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Maries Welt, unsere Welt

Ein Praktikum im Blindeninstitut „Eu, eu, eu!“ bringt sie mit einem Strahlen im Gesicht hervor. Marie, das Mädchen, das nicht sprechen kann. Das nicht laufen kann, nur sehr schlecht sehen kann, nicht richtig hören kann. Ein 10-jähriges Kind, fast wie ein Neugeborenes. Komplett auf Hilfe angewiesen, den meisten Gleichaltrigen körperlich und geistig unterlegen. Und doch ein so fröhlicher Mensch.

24. April 2012 - 14:53
von SPIESSER-Autorin Fralura.
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Fralura Offline
Beigetreten: 07.10.2011

„Eu, eu, eu!“ bringt sie mit einem Strahlen im Gesicht hervor. Marie, das Mädchen, das nicht sprechen kann. Das nicht laufen kann, nur sehr schlecht sehen kann, nicht richtig hören kann. Ein 10-jähriges Kind, fast wie ein Neugeborenes. Komplett auf Hilfe angewiesen, den meisten Gleichaltrigen körperlich und geistig unterlegen. Und doch ein so fröhlicher Mensch.

Die Schule beginnt für Marie um 8:30, in einem Blindeninstitut für sehbehinderte/blinde und mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche. Sechs Jungen und Mädchen sitzen in ihren Rollstühlen im Kreis und lauschen der Stimme einer Schulpädagogin. Sie bringt den Frühling, das Vogelgezwitscher, die aufblühenden Pflanzen, den Sonnenschein und das Rauschen des Windes direkt in die Herzen ihrer Schüler. Mit „Winter Ade“ verabschiedet sie singend – zusammen mit einer zweiten Schulkraft – die kalte Jahreszeit.
Die Erzieherinnen helfen den Kindern dabei, eine Rassel in die Hand zu nehmen und zu schütteln. Manchmal ist ein Junge widerspenstig und will seine Hand nicht aus dem Ärmel seines Pullovers nehmen. Weil die Schüler hier alle nach ihren individuellen Bedürfnissen und ihrer Sehfähigkeit entsprechend gefördert werden, wird er zu nichts gezwungen. Eine FSJ-lerin klopft mit der Rassel behutsam die Beine des Jungen ab, um seine Körperwahrnehmung anzuregen. Er wirkt abwesend und blickt niemandem in die Augen, ist in seiner eigenen Welt versunken und doch bekommt er viel von seiner Umgebung mit.
Marie spielt besonders gerne mit einem gelben Ball, der bei Bewegung Geräusche macht. Damit der Ball nicht weg rollt, sollte sie dabei aber von einer Betreuerin unterstützt werden, mit der Marie durch Betasten auch selbst Kontakt aufnehmen kann. Wenn man sich darauf einlässt, ist sie sehr kommunikativ und interagiert mit den Menschen um sich herum.
An schönen Tagen werden Spaziergänge im angrenzenden Waldstück unternommen – selbst ein mit Steinen, Nadeln und Zweigen bedeckter Fußweg stellt für die Kinder kein Hindernis dar, wenn sie geschoben werden. Die Erzieherinnen spielen mit den Schülern, füttern und wickeln sie, putzen ihnen die Zähne, ziehen sie um, fahren sie hin und her, unterhalten sie, versorgen sie, weisen sie aber auch zurecht. Die Essensaufnahme ist für viele der Mädchen und Jungen sehr schwierig, weil sie im Mund Fehlstellungen haben und deshalb das Schlucken zur Herausforderung wird. Und so wird das Füttern auch für die Sozialpädagogen zur Herausforderung.
Die Erwachsenen tragen eine große Verantwortung und müssen im medizinischen Ernstfall sofort zur Stelle sein, ein Medikament verabreichen oder im schlimmsten Fall sogar den Notarzt rufen. Dieses Risiko besteht bei fast allen, immer.
Nachmittags kümmern sich Tagesstättenbetreuer um die Kinder. Nach der Mittagsruhe auf dem großen Kuschelhimmelbett mit den Sternen und den vielen Kissen stehen Aktivitäten auf dem Programm wie Märchenstunde, Entspannungsraum und Kino (für die meisten eher ein Hörspiel). Jeden Tag erleben die Schüler so etwas anderes und erfahren Neues. Sogar ein Schwimmbad und eine Turnhalle gehören zu der Einrichtung, obwohl die Meisten hier nicht einmal laufen können. Mit Schwimmflügeln und Halskrause ausgestattet können die Mädchen und Jungen das Gefühl von Leichtigkeit und Unbeschwertheit im kühlen Nass erleben. Selbstverständlich werden sie dabei keine Sekunde lang von den zuständigen Lehrerinnen aus den Augen gelassen. In der Turnhalle kommt Bewegung in die oft schwachen Körper der Kinder, indem sie auf ein riesiges Luftkissen gelegt werden, auf dem eine hüpfende Erzieherin für Wellen sorgt.
Obwohl die „Kleinen“ physisch so immens eingeschränkt und manchmal auch psychisch beeinträchtigt sind, gehen die Betreuerinnen mit ihnen ganz ungezwungen und fast normal um. Wenn die Kinder mittags auf ihrem Kuschelbett liegen und Michael Jacksons „Earth Song“ eine friedliche Atmosphäre in der Tagesstätte verbreitet, wirken sie wie ganz normale kleine Rabauken. Als würden sie jeden Moment aufspringen, nach draußen rennen und lauthals im Sandkasten toben.
Nachdem die Kinder um 15:45 von ihren Eltern oder speziellen Fahrdiensten abgeholt wurden, neigt sich ein langer und anstrengender Tag dem Ende zu – für Kinder und Erzieher zugleich – , an dem alle ein bisschen dazugelernt haben, und wenn es auch nicht Mathe ist.
Nach nur einer Woche Sozialpraktikum im Blindeninstitut, in der ich den Alltag dort kennenlernen und mithelfen durfte, habe ich unbeschreiblich viel von den Kindern in meiner Gruppe gelernt. Sie brauchen zwar viel Zuwendung, doch das, was sie zurückgeben, ist so viel mehr wert. Auch die Erzieherinnen leisten hier fast Übermenschliches und werden für ihr großartiges Engagement so schlecht bezahlt. Sie müssen streiken gehen, um darauf aufmerksam zu machen, wie viel wir ihnen alle verdanken. Es ist schade, dass der wichtigste Bereich – der soziale – für mein Empfinden viel zu wenig Anerkennung bekommt. Sowohl von Staat als auch von der Gesellschaft.

Marie kann glücklich sein, wie wir alle; wenn man ihr nur ein bisschen Unterstützung bietet. Dafür gibt sie ihre ganze Lebensfreude an andere weiter. Menschen wie Marie sind eine Bereicherung für eine Gesellschaft wie unsere.

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Kommentare

Vier Kommentare
  • Schöner Beitrag und gut geschrieben!!!

  • Echt toller Beitrag und gut geschrieben!
    Ich mach selbst eine Ausbildung zur Erzieherin
    und arbeite auch teilweise mit Behinderten Kindern.
    Kann in allem nur zustimmen und hoffen dass sich irgentwann
    an der Einstellung der Politik und gesellschaft etwas
    ändert und diese sozialen Berufe (nicht nur Erzieher, sondern
    alle in diese richtung gehen den Arbeiten)
    mehr geschätzt werder. Das alleine würde mir schon genügen
    um wieder ein besseres gefühl zubekommen!

  • An meiner Schule ist ein Sozialpraktikum Pflicht (was ich nebenbei bemerkt super finde) und ich habe mich für ein Blindeninstitut entschieden, weil ich dachte, dass es eine Erfahrung ist, die mir persönlich viel bringt. Und mit blinden und behinderten Kindern hat man normalerweise nicht so viel zu tun, sodass ich einen interessanten Einblick in deren Leben gewonnen habe.

  • Altenpfleger/innen sind ebenso unterbezahlt. Das steht in keinem Verhältniss zu anderen, gesellschaftlich weniger wertvollen Tätigkeiten.
    Toller Beitrag!

    Was hat dich zu dem Praktikum in einem Blindeninstitut bewogen?

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