in geschlossenen Reihen vorwärts bewegen. Vorn an der Spitze flattern Antifa-Flaggen, Englandfahnen und eine Kommunistenfahne. Eine Lautsprecherstimme fordert die Polizisten auf, nicht vor dem vordersten Transparent herumzuhampeln - denn so sei es ja nicht zu sehen.
Die Stimmung ist ruhig, viele der Kapuzenträger haben ihre Sonnenbrillen abgesetzt. Der Zug läuft an der Prager Straße, Dresdens großer Einkaufsstraße, entlang. Leute, die skeptisch die Demonstration beäugen, stehen auf den Gehwegen. Mal wieder Zeit für den Lauti: "Wir sind 1500 Demonstranten, auf Naziseite gibt es nur 200." Ich bin mir nicht sicher, ob die Frauenstimme vielleicht die vielen Polizeiwagen samt Besatzung mitgezählt hat, die sich hinter uns bewegen. In den ersten Schlagzeilen wird später von 1800 Nazis die Rede sein.
"Versucht, sie zu kippen!"
Plötzlich stockt die Demonstration mitten auf dem Pirnaischen Platz. Jonas zerrt Maria nach vorn, dorthin, wo die Polizisten den Weg versperren. Auf der anderen Straßenseite sollen angeblich die Nazis vorbeikommen. "Blockiert die Nazidemo und denkt daran: Wenn ihr festgenommen werdet, verratet nicht eure Namen. Die Demonstration ist hiermit aufgelöst." Plötzlich fliegen Feuerwerkskörper nach vorn. Es knallt. Einige Polizisten treten nach den Demonstranten, einer zieht seinen Schlagstock und richtet ihn auf einen Punk. "Sammelt euch!", ruft es aus der schiebenden Menge. "Versucht, sie zu kippen!" Anscheinend haben die Polizisten auf der rechten Seite eine Lücke entstehen lassen, denn die zuvor schiebende Meute läuft jetzt ungehindert los. Maria und Jonas sind verschwunden. Wahrscheinlich blockieren sie gemeinsam mit den anderen die Straße vor der Dresdner Synagoge, wo vermutlich die Nazis vorbeikommen werden. Doch sie kommen nicht, laufen unten an den Elbwiesen entlang. Ein Mädchen mit pinken Haaren läuft hektisch zu ihre Freundinnen. Die große Meute löst sich in kleine Rudel auf, die versuchen, nach unten ans Elbufer zu kommen. Wenn sie einzelne Nazis erwischen, wird es auf jeden Fall krachen. "Andersrum ist es aber genauso wahrscheinlich", hat Jonas noch vor Beginn der Demo gesagt.
Für viele endet die Jagd auf die Nazis schließlich auf der Demokratiemeile, einer Ansammlung von Ständen der verschiedenen Parteien. Einige Punks versuchen, letzte Kräfte zu mobilisieren. "Wir brauchen noch Verstärkung, um den Zaun bei den Bullen kaputtzumachen", sagt einer. Doch niemand will mitmachen. Manche empfangen die ankommenden 5.500 Teilnehmer der Paralleldemonstration "Gehdenken". Unter ihnen ist auch Feli. Feli war vor einem Jahr dabei, als es Antifa und Bürger tatsächlich schafften, den Naziaufmarsch durch einen spontanen Sitzstreik auf der Augustusbrücke zu stoppen. Mitglieder der Antifa saßen neben Politikern aus anderen Parteien, Schülern und Studenten. "Es gab damals keine Provokationen, alles lief friedlich ab", sagt die Studentin. Die Polizei sah da von einer Räumung der Demonstranten ab.
Heute werden alle wichtigen Brücken von Polizeiwagen blockiert. Ein Pärchen versucht verzweifelt, auf die Neustädter Seite zu kommen. "Ich kann Sie hier auf gar keinen Fall durchlassen. Hinter der Semperoper stehen jede Menge Nazis", sagt ein Polizist.
Text: Antonie Rietzschel
* Namen von der Redaktion geändert
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