In der Türkei protestieren die Menschen seit vielen Monaten gegen Regierung und Staatsapparat. Die Polizeigewalt, der Vorwurf von Wahlfälschungen und das Missmanagement der Regierung, wie beim Bergwerksunglück von Soma, bestimmen das alltägliche Leben. SPIESSER-Autor Enis ist gerade am Bosporus und sagt euch, was Sache ist.
Die Istiklal Caddesi in Istanbul – immer viel los! Foto: Flickr-User anaru(CC BY 2.0)
Von wegen Unabhängigkeit. Die Istanbuler Istiklal Caddesi – die „Allee der Unabhängigkeit“ – ist nahe des Taksimplatzes gelegen nicht nur eine der belebtesten Straßen der Türkei, sondern auch Zentrum politischer Auseinandersetzung. Nach Gründung der türkischen Republik im Oktober 1923 wurde sie zu Ehren des türkischen Siegs gegen die Alliierten in Istiklal Caddesi umbenannt.
„Gaz yemek“
Gegen Ende des letzten Jahres fing dann alles an: Twitter und Youtube wurden erstmals gesperrt – es gab Proteste. Teile der Regierung wurde wegen Korruption verklagt und verurteilt – wieder gab es Proteste. Und schließlich fanden Ende März die Wahlen statt und laut vieler meiner türkischen Freunde auch Wahlfälschung. Was folgte, waren Proteste. Wo? Meistens auf der Istiklal. Von Unabhängigkeit jedoch keine Spur: „Gaz yemek“ – also das von der Polizeigewalt eingesetzte Gas essen – das mussten wir alle.
Unabhängigkeit? Von wegen!
Augen- und Mundschutz nicht vergessen! Foto: Figen Sirel
Um in Istanbul ohne gesundheitliche Beschwerden demonstrieren zu können, brauchen wir mindestens Augen- und Mundschutz. Denn sobald die Polizisten, ohne ausgehende Gefahr von den Demonstrierenden, die erste Gaspatrone abgeschossen haben, ist es vorbei mit der Demokratie. Dann gehen die meisten nach Hause und erholen sich vom kratzenden Gas in der Lunge. Demokratie – im Keim erstickt; im wahrsten Sinne des Wortes.
Istanbul ist ansonsten ein schöner Flecken Erde. Foto: Johanna Reichhart
Ich bin zwar nur für ein Jahr Erasmusstudent am Bosporus, jedoch ist nicht schwer mitzubekommen: Die türkische „Demokratie“ befindet sich im freien Fall Richtung Diktatur. In Istanbul spürt man förmlich die Anspannung in der Luft und man fragt sich, wann sich alles erneut entlädt – erneut nach den Gezi-Protesten vor knapp einem Jahr, die in meinen Augen unter anderem gezeigt haben: Die Türkei ist zu modern für eine Diktatur.
Doch Recep Tayyip Erdoğan, türkischer Ministerpräsident seit März 2003 und Vorsitzender der islamisch-konservativen Regierungspartei, polemisiert und provoziert. Erdoğan täuscht Souveränität vor, um seine Wähler nicht zu verlieren. Erdoğan führt die Türkei hinters Licht und widerspricht sich selbst, indem er Internetzensur mit dem Schutz desgleichen legitimiert.
Erdoğan, ein Scharlatan mit komfortabler Mehrheit?
Laut der letzten Parlamentswahlen vom 30. März 2014 führt die Regierungspartei mit über 44% der Stimmen immer noch mit großem Abstand vor der Opposition das Land an. Angeblich. Denn dass an diesem Tag in Dutzenden Städten für mehrere Stunden – mancherorts den ganzen Tag – der Strom ausgefallen ist, Wahlzettel im Dunkeln ausgewertet und sogar nicht ausgewertete Wahlzettel im Müll gefunden wurden, spielt offensichtlich keine Rolle. Innerhalb der Mahalle – der Nachbarschaft, in der die Menschen sich gegenseitig unterstützen und untereinander kennen – sind die Leute sich einig: Wahlbetrug.
Solange sich nicht verändert, wird weiter protestiert. Foto: Figen Sirel
„Wir werden Twitter ausradieren. Es ist uns egal, was die internationale Gemeinschaft sagt“, teilte Erdoğan im März der Weltöffentlichkeit mit. Twitter ausradieren? Die Meinung der internationalen Gemeinschaft ignorieren? Wohl kaum. Erdoğans Internetzensur, legitimiert durch den angeblichen Schutz des türkischen Staates, steht symbolisch für den politischen Teufelskreislauf, in dem er sich befindet: Je mehr er verbietet, desto mehr werden die Menschen sich selbst die Dinge erlauben und einen Umweg zu ihrer individuellen Freiheit finden. Einfach die DNS-Adresse des Servers verändern und schon haben wir selbst in der Türkei Zugriff auf Youtube und Twitter, so einfach kann es sein.
Die türkische Luft brennt
Auch wenn man vom Widerstand auf den Straßen gerade nicht viel mitbekommt: Die Solidarität unter den Menschen wächst stetig an, und das ist toll. Nach den von den Cops erstickten Protesten am 1. Mai scheint im Moment nur ein Funke auszureichen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Die türkische Luft brennt, spätestens seit den Gezi-Protesten, die in meinen Augen vor allem eines gezeigt haben: Unabhängigkeit muss und kann man sich wieder erkämpfen in der Türkei – und das selbst auf der Istiklal. Nur eben Augen- und Mundschutz nicht vergessen!
Autor: Enis Wilmesmeier
Teaserfoto: Figen Sirel
Dir gefällt dieser Artikel?
auf Facebook teilen auf WhatsApp teilen auf Twitter teilen auf Google+ teilen
Bahnreisen werden meistens mit Trips in benachbarte Städte oder mit Interrail in die angrenzenden europäischen Länder in Verbindung gebracht. Doch wie ist es, mit Bahn und Fähre auch über Europa hinaus auf einen anderen Kontinent zu gelangen? SPIESSER-Autorin Fabienne wollte
Nach ihrem Abitur im Sommer 2020 entschied sich SPIESSER-Autorin Rebecka für ein Gap Year. Trotz der Corona-Pandemie führte sie diese Zeit unter anderem in ein fernes, sehr religiöses Land: Mexiko. Was sie dort erlebt und über Religion und Glaube gelernt hat, beschreibt sie euch in einem Erfahrungsbericht.
Wie so viele wollte auch SPIESSER-Autorin Sophia nach dem Abitur weg. Irgendwo nach Mittel- oder Südamerika sollte es gehen, um Spanisch zu lernen und in eine fremde und faszinierende Kultur einzutauchen. Sie fand immer mehr gefallen an dem Konzept des Freiwilligendienstes und entschied sich letztendlich
Der Felsendom auf dem Tempelberg ist das prächtigste Gebäude Jerusalems und für Muslime die drittheiligste Pilgerstätte. Dieser befindet sich auf dem damaligen Ersten Tempel Salomons, der für die Juden der heiligste Ort ist. Deswegen ist der Tempelberg besonders umstritten, auch
Das Ende ihres Freiwilligendienstes in Gambia bedeutete für unsere Autorin nicht nur den Abschied von Freunden, Freundinnen und Gastfamilie, sondern auch den schmerzlichen Abschied von den Kindern aus ihrer Klasse.
Während ihres Freiwilligendienstes in einer gambischen Vorschule musste sich unsere Autorin Nana immer neue Methoden ausdenken, um die Neugierde ihrer kleinen Schülerinnen und Schüler wachzuhalten.
Zwischen drei Kilometer dickem Inlandeis und dem tosenden Nordpolarmeer fand in Grönlands Hauptstadt zum dritten Mal das Nuuk Nordisk Kulturfestival statt – ein popkultureller Mix aus Konzerten, Performances und Ausstellungen. In diesem Jahr unter dem Motto „Welcome home“. SPIESSER-Autor
Mülltrennung ist eine Praktik, an die sich die allermeisten Westeuropäer längst gewöhnt haben. Die allgemeine Vorstellung ist es, dass es immer schlechter um die Sortierung von Plastik, Papier und Biomüll steht, je östlicher man geht. Aber auch in Russland wird Mülltrennung
Während ihres Freiwilligendienstes hat sich SPIESSER-Autorin Nana nicht nur in ihr Gastland Gambia verliebt, sondern vor allem auch Freundschaft mit vielen kleinen Menschen geschlossen.
Besonders nach dem Abitur reisen viele junge Deutsche in Länder des globalen Südens, um dort einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Wie das die Menschen vor Ort und besonders in ihrer Gastregion in Gambia eigentlich finden, fragt unsere Autorin Nana in diesem Artikel.
Max und Paul, zwei 28-jährige Berliner, haben einen gemeinsamen Traum: von Berlin nach Teheran reisen. Und zwar mit dem Fahrrad. SPIESSER-Autorin Sarah hat die beiden bei einem Festival im Juli kennengelernt und fand die Idee, damit ein Spendenprojekt zu unterstützen so klasse, dass sie die
Bevor ich 2014 für einen Freiwilligendienst nach Gambia aufbrach, wussten die meisten meiner Gesprächspartnerinnen und -partner nicht mal, wo das Land liegt. Seit den Debatten um die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 ist das kleine westafrikanische Land jedoch ständig in deutschen
Wie kommt man auf die Idee, mitten in Nairobi mit einer Kamera zu stehen und einen Film drehen zu wollen? Das hat sich SPIESSER-Autorin Lotta im Nachhinein oft gefragt. Dennoch hat sie es gewagt, mit einer Idee und ganz viel Mut, es einfach mal zu machen. Ein Erfahrungsbericht.
Eine Woche war SPIESSER-Autorin Helen in Albanien unterwegs und traf dort auf viel Natur, Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Gleichzeitig jedoch auch auf ein Land, das von Auswanderung geplagt und gefangen zu sein scheint zwischen seiner kommunistischen Geschichte und Mentalität und dem Weg in die EU.
Auf einem Wanderurlaub durch die Highlands hat SPIESSER-Autorin Annika nicht nur Schottland von einer unvergesslichen Seite erlebt, sondern auch ihre Privatsphäre gesucht. Was erlebt man auf 150 Kilometern – und wie kann man trotz Hobbit Houses mal für sich alleine sein?
Euer Traum ist ein internationaler Freiwilligendienst, aber ihr wisst nicht wie ihr für dieses Jahr noch eine Stelle bekommt? Beim DRK Soziale Freiwilligendienste Mecklenburg-Vorpommern sind für den Beginn ab Sommer 2019 noch viele Stellen frei!
Russland – der Ursprung des Balletts. Nussknacker, Schwanensee und Tschaikowski hat jeder schon gehört oder gesehen. Aber wie sieht es hinter den Kulissen eines russischen Balletts aus? SPIESSER-Autorin Marie war für euch in Moskau unterwegs.
Sicherlich haben viele von euch die Tomb-Raider-Spiele gespielt oder kennen die Indiana-Jones-Filme, wo furchtlose Abenteurer die Welt retten und uralte Geheimnisse entdecken. Aber wie ist es in echt, ein Archäologe zu sein? SPIESSER-Autorin und Archäologin Marina erzählt von ihrem Arbeitsalltag.
„Irgendwas mit Medien“ – das wollen viele junge Menschen, doch der Weg dorthin ist oftmals schwierig und es gibt mehr als nur einen Weg in die Welt der Medien. Eine Möglichkeit, sich über Journalismus und Co. zu informieren, sind die Jugendmedientage, diese finden in diesem
Indonesien, der weltgrößte Inselstaat, verteilt sich auf 17.508 Inseln. SPIESSER-Autorin Anna erbte eine Faszination für das Land von ihrem Opa und reiste im Rahmen eines Seminars in ihrem Politikstudium selbst hin – ihre Erfahrungen lest ihr hier.
Unterwegs auf dem Forschungsschiff Aldebaran: Als Schüler auf einem Forschungsschiff mitfahren? Klingt unmöglich? Nein, das ist es definitiv nicht. Im April reichte ich zusammen mit zwei Freundinnen eine Projektskizze beim Meereswettbewerb der Deutschen Meeresstiftung ein. Unsere Idee: Die
Warum geht ihr auf Festivals? Wegen der coolen Stimmung? Um Gleichgesinnte in Sachen Musikgeschmack zu finden? Oder um einfach nur ein paar weitere Künstler und Bands auf eure Gesehen-Liste setzten zu können? Beim PEOPLE-Festival am 18. und 19. August im Funkhaus Berlin fand SPIESSER-Autor Paul die Antwort.
Was soll mit, was kann zuhause bleiben? Vor jedem Urlaub steht man vor der gleichen Herausforderung: Den Koffer packen. Noch schwieriger wird es jedoch, wenn man wie SPIESSER-Autorin Annika 800km durch Spanien pilgern möchte und nur das mitnehmen darf, was man auch tragen kann.
„Irgendwas mit Medien und das mal ganz woanders“, versprach ich mir von meinem Praktikum in Ghana. „Das wird ein ganz schöner Kulturschock“, entgegneten Freunde und Familie. Wie es live in Ghana wirklich war, erzählt SPIESSER-Autorin Sarah.
Unsere Tapferen vier SPIESSER Musketiere sind UNTERWEGS! Doch die Hürden, die ihnen die rauen Straßen der Bundesrepublik stellen sind nicht genug. Stellt auch ihr der SPIESSER-Truppe Travel-Challenges!
Kuba, die Insel in Sichtweite von Miami, die eine der wenigen sozialistischen Staaten dieser Welt ist, in der die Geschichte Spanisch zur Landessprache machte und beibehielt, wo Zigarren und Rum gelebtes Klischee sind, wo überall Musik aus alten Radios schallt und der Rhythmus von Salsa bereits
Als mir eine Freundin davon erzählte, konnte ich es nicht so recht glauben: Eine isolierte Inselgruppe im Nordatlantik veranstaltet ihren eigenen Music Award? Bei mehr Schafen als Einwohnern? Ganz klar, ich musste dorthin.
Eva und Jan werden diesen Sommer durch Europa wandern. Mit ihrem Projekt „Adventureland Europe“ werden sie gleich mehrere gute Zwecke von Bulgarien bis nach Spanien unterstützen. SPIESSER-Autorin Marie haben die zwei erzählt, wie sie die Welt positiv beeinflussen wollen.
SPIESSERin Lara studiert im Rahmen ihres Masters ein Semester am Moskauer MGIMO. Ihre Kommilitonen interessieren sich für Sprachen und Pelz, zu Politik und Regierung hält man sich zurück. In diesem Text erlaubt Lara euch einen Blick hinter die Kulissen der russischen Eliteuniversität.