SPIESSER-Autor Martin hat sich drei Tage Kölner Karneval gegeben. Sein Resümee: Alles ein bisschen oberflächlich. Deshalb war's am Ende auch ganz gut. Ob er wieder hinfahren würde, weiß er trotzdem nicht so genau.
17. February 2007 - 17:24 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
Die Entgleisung kam lange bevor der ICE gen Dresden in den Kölner Hauptbahnhof einfuhr: Denkend, der Zug sei für mich abgefahren, gab ich mir in der urigen Karnevals-Disco das komplette Kölsch-Feten-Programm. Die Musik dort erfüllt alle Klischees: Viva Colonia, Udo Jürgens, 99 Luftballons. Dazu teuer Flüssigkeiten, viele Frauen, weniger Männer sowie Helmi, Flori und Steffi. Alle bemalt und gut lackiert, mit dicken roten Nasen, grünem Haupthaar und angemalten Schnurbärten. Steffi hat wohl weniger Spaß als wir: Jeder junge Herr, der vorbeiläuft, gräbt sie an. Der eine mit Clownsnase und Riesenbrille hat es augenscheinlich besonders auf sie abgesehen: Halbstundenlang arbeitetet er an ihr, Erfolg ist ihm kaum vergönnt, aber Hartnäckigkeit zeichnet ihn aus, den Kölner Jecken. Alaaf.
Der Kölner Karneval ist sowieso ein riesiges Archäologie-Seminar: Fast alle graben an, die meisten auch aus und am Ende haben die Schnellsten die besten Trophäen in der Hand. Ach ja: Liebeshungrige sind Eulen in Athen. Denn davon gibt s hier ziemlich viele. Da ist zum Beispiel Sarah: Im bunten Overall, mit Perücke und Streifen im Gesicht probiert sie sich an Helmi. Anmache: Darf ich mal deine Perücke kraulen? - darf sie. Im düsteren Licht der beschmückten und arg luftdünnen Dunkelspelunke fühlen sich alle schön und selbstbewusst. Die Körper klatschen aneinander, alle lachen, die Nasen röten sich. Das ist Köln zur Karnevalszeit.
Rückblick: Einen Tag vorher ist Weiberfastnacht. Wir sind in Alt- und Neustadt unterwegs und gucken uns die Leute auf der Straße an. Alle sind dabei. Der Müllmann. Der Bauarbeiter. Das Top-Model. Der Clown, natürlich. Die Klopapierrolle. Das Zebra. Die Nackedeis. Kölner Karneval heißt: Nichts gibt es nicht.
Wir sind zum ersten Mal zu dieser Zeit in dieser Stadt. Wohl wissend, dass ein Kostüm doch angebracht wäre. Also bin ich als zerfetzter Bettler mit bunter Haartpracht unterwegs. Helmi geht als 70er-Hippie mit Kräusellocken und Blümchenoverall. Steffi trägt orangefarbene Nena-Klamotte und Florian hat sich als Hooligan verkleidet - man gönnt sich ja sonst nichts. Wir fallen nicht auf. Kostüm heißt Inkognito. Unauffälliger als ein Zebra auf dem Streifen, dezenter als eine Intensiv-Weiß-Raufasertapetenwand von Hornbach, irgendwie jamesbond. Steffi hat sich aufgebrezelt. Nach zehn Minuten führen wir das erste Gespräch mit einer anderen Gruppe: über schwule Männer und Sex. So geht das den ganzen Abend. Die Menschen zählen, die man kennenlernt? Geht gar nicht.
Natürlich sind solche Karnevalsbekanntschaften oberflächlich und nichts wert. Macht aber gar nichts: Man vergisst sich ja schnell wieder. Karneval heißt zu Deutsch "Fleisch leb' wohl". Ausgelassenheit vor der christlichen Leidenszeit. Fleisch leb' wohl, alles ist vergänglich, kurz lernt man sich kennen, kurz verliert man sich wieder. So läuft das hier.
Karneval heißt auch: Bald beginnt die Fastenzeit. Nördlich von Bonn, Erfurt und Dresden benutzt man fast ausschließlich diese Bezeichnung für die Zeit eine Woche vorher. Und: Höhepunkt ist die Fastnachtswoche vom schmutzigen Donnerstag - der Weiberfastnacht bis zum Fastnachtsdienstag. In Köln steigt die größte anzunehmende Party wohl am Montag. Denn da findet der Rosenmontagszug statt.
Den erlebe ich nicht mehr mit , denn jetzt sitze ich ja im Zug gen Heimat. War ganz okay, Kölle. Aber auch oberflächlich, hat Helmi noch gesagt. Fleisch, leb' wohl.
Text: Martin Machowecz
Foto: Pixelquelle
Bildergalerie: Martins Handyfotos vom Kölner Karneval
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