1. Wie alles begann
Als wir uns kennenlernten - da war das alles wie ein Traum. Ich war damals ja noch in einer Beziehung und war der Überzeugung, diese sei felsenfest – trotz vieler Schwierigkeiten.
Aber zu ihm fühlte ich mich von Anfang an hingezogen. Er umwarb mich. Er gab mir seine Nummer und meinte mehrfach, ich solle ihn doch anrufen. Eine Berührung von ihm löste ein Feuer durch meinen ganzen Körper aus und fühlte sich den ganzen Tag noch gut an.
Er faszinierte mich. Ich weiss noch, wie ich bei einer unsere ersten Begegnungen zu ihm sagte „Ich werde eines Tages meinen Hund heiraten.“ – Er antwortete: „Nein, sag sowas nicht. Vielleicht hast du den Richtigen schon kennengelernt und weisst es nur noch nicht.“
Ich war damals gerade dabei umzuziehen. Mit ihm verbrachte ich meine erste Nacht in meiner neuen Wohnung. Er blieb damals nur zwei Tage, weil er noch einiges in M-Stadt zu erledigen hatte.
Daraufhin hörte ich zwei Wochen garnichts von ihm. Ich wusste von seiner Sucht, allerdings hatte er mir oft glaubhaft gemacht, wenn er einen Rückfall haben würde, was er keinesfalls möchte, dann niewieder mit Spritze. Er war zu dem Zeitpunkt clean. Darüber machte ich mir keine Sorgen.
Ich hatte fast gedacht, er hat mich vergessen, verarscht, was auch immer. Aber nach zwei Wochen kam eine SMS von ihm, sein Akku sei leer gewesen und das Ladekabel war wohl in der Wohnung seiner Eltern, die erst dann aus dem Urlaub gekommen waren,
Er schrieb, er wolle das Wochenende zu mir kommen, und dass er mich vermisst habe.
Ich war hocherfreut und so kam er dann auch. Er war nicht dass was man sich unter großer Liebe vorstellt. Ich liebte ihn, ja. Aber wenn wir schlafen gingen, dann gab es kein kuscheln oder sowas. Später sagte er auch, damals hatte er da garkein Interesse dran. Er machte auch kein Geheimnis daraus, dass er nicht an Liebe glaube. Dennoch wurden aus dem Wochenende zwei Wochen und er war lieb und nett. Er kümmerte sich um alles in der Wohnung während ich arbeitete, wenn ich nach Hause kam war alles getan. Es war sehr schön mit ihm. Er gab mir ein gutes Gefühl und freute sich, wenn ich heimkam.
Ich erinnere mich genau eines Abends, als ich ein Gespräch mit meiner damaligen Mitbewohnerin im Zimmer saß und sprach, da hat er in der Zwischenzeit die Fenster geputzt, sich geduscht, Essen gekocht und mich dann geholt. Essen und Kerzenlicht und dann hat er sich einen Bart rasiert gehabt, den ich mir immer gewünscht hatte. So einen Kinnbart, lach.
Ich saß ihm gegenüber und dachte mir „Wer ist dieser Mann?“
Nach diesen zwei Wochen habe ich ihn dann an einem Wochenende in M-Stadt besucht. Ich kannte mich ja garnicht aus dort – war das erste Mal in dieser Stadt und fuhr mit einer Mitfahrgelegenheit. Er schrieb mir damals eine SMS „Ich hole dich von überall ab.“
Ich lernte seine Eltern kennen, in deren Haus er eine Wohnung hatte und verbrachte schöne Tage mit ihm. Seine Mutter küsste mich gleich und sagte „Ich hoffe, du wirst meine Schwiegertochter!“
An einem Abend gingen wir etwas trinken und kamen erst gegen 1Uhr nach Hause. Da gab es mächtig Streit mit der Mutter. Also Streit ist untertrieben. Sie schrie, dass er auf die schiefe Bahn gerate, und ihn ins „Pennerhaus“ schicke. Das war damals krass für mich, aber im Vergleich zu später nur ein geringer Anfang. Er wirkte damals sehr stabil auf mich und sagte auch „Wenns mir immer so ginge wie jetzt, so stabil, kein Problem.“ Ich glaube, der Streit mit der Mutter, er käme auf die schiefe Bahn und so weiter, hat ihn sehr fertig gemacht. Und sie hatte eiskalte Angst.
Ja, dann wollte er wieder ein Wochenende kommen – und er wurden erneut zwei Wochen daraus.
Zwischendurch telefonierten wir halt ab und an Mal – aber nicht täglich.
Ich schätzte es, dass wir oft nachts aufwachten und nicht sofort versuchten, einzuschlafen. Wir redeten und redeten – mitten in der Nacht. Das war sehr schön. Es gab auch so kleine Angewohnheiten, die sich langsam einbürgerten. Zum Beispiel ihm morgens seinen Kaffee zu bringen. Am Anfang dachte ich „So ein Macho – vergiss es.“ Aber irgendwann merkte ich, der tut soviel für mich, der gibt soviel zurück, was tuts mir weh, ihm morgens seinen Kaffee zu bringen.
Naja und einmal, da hab ich irgendwas zu ihm gesagt, gemeckert, als er nachts aufgestanden ist. Da hat er sich umgedreht und zu mir gesagt „Ich liebe dich.“ Und ich antwortete „Was laberst du für einen Scheiss, du glaubst doch garnicht an die Liebe.“ – „Vielleicht glaube ich langsam daran.“
So hat sich das langsam entwickelt. Also bei ihm vor allem, die Liebe, wie eine zarte Pflanze. Wir haben dann auch langsam öfter gekuschelt und sowas. Sind Arm in Arm eingeschlafen.
Ich würde niemals sagen, dass ich ihn nicht geliebt hab am Anfang, ich war damals schon verknallt. Aber er war jemand, bei dem hatte ich das Gefühl – er wurde mit jedem Tag mehr.
Als er damals bei mir war, äußerte er das erste Mal Sorgen, was ich machen würde, wenn er einen Rückfall baut. Ich sagte eben, man müsse damit umgehen und weitermachen. Ein paar Tage später, machte er seinen Rückfall offen. Er sagte, sonst sei es ihm immer egal gewesen, was die Frauen dazu sagen. Ist ja seine Sache. Aber bei mir sei es ihm unangenehm und er wolle keine Geheimnisse haben. Er sagte, wenn er dann wieder nach M-Stadt ginge, wolle er Entzug machen – dort fiele ihm das leichter, mit seiner Anlage und der Musik. Ja.
Er fuhr dann wieder und wir telefonierten weiterhin sporadisch – ich hatte dann auch ein Wochenende keine Zeit und fuhr dann zwei Wochen später wieder zu ihm. Vorher kurz vorher rief mich seine Mutter abends total verzweifelt an. Er sei unterwegs zu einem Geburtstag, aber das sei eine Ausrede und ich solle ihn sofort nach Hause holen – und sie weinte. Ich wusste garnicht was ich machen soll – sie war auch so unbremsbar und hysterisch. Ich versuchte sie zu beruhigen und meinte, der macht schon keinen Scheiss. Ich hab ihn dann eben auch angerufen und er hat mir gesagt, er geht irgendwie zu Freunden und dass seine Mutter so übertreibe. Dann war sein Handy aus.
2. Die erste Substitution
Ich konnte da ja auch nichts weiter ausrichten. Naja am nächsten Tag bin ich ja dann eh hingefahren. Da hat mich der Vater schon empfangen und sagte, er sei wohl erst gegen Mittag des Folgetages heimgekommen und dass er ganz schlecht ausgesehen habe. Er denkt, er sei wieder zur Substitution gegangen.
Was an diesem Abend war stellte sich später heraus. Seine Eltern sind beide sehr kontrollierend. Seine Mutter besonders und beide reden und reden sehr ausschweifig. Sehr anstrengend und das hat er auf Dauer nicht gepackt. Vielleicht waren die Drogen das Einzige, wo er mal die Kontrolle hatte.
Jedenfalls an dem Abend war er unterwegs und sagte er sei 18Uhr zurück. Schon eine Minute vor 18Uhr rief die Mutter in an, wo er sei. In diesem Moment traf er dann die Entscheidung, nicht nach Hause zu gehen.
Ja, also ich bin dann zu ihm rauf. Er freute sich sehr mich zu sehen, aber er war auch wahnsinnig kaputt. Ich fragte noch „Substi?“ und er nickte und sagte „Habs in letzter Zeit echt bissl übertrieben“. Da wusste er nicht, was noch kommen würde.
Für mich war das irgendwie, nicht SO schlimm. Klar war es nicht schön, aber ich hab halt gedacht man muss denken wie es weitergeht, anstatt zu meckern. Dass ich die Kraft dazu damals hatte, hat ihm, denke ich auch geholfen. Wir waren die ganze Zeit wie so eine Insel im Sturm. Unsere Beziehung – voller Harmonie. Darum tobten die sehr schwierigen Eltern, die Drogenproblematik. Aber wir hatten uns, und das war viel. Das war nicht selbstverständlich.
Wenn mir kalt war, deckte er mich zu. Das tat er auch immer, wenn er nachts feststellte, dass ich aufgedeckt war. Wenn ich rauchte, brachte er mir den Aschenbecher. Das bedeutete für mich so unendlich viel. Er gab mir Wert und ich ihm auch.
Seine Eltern wollten ihn damals auf die Strasse setzen, also machte ich mich stark für ihn und sagte, er solle zu mir kommen. Mit mir wohnen. Er hatte große Angst vor N-Stadt. Er hatte die Drogenszene hier ja schon kennengelernt. Aber letztlich hatte er nicht viel Wahl und ich denke, es hat ihn damals auch zu mir gezogen.
Bis er zu mir konnte, brauchte er aber eine Überweisung und musste noch einige Tage warten. In dieser Zeit schrieb er mir jeden Morgen eine SMS auf Türkisch, aber so, dass ich sie noch verstand.
Und wenn es nur ein Guten Morgen war. Ich fand das damals unendlich liebenswert und schön.
In N-Stadt dann hatte er Selbstständigkeit, Verständnis, Empathie und Ruhe – das Gegenteil von dem daheim. Ich glaub auch, das hat ihm gut getan. Genau wie auch diese Beziehung. Wir stritten nie und ich glaube, eine harmonievolle Beziehung – das war etwas was ihm vorwärtshalf. Und ich gab ihm Wert. Ein Gefühl, dass er geliebt und gebraucht wird, wie er ist. Ich kann das nicht genau einschätzen, aber ich glaube, SO hat er das sehr selten erlebt.
Er sagte mir auch einmal, dass ich die erste Frau sei, die mit seinen Aggressionen, wenn ihn etwas ärgerte, umgehen konnte. Später sagte er auch, ich sei die erste, die ihn irgendwie halten konnte, wenn es um die Drogen ging. Das hätte keine seiner Frauen zuvor geschafft. Sie hatten zum Teil auch Angst vor ihm. Ich wusste, er ist ein guter Mensch. Vielleicht besser als wir alle zusammen. Ich wusste, ich brauchte vor ihm nichts zu befürchten. Das ist nicht so, dass ich keinen Respekt hatte – den hatte ich vor natürlich. Aber ich wusste, er ist ein großartiger Mann, mein Mann und er würde nie die Hand gegen mich erheben. Dieser Mann gab mir…Heimat. Er akzeptierte mich, wie ich war. Mit meinen Makeln und Fehlern – das war für mich neu und tat gut. Ich glaube, das war gut für ihn damals, das man so zu erleben.
Dieser nicht selbst bewältigbare Rückfall und Substitution war dann irgendwo sein Beinbruch. Er kam die Monate danach nichtmehr auf die Beine.
Seine Eltern drohten stetig damit, ihn in die Türkei zu schicken. Das war sehr schwer für mich. Allgemein war das schwer. Ich meine, wäre da nur seine Abhängigkeit und seine sensible Persönlichkeit, damit hätte ich vielleicht noch umgehen können. Also einfach ist das nicht, schon klar. Aber dazu immer meine Eltern, die wissen wollten, was da ist. Und dann immer der stetige Kampf mit seinen Eltern. Ich hab auch öfters Dinge verschwiegen – einerseits weil ich nicht die Auskunft bin und weil ich wusste, mit ihnen wäre da nicht zu reden. Aber dieser Kampf rundherum, dieses zerreissen, das war wirklich anstrengend und hat mich viel meiner Kraft gekostet. Die extrem klammernde, liebende Mutter, die immer weiss was Richtig und Falsch ist, die hat sich nämlich auch in 13 Jahren nicht mal damit auseinandergesetzt, was das für eine Krankheit ist, die da ihr Sohn hat.
Also in N-Stadt lief dann alles verhältnismäßig gut ab. Selbstständigkeit, Ruhe – das tat gut. Und wir hatten eben uns.