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Parkour: Dem Kopf klar machen, was die Beine können sollen

Traceure - das sind die Jungs und Mädels, die durch Städte rennen und dabei jedes Hindernis, das sich ihnen in den Weg stellt, elegant überspringen. Das sieht toll aus, ist aber gar nicht so leicht. SPIESSER-Autor Julian hat sich in Berlin an ein paar Mauern versucht. 

08. May 2007 - 11:15
SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
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Beigetreten: 25.04.2009

Die sprichwörtliche Ader pulsiert auf Bens Stirn schon seit einigen Sekunden. Auch der Rest des Körpers des 20-Jährigen strahlt volle Konzentration aus. Ben steht einige Schritte von einer Mauer auf dem Berliner Velodrom entfernt. Sie ist etwa einen Meter hoch, hinter ihr geht es geschätzte drei in die Tiefe.

Doch diese Zahlen sind gerade unwichtig. Wichtig ist die zweite Mauer, etwa zwei Meter hinter der ersten. Sie ist Bens Ziel - auch wenn er sie im Moment nicht sehen kann. Schließlich rennt er los, stößt sich mit dem Fuß auf der ersten Mauer ab und landet nach hohem Bogen punktgenau auf der Zweiten. Er atmet tief durch. Geschafft. Ben ist kein lebensmüder Adrenalinjunkie, Ben ist Traceur. So nennen sich die Betreiber der relativ neuen Sportart Parkour, die mittlerweile auch in Deutschland Fuß fasst.

Bei Parkour geht es darum, Hindernisse möglichst schnell zu überwinden. Mit Show hat das nichts zu tun Bewegungen wie Saltos, die den Traceur verlangsamen würden, gehören nicht ins Repertoire ernsthafter Parkourbetreiber. Und auch Worte wie Extremsport hören sie ungern. Parkour hat eigentlich einen sehr philosophischen Charakter, sagt Ben, es geht um die Effizienz der Bewegung, um das Überwinden von Hindernissen und das geschieht erstmal im Kopf.


Wie Recht er damit hat. Ich stehe auf einer kleinen Betonmauer, vielleicht ein Meter hoch. Die nächste ist grob zwei Meter entfernt - keine Distanz, die einen erfolgreichen Teilnehmer der Bundesjugendspiele schockieren sollte. Doch der harte Betonboden einen Meter unter mir hält mich davon ab einfach so drauflos zu springen. Und auch als ich mir endlich ein Herz fasse und es wenigstens versuche, bin ich mir sehr sicher, dass ich mir gleich sehr weh zu tun werde.

Sehr weh tut es dann doch nicht, aber eine saubere Landung sieht anders aus. Gut, dass ich nicht allein bin. An diesem Samstag finden überall in Deutschland Parkourtrainings für Anfänger statt. Ans Berliner Velodrom sind etwa 30 Teilnehmer gekommen, auch wenn die wenigsten wirklich völlig unerfahren sind. Bens Team ADD führt die Neulinge an die Betonwüste heran. Der Ort bietet sich mit seinen vielen Treppen, Mauern und Geländern für den Sport nur so an. Das liegt nahe, ist er doch in den Banlieu, den Vorstädten französischer Metropolen entstanden, die durch ihre Klotzarchitektur aus Beton in verschiedensten Grautönen dem Dach des Velodroms beängstigend ähneln.


Julian studiert in Berlin
- da tut ein bisschen
sportlicher Ausgleich
manchmal ganz gut.
Foto: privat

Workshops für Anfänger sind wichtig - nicht nur weil sie Parkour einem größeren Publikum bekannt machen, sondern auch weil sie vor Hormonen übersprudelnde Selbstüberschätzer vor allzu brutalen Landungen auf dem harten Betonboden der Tatsachen bewahren. "Es passiert immer wieder, dass 16- oder 17-Jährige im Internet Videos sehen und die Bewegungen dann ohne Training nachmachen wollen", erklärt Ben. "Wir versuchen dann auf sie aufzupassen, denn Sicherheit geht auf jeden Fall vor. Sie muss aber im Kopf entstehen. Wenn ich weiß, dass ich drei Meter auf dem Boden springen kann, dann kann ich das natürlich auch in zehn Metern Höhe. Aber das muss man seinem Kopf erstmal klar machen."

Der nächste Schritt für mich blutigen Anfänger ist es also, meinem Kopf klar zu machen, was meine Beine können sollten. Ich suche kleine Erfolgserlebnisse: Runter von der gefährlichen Mauer und erstmal auf dem sicheren Boden, Selbstvertrauen tanken. Ich springe die Distanz zwischen den beiden Mauern auf ebener Erde und stelle schnell fest, dass mein Kopf vielleicht gar nicht so Unrecht hatte. So ein zielgenauer Sprung ist nicht leicht. Ich muss den Schwung richtig abschätzen, das Gleichgewicht halten und darf natürlich nicht zu weit springen. Ziemlich viele Aufgaben für mein müdes Gehirn.

Vielleicht ist es also besser, die Mauer erstmal kennen zu lernen. Denn auch das Abschätzen von Höhen und Abständen gehört zu Parkour. Ich suche mir also erstmal eine Mauer und versuche dann, möglichst schnell hinüber zu springen. Das geht schon besser. Ich merke, wie meine Bewegungen immer flüssiger werden, die Landungen genauer. Ein schöner Erfolg, aber auch der einzige für den Tag.

Mehr muss nicht sein, denn wenn ich heute eins gelernt habe, dann den Respekt vor scheinbar einfachen Aufgaben. Den sollten auch erfahrene Traceure nicht verlieren. Ben kann mittlerweile drei Meter aus dem Stand springen, überwindet Hindernisse in 10 Metern Höhe - trotzdem behandelt er jede neue Aufgabe wieder mit dem gleichen Respekt wie die vorherige, und dass obwohl er mindestens alle zwei Tage 3 bis 5 Stunden trainiert. Parkour kann also ein Leistungssport sein, lebt jedoch auch davon, dass jeder mit einem paar ordentlicher Schuhe, einer Jogginghose und einem Sweatshirt mitmachen kann.

Tipps bekommt man von erfahrenen Traceuren im Internet unter www.parkourone.de und www.teamadd.de. Bens Team bietet auch weiter Trainings für Anfänger an, und zwar jeden zweiten Samstag im Monat am Velodrom in Berlin.

Text: Julian Heissler

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