Seine Mutter missbrauchte ihn jahrelang und fügte ihm seelische Wunden zu, die bis heute nicht verheilt sind … Die erschütternde Lebensgeschichte über eine traumatische Kindheit, den Teufelskreis der Gewalt – und den Weg zurück ins Leben.
16. December 2009 - 18:18 von SPIESSER-Autorin Phia.
Die Kapelle ist hell erleuchtet. Das Blau und Gelb der Wände harmoniert gut miteinander, ein süßlicher Geruch liegt in der Luft. Allmählich füllt sich der Raum. Zuerst die Frauen, dann die Männer. Das Gelächter verklingt im Schlüsselgeklapper und dem Piepsen der Funkgeräte. Langsam wird es eng zwischen all den Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Duben. Andreas Marquardt, einst Berlins brutalster Zuhälter, las Anfang des Monats im Hochsicherheitsgefängnis vor den Gefangenen. Inhaftiert wegen Menschenhandel, Anstiftung zum Mord und schwerer Körperverletzung kam Marquardt für acht Jahre in den Knast. Die goldene Rolex wich spartanischen acht Quadratmetern. In Tegel, Deutschlands erstem Gefängnis, lernte er Jürgen Lemke, seinen späteren Psychotherapeuten kennen. „Meine Anwältin brachte mich dazu, zu einem Therapeuten zu gehen“, erzählt Marquardt. Im Laufe der Sitzungen entstand das Buch „Härte“, eine Autobiografie über den ehemaligen Zuhälter.
In der Kapelle der JVA Duben wird es ruhig. Jürgen Lemke hat das Wort erhoben und beginnt zu lesen. Marquardt sitzt mit versteinertem Gesicht daneben. Das Niedergeschriebene ist zu emotional und persönlich, als das er es selbst vortragen könnte. Er kann nicht vorlesen, wie er von seiner Mutter vergewaltigt wurde und der Vater ihm die Hand brach. Oder ihn nackt bei Frost auf dem Balkon aussperrte. „Ich habe schnell gelernt, dass Schmerzen ein Zeichen von Schwäche sind“, beschreibt Marquardt. „Für meinen Vater war ich immer der Feigling. Doch die Zeiten änderten sich.“ Der junge Marquardt fing mit Judo an und wechselte später zum Karate. „Karate hatte die Härte, die mir für das Leben unabdingbar schien. Es elektrisierte mich von Anfang an. Ich wollte der Beste sein.“ Marquardt kämpfte sich an die Spitze. Er war so gut, dass die Menschen anfingen auf ihn zu setzen. „Karate und Boxen schien mit dem Milieu einherzugehen. Geld wurde gesetzt und ich kam den echten Kiezgrößen immer näher.“ Der Kampfsport verschaffte ihm den Respekt, den er nie von seinen Eltern bekam. Sein Leben drehte sich nur noch um Geld, Frauen und Sport. An Büchern fand er kein Interesse. „Ich dachte einst, Menschen die lesen seien Weicheier. Niemand kann sich mit einem Buch verteidigen.“
Der Feigling wird Zuhälter
Seine Beziehungen zur Szene machten Marquardt den Einstieg in die Zuhälterei leicht. Er lernte schnell und stieg zu einem der gefürchtetsten Geldeintreiber Berlins auf. „Ich wusste, dass ich das große Geld nur mit der perfekten Hure einfahre. Also zeigte ich ihnen, wie ihr Job geht.“ Traumatisiert durch die Erlebnisse in seiner Kindheit fing er an Frauen zu hassen. Wenn die Frauen ihn so wollten, dann sollten sie ihn auch so bekommen. „Ich misshandelte Frauen, um mich im Spiegel sehen zu können. Meine Mutter missbrauchte mich sieben Jahre lang. Dafür hasse ich sie bis heute.“ Dann kam der Bruch. Marquardt wurde der Prozess gemacht. Acht Jahre JVA Tegel. Acht Jahre, die das Leben des Zuhälters grundlegend änderten. „Ich hielt mich für einzigartig. Es gab nur den harten Andy. Doch die Gespräche beim Therapeuten änderten mich von Grund auf.“ Er wollte aussteigen, also machte er eine Therapie. Fragen stellten sich. Was wäre, wenn Marquardt gar nicht sein Leben selbst gesteuert habe? Wenn sein Handeln nur aus den Verbrechen an ihn resultierten? Was wäre aus dem kleinen Andy geworden, hätte er nicht diese Gräueltaten in seiner Kindheit erlebt? „Der Gedanke daran, ich sei nur eine simple Person ohne eigenen Willen schockierte mich zu tiefst.“
Der Neuanfang
Für Marquardt kam es zu einem Neuanfang. „Ich wollte mich ändern. Wollte endgültig raus aus dieser Schattenwelt.“ Gefunden hat er nach seiner Entlassung die große Liebe. Marion, die einst für ihn anschaffte. Sie lehrte ihn, zu fühlen. „Früher hatte ein Menschenleben keinen Wert für mich. Ich war extrem Ich-bezogen und brutal. Schwächen durfte ich nicht zeigen.“ Heute führt er eine Sportschule und engagiert sich stark für Kinder. Er will, dass die Gesellschaft sensibilisiert wird und bei Kindesmisshandlung eingreift. „Kinder gehören in den Focus der Gesellschaft.“
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https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
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[Bild:1]
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mxk
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