Studentenrevolte? Ganz klare Assoziationen: Die guten alten 68er, Peace-Buttons und, tja, Studenten. In Dresden sieht das heute ein bisschen anders aus: Ein Zirkuszelt mitten auf dem Campus der TU Dresden. Kleinere Zeltplatzzelte säumen den Weg. Und in der Manege? Wortakrobatik auf der Lesebühne, musikalisch untermalt.
Du organisierst also den Bildungsstreik in Dresden.
Martin: Als einer von vielen. In unserer Gruppe haben wir die Aufgaben aufgeteilt und organisieren alle gemeinsam. Ich zum Beispiel bin Pressesprecher. Jeder steckt da unheimlich viel Zeit und Arbeit hinein.
Welche Veränderungen wollt ihr denn speziell für eure Stadt erwirken?
Wie alle anderen Studenten kritisieren wir auch die mangelhafte Umsetzung der Bologna-Bestimmungen, also die katastrophalen Zustände bei der Einführung von Bachelor und Master. Um konkreter zu werden: Die enorme Zeitbelastung ist ein großes Thema. Der Stress wird immer größer. Viele sagen, der Prüfungsdruck sei so hoch, als schreibe man jedes Semester ein Abitur. Die Zeit zu Arbeiten oder für Engagements fehlt.
Das muss geändert werden! Und zwar nicht morgen, sondern schon heute, weil die Studenten jetzt ihre Ausbildung machen und nicht in zwei Jahren. Die Forderungen beschränken sich natürlich nicht nur auf die Hochschulen. Der Bildungsstreik richtet sich auch ganz speziell an die Schulen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Schülern?
Bisher war es in Dresden eher mäßig. Soweit ich weiß, ging der Protest in anderen Städten sogar eher von den Schülern aus. Bei uns versuchen die Stadtschülerräte wenigstens für die Demo einige Jüngere zu mobilisieren.
Euer Protest trägt den Beinamen “Streik”. Geht ihr die ganze Woche nicht zur Uni?
Wir wollen den Studenten die Möglichkeit bieten, konstruktiv zu streiken. Statt der regulären Vorlesungen und Seminare können sie sich das anhören, was wir zu bieten haben. Dabei können sie diskutieren, sich in Arbeitsgruppen eingliedern und einzelne Punkte in unserer Forderungsliste ausarbeiten. Sie können sich auch mit Aktionsideen einbringen, die über diese Woche hinaus gehen. Ich persönlich werde die ganze Woche streiken, so auch viele andere Studenten.
Wie gehen die Professoren mit dem Bildungsstreik um?
Wir haben sie aufgefordert, keine Einschreibelisten rumgehen zu lassen, damit niemandem ein Nachteil daraus entsteht, dass er an diesem Streik teilnimmt. Darauf kamen unterschiedliche Reaktionen. Einige finden die Aktion klasse. Ein Professor hat zum Beispiel gesagt: “Wenn ich sie wäre, dann wäre ich schon längst auf der Straße!“ Vom Großteil kam gar keine Antwort und einige fanden das auch unangebracht.
Zum Teil werden die vielleicht Angst um ihre Stelle oder ihren Ruf haben und sich deshalb nicht aktiv am Bildungsstreik beteiligen. Außerdem betrifft es sie auch nur indirekt.
Ihr fordert die Umsetzung des Bologna-Systems. Wieso diese vorwärts gewandte Forderung, wieso nicht wieder das gute alte Diplom?
Mittlerweile meint jeder Politiker, man könne den Bologna-Prozess nicht umkehren. Im Prinzip beinhaltet der ja auch äußerst vorteilhafte Ideen für die Studenten. Was da drin steht ist eigentlich fantastisch. Es scheitert nur an der Umsetzung. Darum kämpfen wir: Für die Einhaltung der uns zustehenden Rechte und der realen politischen Ziele, die schon fest verankert sind. Denn Bologna war eigentlich dazu gedacht, die studentische Mobilität innerhalb Europas zu erhöhen und zum Beispiel Auslandssemester für die Studenten zu erleichtern. Nur leider ist das Gegenteil eingetreten. Die Zahlen der Erasmus-Studenten sind rückläufig. Ein anderer Aspekt ist die Einführung der Credit-Points, die ursprünglich einmal dafür gedacht waren, das Vor- und Nacharbeiten von Vorlesungen konkret im Stundenplan zu berücksichtigen. Eigentlich eine super Sache, die so jedoch überhaupt nicht berücksichtigt wird. genau so steht es um die internationale Vergleichbarkeit.
Es wird schwer, den Prozess umzukehren. Man sollte ihn weiterentwickeln und etwas sehr Gutes daraus machen. Das Potential ist da. Auch in diesem System. In Bologna steht ja auch, dass lokale Besonderheiten gefördert werden sollen. Es war gar nicht unbedingt vorgesehen, dass das Diplom komplett abgeschafft wird.
Gibt es auch Studenten, die diese Protestaktion total ablehnen oder sich überhaupt nicht dafür interessieren?
Auf totale Ablehnung stößt man selten. Die kommen auch nicht her, um mit uns zu diskutieren. Manche Aktionen von uns werden von einigen Studenten kritisch betrachtet, aber das ist durchaus normal.
Welche Aktionen?
Zum Beispiel, dass wir den Fritz-Förster-Platz für einige Minuten blockiert haben.
Minuten nur?
Ja! Minuten nur! Selbst das stößt auf Naserümpfen bei einigen Studenten. Sie fragen sich, was das soll, vielleicht sehen sie sich in der Position der Autofahrer, die blockiert werden und dann zu spät zur Arbeit kommen. Einige mochten es auch nicht, dass Leute von uns in laufende Vorlesungen eingedrungen sind und für den Bildungsstreik Werbung gemacht haben. Der Höhepunkt wird natürlich die große Demonstration am Mittwoch.
Könnt ihr eure Ziele mit solchen Aktionen wirklich durchsetzen?
Es haftet studentischen Protesten an, dass man dabei denkt “ach, die schon wieder” oder “die haben ja immer etwas zu meckern”, aber diese Aktionswoche hat großes Potential, wirklich etwas zu verändern, eben weil sie bundesweit und koordiniert stattfindet. Früher gab es einzelne Proteste, die jedoch nicht miteinander in Beziehung standen. Aber dass studentische Proteste etwas bringen, davon bin ich überzeugt und es gibt auch Beispiele dafür. In Hessen wurde zum Beispiel die Einführung der Studiengebühren rückgängig gemacht, in Frankreich wurde durch die massiven Proteste an den Hochschulen das Gesetz zur Lockerung des Kündigungsschutzes bei unter 25jährigen rückgängig gemacht.
Bei dieser Protestwelle werden wir mindestens eine Diskussion anstoßen, damit auch die Bevölkerung auf die Missstände aufmerksam gemacht wird. Die Welt soll sehen, dass irgendetwas massiv nicht stimmt. Denn wenn so viele Studenten an so vielen Orten protestieren, dann kann man einfach nicht mehr wegsehen. Und dann wird sich auch etwas ändern.
Du hast gerade Frankreich erwähnt. Dort fallen Proteste ja meist relativ extrem aus. Da brennt auch mal ein Auto. Wie weit würdet ihr gehen?
Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Wir haben den Open Campus hier bei der Universität angemeldet. So etwas wird natürlich nur genehmigt, wenn wir lieb sind. Das war auch von Anfang an unser Anspruch. Nichtsdestotrotz wollen wir mit diesem Open Campus den Studenten die Möglichkeit bieten, ihren Protest auf individuelle Weise auszuführen. Der Bildungsstreik ist sehr offen, niemand ist gezwungen, sich irgendwelchen Regeln zu unterwerfen. Wenn jemand eine Besetzung organisieren will und es auch schafft, dann werden wir uns nicht wirklich von ihm distanzieren. Wir werden sagen, dass wir es nicht organisiert haben, es aber als Zeichen des Protestes und als Zeichen des Bildungsstreikes anerkennen. Barrikaden wurden auch heute bei uns im Plenum diskutiert. Dazu wird es wohl nicht kommen. Radikale und vorschnelle Proteste kommen bei den Studenten nicht gut an. Aber kreative und bunte Aktionen werden mit großer Begeisterung aufgenommen. Wir haben gerade erst diskutiert, ob wir die Stühle in den Gang räumen und damit eine Barrikade bauen. Wir halten das für eine nicht so schöne Aktion, als Alternative haben wir beschlossen, die Stühle in den Seminarräumen in eine Kreisform zu bringen, vielleicht sogar mit einem vorbereiteten Diskussionsthema in der Mitte. Das soll dazu einladen, nachzudenken.