( diesen Artikel hatte ich vor zwei Jahren nach Anfrage für die Zeitschrift EMMA verfasst, wurde nicht veröffentlicht, weil die Schwarzer anscheinend zu beschäftigt war, wichtig und berühmt zu sein- man weiss es nicht)
Heute, mit 20 Jahren, ist es selbstverständlich, dass ich vorm Spiegel stehe und mir meine Lieblingskleider von dem Ständer nehme, meine Wimpern tusche, die Tampons suche, in der Küche einen Kaffe trinke und mir auf dem Weg zum Bus eine Kippe anzünde.
Doch noch vor wenigen Jahren war es unmöglich, ohne Mutter und Schwester das Haus zu verlassen, nach Schulschluss durch die Gegend zu schlendern oder mich gar mit Freunden zu treffen.
Mein Leben spielte sich oft nur in meinem Zimmer ab, alles was geschah, beobachteten mein zerkratzter Schreibtisch, die Kuschelltiere und später ein paar Bücher, die mir auch noch verboten wurden.
„Photo! Photo!“
Ich war ein aufgewecktes kleines Mädchen, trug gerne mein rotes Kleid mit dem großen weißen Kragen und bastelte mir gelegentlich kleine Papierkameras.
Mit diesen rannte ich bei jeder Gelegenheit durch die Wohnung und drückte auf den imaginären Papierauslöser, versteckte mich anschließend in der Garderobe und entwickelte eigenhändig meine Filme.
Irgendwie musst ich mich ja beschäftigen, schon im Kindergarten merkte ich, dass ich anders war.
„Anders“ nicht im Sinne von „fremd“ oder „muslimisch“ , woran es nämlich lag, dass ich zu Pyjama-Partys nie lange bleiben und nicht länger mit den anderen im Sandkasten spielen konnte, wusste ich nicht.
Ich wusste nur, dass irgendwo auf der Welt ganz viel Krieg und Mord herrscht, da mein Vater es für gut hielt, mich vor den Fernseher zu setzten und Nachrichten gucken zu lasen.
Albträume unangenehmster Art waren die Folgen.
Früh fing ich an, mich, weil ich ja nichts anderes zu tun hatte, als Phantasien zu haben uns mir Szenen auszudenken, für die Künste zu interessieren- früh fing mein Vater auch, mir diese Hirngespinste aus dem Kopf zu schlagen.
Er schlug auch sonst gerne zu:
Zum Beispiel, wenn ich mein Zimmer nicht aufräumte.
Da saß ich also als 9jährige auf dem Boden und vergas mich ganz in der Spielzeugwelt, anstatt diese in die Kisten zu packen.
Böse schreiend trat dann der Zimmerwächter alias Papa ein, zog mich an den Kleidern und schlenderte so mit mir durch das Zimmer.
Ich hatte keine Möglichkeit, mich zu erklären, ich weinte, aber nicht laut:
"Hör auf zu heulen!" brüllte er mir ins Gesicht und glaubte, mich mit einem weiteren Schlag zum Schweigen zu bringen.
An diesem Abend schmiss er mich gegen den Schrank, ich fiel in die unterste Schublade und brach mir das Schlüsselbein- dem Arzt und den Lehrern sollte ich erzählen, ich sei von der Kletterspinne gefallen.
Meine Mutter stand in solchem Momenten entweder am Türrahmen ,war im Wohnzimmer geblieben oder beobachtete das Szenario von der Küche aus.
Ich erinnere mich nur an ein einziges Mal, dass sie eingriff und meinen Vater mit den Worten "Nicht ins Gesicht! Das Mädchen! Nicht ins Gesicht, das sieht man doch!" zu beschwichtigen versuchte.
In der Tat war den Lehrern- besonders als ich älter wurde, also als ich in der sechsten Klasse war - aufgefallen, dass ich Probleme hatte.
Meine Schulnoten verbesserten sich nicht, ich stand unter Druck, hatte nur Stress.
Wenn ich nach Hause kam, erfuhr ich, was ich verbrochen hatte und wurde dementsprechend bestraft, Schläge inklusive.
Es gab Zimmerarrest- Hausarrest war der Normalzustand- , der da bedeutete, das ich nicht ohne vorher zu fragen mein Zimmer verlassen durfte:
Wollte ich auf die Toilette, stand ich verängstigt im Flur und presste mit hoher Stimme ein "Darf ich aufs Klo?" heraus.
Wollte ich etwas trinken, so sollte ich mich ankündigen und durfte erst dann in das Wohnzimmer, um dort einen Becher zu mir zu nehmen.
Zum Essen wurde ich erst gar nicht gerufen, mein Vater wollte mich nicht sehen, sollte kommen "wenn das Essen kalt ist" und er mit verzogenem Gesicht vorm Fernseher saß.
Bei solchen Demütigungen muss ich doch ein sehr schlimmer Kind gewesen sein, oder?
"Scheiss Kind! Womit hab ich nur so ein Kind verdient?"
Ich versuchte mir anfangs einzureden, dass ich es wirklich war, aber da ich nie Begründungen für all die Verbote erhielt -oder sie mir nie glaubwürdig genug waren- begann ich, darüber nachzudenken.
Natürlich hatte ich Unterschriften gefälscht, wenn ich eine Arbeit vorzeigen musste, um mir all den Tumult zu ersparen.
Als ich auf die Oberschule kam und der Stundenausfall sich häufte, ergriff ich dies als Chance und schlenderte mit Freundinnen durch die Umgebung, ging zu meiner besten Freundin oder zu ihrem Bekannten.
Später verkroch ich mich in die Stadtbibliothek, die nur wenige U-Bahnstationen von meinem Zuhause entfernt war- doch wenn mein Vater davon erfuhr, dass ich ohne seine Einwilligung Bücherregale durchforstete, dann- nun ja.
Ich war auch regelmäßig an die Brieftasche meines Urgroßvaters gegangen, der uns jeden Sonntag besuchen kam und den mein Vater immer ekelhafter behandelte- bei den paar Mark aus Mutters Geldbeutel war es ja auch nie aufgefallen.
Mt dem Geld ging ich mir dann all die schönen Kleinigkeiten kaufen, die jedem anderen aus meinem Freundeskreis gegönnt waren.
Sie bekamen wenigstens ihr ordentliches Taschengeld.
Ich verfügte nie frei über mein Geld, meine Mutter hütete es und ich musste erst tausendfache Erklärungen geben, warum ich nun dringend neue Unterhosen brauchte, die ich mir nicht alleine kaufen konnte.
"Shoppen" war für mich und meine Schwester immer eine Tragödie:
Die Klamotten mussten meistens 2 Nummern größer gekauft werden, nicht zu kurz und nicht zu eng sein.
Ich sah zeitweilig aus wie ein brauner Wischmob (braun war meine Lieblingsfarbe) , fühle mich in meiner Haut sehr unwohl.
Zudem gab es auch immer Ärger, wenn wir mal als ganze Familie das Haus verließen um am Ku'damm spazieren zu gehen, in Gartenanlagen zu fahren oder einfach nur zum Araber mit der besten Schawarma,
denn meine Schuhe waren nie sauber genug, mein Haar nie ordentlich genug und eigentlich war alles an mir falsch.
Auf der Straße sollte sich benommen werden, kein Lachen.
Kein Wunder, dass ich mit dem Gefühl der Minderwertigkeit noch heute zu kämpfen habe.
All die Verbote, wie etwa auf Klassenfahrten zu gehen, Musik zu hören, sich mit 18 Jahren zu Schminken oder Freunde auch nur anzurufen, fielen irgendwann in den Hintergrund, als andere Stressfaktoren aufkamen:
Da wollte ich mich doch tatsächlich in der Schülerzeitung engagieren, in die Theatergruppe eintreten und interessierte mich für Film!
Lesen und Schreiben waren für mich eine Heimlichkeit mehr, genauso albern wie das morgens an der U-Bahn Schminken und nachmittags auf dem Nachhauseweg wieder abschminken.
Ich wagte es sogar, in den DS (Darstellendes Spiel) Kurs zu gehen.
Mein Vater kam zu keiner Aufführung, er war nie auf einer Schulveranstaltung, obwohl er unsere Schule doch kannte- immerhin hatten ihn Lehrer schon einige Male zu sich eingeladen, man wolle reden.
Solche Gespräche endeten nur mit einem großen Ärger zuhause, ähnlich wie bei den Elternabenden, nur dass man mich da nicht aus dem Bett zerren brauchte um mich zu verprügeln.
"Wen du so weiter machst, wird nie was aus mir!"
Wir stritten nur noch, ich ging nicht mehr regelmäßig zur Schule, fuhr lieber stundenlang U-Bahn und erkundete so Berlin, anders war es mir ja vergönnt.
Ich war mindestes tausend mal verliebt, schrieb im Unterricht in meinen Notizblock und fing an, die Zeit mit Zeichnungen totzuschlagen.
Die Mathematik war mein größtes Problem, ich spreche noch heute von einem Mathe-Trauma:
Anstatt mir einen ordentlichen Nachhilfelehrer zu holen, saß ich, als mein Vater meine Schwäche erkannte, nächtelang vor vollgeschrieben Aufgabenbögen, es gab keine frei Zeile und keine Möglichkeit, jemanden um Rat zu fragen in der Zeit, die man mir gab.
Wenn ich bis dahin nicht fertig wurde oder Fehler machte, bekam ich ein paar Ohrfeigen der besonderen Art, so besonders, dass meine Nächte oft nasenblutend über dem Waschbecken endeten.
Dieses Erlebnis machte mich bis zur 12. Klasse stur, ich war antiautoritär aber leider auch sehr passiv geworden.
So kam es, dass ich zwar noch in der 2. Reihe saß, mich aber hinter meinem Schal versteckte, Mitschüler erzählten mir später, dass ich immer blasser wurde.
Meine Schwester bekam einige meiner Wutausbrüche mit, doch ich versuchte sie immer rechtzeitig aus meinem Zimmer zu zerren, zerschlug die besagte Schublade meines Kleiderschranks oder warf mein Handy, das als Überwachungsorgan diente, zornig in die Ecke, gegen die Wand- als wäre ich mein Vater, der meinen Kopf gegen die Wand schlug und einmal dabei sagte, er könne mich so umbringen oder mich nur an den Rollstuhl fesseln, dann würde ich schon tun, was er sagte.
Doch ich wollte nicht tun, was er sagte, auch wenn er behauptete, das richtige für mich kennen, obwohl er mich nie fragte, was ich wollte.
Wenn ich anfing von der Medienakademie zu reden, wurde er zornig.
Bald diskutierte er nicht mehr, er schickte mich gleich auf Zimmer.
Bald empfand auch ich keinen Schmerz mehr, sondern guckte ihm in die Augen, wenn er die Hand hob.
Kurz nach meinem 18. Geburtstag, der in einer Katastrophe endete, schaute ich nicht mehr auf die Straßen, ehe ich sie überquerte- meine ersten und letzten Suizidgedanken.
Doch ich war mir zu schade für den Tod, verlor mein Ziel nicht aus den Augen und kam eines Tages mit einer freudigen Nachricht zu meinem Vater:
Ich wurde zu einem Workshop eingeladen, mein Bewerbungsschreiben, was locker von der Hand ging, überzeugte wohl und ich sollte nach einer Inszenierung mit richtigen Journalisten eine Theaterkritik schreiben
Meine Freunde freuten sich für mich, meine Deutschlehrer sprachen mir gut zu, nur mein eigener Vater wollte nichts davon hören, dass dies die perfekte Kombination aus Journalismus und Kultur für mich war.
"Du gehst da nicht hin", hieß es nur knapp, auf mein warum reagierte er nicht.
Ich ging ins Zimmer, war so zornig, dass ich nicht einmal weinen konnte, brauchte nicht viel Mut und stürzte wieder ins Wohnzimmer.
"Warum?", wollte ich wissen, doch er gab nicht nach und dies war das erste Mal, dass ich über beide Ohren spührte, wie wütend ich war, ich schriee ihn zum ersten Mal in meinem Leben an.
Eine Woche später war ich weg.
Ich hatte in dieser Woche so getan, als würde ich meinen Kleiderschrank aufräumen, hatte aber in Wirklichkeit nur aussortiert, was ich mitnehmen und was ich hier lassen wollte- das fiel mir nicht schwer.
Meine Gedichte, Tagebücher und Briefe sammelte ich zuerst zusammen, auch ein paar Bücher nahm ich mit, unteranderem das Grundgesetz und den Ordner mit Schriften, die mir mein Vater mit 13 Jahren wegnahm.
Jetzt drehte ich den Spieß um und ging nicht mehr zum Essen, ignorierte meinen Vater wenn er in meiner Gegend war, sprach ihn, wenn überhaupt, nur knapp an.
Am letzten gemeinsamen Sonntag ging ich dann doch zum Essen, am Montag schon ging alles sehr schnell.
Während meine Eltern arbeiten und meine Schwester in der Schule war, ließ ich mir helfen, meine Habseligkeiten zur Schule und dann zum Jugendnotdienst zu bringen.
Einen Abschiedsbrief legte ich meinem Vater auf den Laptop, einen anderen meiner Schwester unters Bett.
Am selben Nachmittag war ich endlich bei Papatya, die Wartezeit im Jugendnotdienst war nicht auszuhalten, als ich diesen Raum ein knappes halbes Jahr später betrat, wurde ich panisch, ich zitterte und weinte, ich wollte mich nicht mehr an diese Minuten erinnern.
„Sie müssen dem verletzten Kind in Ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit und Liebe schenken-tuen Sie dass, was Ihre Eltern versäumt haben.“
Zitat, Psychotherapeut.
Jeden Freitag ziehe ich durch die halbe Stadt, um mir eine ganze Stunde anzuhören, was mich quält, warum ich depressiv bin und was mein Karma alles richten kann oder auch nicht.
Letztendlich verlasse ich das Zimmer, gehe auf die kalten Straßen und habe Kopfschmerzen vom vielen Weinen und und Wissen.
Wissen, dass mich meine Vergangenheit trotz des radikalen Schnitts noch mehr prägt, als mir lieb ist.
Doch schon als kleines Mädchen, das vorm Fenster saß und auf die Birke in der Freiheit starrte, wusste ich: Was mich nicht umbringt, macht mich stark.
(Anm. : Heute würde ich den Schlusssatz so nicht schreiben, das hört sich fast so naiv an wie "Aus Fehlern lernt man".
Heute sage ich:Immer weiter und immer lauter, denn wenn wir verstummen, haben wir unsere Väter stolz gemacht.)
Ich bewundere dich.
So viel Stärke setzt nicht jeder Mensch ein.
Ich finde es gut,dass du dir selbst treu geblieben bist und deiner eigenen Stimme gefolgt bist.
Es gibt so viele die meinen,dass sie am besten wissen,was gut für dich sei,dabei wissen sie noch lange nicht wie du dich fühlst.
Ich finde es traurig,dass du mit so viel Gewalt und Kälte aufgezogen wurdest.
Dafür fühlst du die Wärme und Liebe zu dir und deinem Leben intensiver als andere.
Lasse dich nie unterdrücken. Bleibe stark!
Liebe Grüße
Soha_weiß
Khalil Gibrans Zeilen kenne ich, die sind sehr schön.
Wie es weitergeht ist nicht Thema, weil das Thema hier der Alltag ist.
Wie sieht Unterdrückung nun eigentlich aus?
Was meint eine junge Frau , wenn sie von sich sagt , sie habe sich ihre Freiheit erkämpft (Betonung auf Freiheit)?
Wie sah es also davor aus?
Viele können mit dem Begriff Ehrenmord oder dem Kopftuch was anfangen- aber nichts damit, wenn man sich eine Stunde darüber freut, sich einen Nagellack und ein Buch der Wahl gekauft hat.
Aber ja, es geht weiter. Auch mit dem Leben danach, das immer wieder zum Leben davor zurückkommt und wieder und wieder Trennung sucht.
... die "Bewertungssternchen" "noch schöner" ist genauso unzutreffend wie passend für Deinen offenen Artikel, der gut bis sehr gut geschrieben ist. Finde zumindest ich!
Der unbefangene Leser, der ich nun einmal bin, fragt sich unwillkürlich: "Wie geht "die Geschichte" nun weiter? Hat sie mit der Familie gebrochen, oder können sie miteinander noch nicht sprechen?"
Du musst nicht antworten, genau so wenig wie Du diesen Artikel online setzen musstest. Deshalb meinen tiefen Respekt, auch weil Deine Worte nicht beleidigend, anklagend und vor-verurteilend sind, dessen Reaktion ich aber durchaus verstanden hätte. Respekt auch, dass Du diesen Weg bisher gegangen bist und keinen anderen.
Die Erziehung von Kindern ist nicht einfach und ich erinnere mich jetzt wieder an die Zeilen von Khalil Gibran:
"Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken. ..."