Ilona hastet mit gesenktem Kopf die Straße entlang. Ihre langen blonden Haare, die sie am Morgen sorgfältig mit einem Glätteisen in Form gebogen hat, fliegen wirbelnd hinter ihr her. Der Wind bläst sie ihr aus dem Gesicht und gibt einen Blick auf die zarte Haut des Mädchens, die nicht auch nur ein Pickelchen entstellt, und die großen blauen, schwarz umrandeten Augen frei. Deutlich zeichnet sich ihr großer Busen unter der bis oben hin zugeknöpften brauen Fleecejacke ab. Sie hält den Kopf absichtlich gesenkt. Täte sie es nicht, erhielte sie noch mehr Kommentare.
27. May 2009 - 20:02 von SPIESSER-Autorin -atinA-.
So wie Ilona ergeht es tausenden von Mädchen auf der ganzen Welt. Dass sie einfach nur Freude daran hat, sich von ihrer besten Seite zu zeigen, zu schminken, außerdem von Natur aus mit einer guten Figur und hübschen Gesichtszügen gesegnet ist, und deshalb die Jungs IHR hinterherlaufen anstatt umgekehrt, das kommt nur wenigen in den Sinn. Mädchen wie Ilona sind klassische Opfer eines Klischees. Hübsch, blond, geschminkt – diese drei Tatsachen reichen schon aus, um einen Menschen in eine Schublade einzuordnen und fiktiv den Zettel „Schlampe“ oder „Barbie“ auf die Stirn zu kleben, unbeachtet dessen, dass diejenige ebenfalls sehr intelligent oder schüchtern sein kann.
Kann man es sich vorstellen, in einer Welt zu leben, in der es keine Vorurteile gibt, in der die Existenz von Klischees lediglich ein Klischee ist, in der ein Mensch dem Anderen gegenüber keine Erwartungen hat, was er in einer bestimmten Situation zu tun hat? Viele werden wahrscheinlich spontan mit „Ja“ antworten. Vorurteile – habe ich doch nicht! Das ist die Aufgabe der Anderen, der Unaufgeschlossenen, der Verbohrten. Ich bin offen gegenüber Neuem, verurteile Menschen nicht, ohne sie zu kennen. Ich doch nicht.
Doch! Genau so ist es. Im Grunde sind doch alle gleich.
Ob es nun Menschen betrifft, Kulturen, Altersgruppen oder Schulfächer – in so gut wie allen Bereichen sind Vorurteile an der Tagesordnung. VorUrteil – man bildet sich ein Urteil, bevor man sich näher mit dem Thema befasst hat. Schon das Wort selbst lässt darauf schließen, dass die Methode nicht gerade durchdacht und erfolgversprechend ist, wenn man weiterkommen will als bis an die Grenzen des eigenen Wissens bzw. Denkens.
Besonders Ländern gegenüber häufen sich die Klischees so massig, dass sie sich sprichwörtlich auf die Füße treten müssten. Italienische Männer sind ohne Ausnahme Machos, Franzosen arrogant, überheblich und stolz, Engländer saufen und prügeln frech durch die Gegend und alle Amerikaner sind dick und essen ausschließlich Fastfood.
Jeder halbwegs intelligente Mensch sollte selbst so weit denken können, dass er den Wahrheitsgehalt dieser Klischees kritisch betrachtet und aufgeschlossen genug sein um sich selbst ein Bild von anderen Nationalitäten zu machen. Tragen wir Bayern etwa den lieben langen Tag Lederhosen und Dirndl, haben bayerische Männer ausnahmslos einen Bierbauch und Mädchen geflochtene Zöpfe und essen wir nur Weißwürste und Sauerkraut? Würden wir den Geschichten, die über uns in der Welt kursieren, Glauben schenken, ja.
Wenn alle Vorurteile wahr wären, kann Ilona – nicht nur auf Grund ihrer „blonden Dummheit“, sondern weil sie weiblich ist – nicht rückwärts einparken, hat keinen Orientierungssinn, würde ununterbrochen reden und am allerliebsten Schuhe einkaufen. Ihr Freund dagegen (oh ja, auch platinblonde, geschminkte Mädchen kennen und schätzen die Monogamie!) kann keine Gefühle zeigen, nicht kochen, denkt an nichts anderes als Sex und ist ein Kommunikationsmuffel. Natürlich kann er perfekt einparken!
Die Aufzählung könnte ewig lange fortgesetzt werden. Aber ich denke, das tue ich euch und mir nicht an. Sonst verbreiten sich letztendlich noch neue Vorurteile! Fakt ist, dass Klischees existieren und so fest in die Köpfe hineingebohrt sind, dass es so gut wie unmöglich ist, sie wieder herauszuklamüsern.
„Mir ist es mittlerweile richtig egal, was Andere von mir denken. Sollen sie sich doch Gedanken machen, so viel sie wollen – wie ich wirklich bin, wissen sie nicht, das wissen nur ich und die Leute, die mich kennen. Wenn es ihnen Spaß macht, sich den Kopf über mich zu zerbrechen, gönne ich es ihnen. Das ist nicht mein Problem“, meint Ilona nur mit den Schultern zuckend.
Klischees gibt es schon immer – das ist sicher. Man kann zwar ihre Geschichte nicht bis in die Anfänge der Menschheit zurückverfolgen, doch wer weiß, ob nicht sogar schon die Steinzeitmenschen Fremdem gegenüber Vorurteile hatten? Diese Mutmaßung ist nicht nachzuverfolgen, aber definitiv auch nicht ausgeschlossen. Dementsprechend werden sie auch immer existieren, ob wir nun versuchen, dagegen anzukämpfen beziehungsweise es zu leugnen oder nicht. Vielleicht werden Blondinen nicht immer als doof gelten und Deutsche als humorlos. Die Opfer von Klischees werden zurückschlagen und den Spieß umdrehen, irgendwann, eventuell schon in zehn Jahren, eventuell auch erst in ein paar tausend, aber definitiv.
Letztendlich sind wir im Grunde doch ganz froh über deren Existenz: Wäre es nicht langweilig, wenn man vollkommen ohne Vorurteile und erwartungslos anderen Menschen und neuen Situationen entgegentreten würde? Uns würde allen das wunderbare Gefühl entgehen, überrascht und vom Gegenteil überzeugt zu werden, wir könnten nicht mehr in diesem Maße darüber lachen, wenn man dem personifizierten Klischee über den Weg läuft, das alle Mutmaßungen bestätigt, genauso wenig wie wir uns wundern und freuen können, wenn ein Mann, der angeblich nie weint, keine Gefühle zeigen kann und nur an Sex denkt, seiner Angebeteten vor laufender Kamera und unter Tränen die Liebe gesteht.
Fakt ist: Es ist gut so, wie es ist – und ändern könnten wir sowieso nichts daran!
Anita Edenhofner
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https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
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[Bild:1]
Viel Spaß
mxk
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