Verrückt, dass es beinahe genau zwei Jahre her ist, dass ich mich am Frankfurter Flughafen verabschiedet habe und in die große, weite Welt hinaus bin. „Checken Sie das jetzt durch bis Wellington?“, hatte ich den Mitarbeiter bei der Gepäckabgabe gefragt. „Ja genau, das geht durch. Bist du auch Austauschschüler?“ Ja richtig, das war ich. Austauschschüler in Neuseeland, genau 18.714,2 Kilometer von meinem Zuhause im pfälzischen Kaiserslautern entfernt. „Tschüss Mama, Tschüss Papa, ja, ich hab meine Tickets, ja, ich melde mich sobald ich irgendwo gelandet bin“. Umarmung, Kuss, Umdrehen und Kopfhörer in die Ohren. Wofür ein großes Drama? Es waren etwas mehr als 100 Tage, etwas mehr als 3 Monate, die wir uns nicht sehen würden. Alles locker. Dann hieß es erst mal warten, ungeduldig SMS schreiben und ein letztes Mal telefonieren mit den Freunden zuhause und dann, ENDLICH, ging es ins Flugzeug. Über Singapur und Auckland kamen wir, eine Gruppe von ca 80 iSt-lern, nach 35h Flug endlich in Wellington an. Kaum einer hatte wirklich geschlafen, wir waren alle zu aufgeregt, was uns erwarten würde. In Wellington angekommen regnete es – natürlich – und nachdem wir alle unser Gepäck beisammen hatten, wurden wir per Bustaxi ins Wellington Girls‘ College gefahren. Dort warteten unsere Welcome-Familien bereits auf uns, bei denen wir für die Vorbereitungswoche alle wohnen würden. Etwas mulmig, den letzten Blick zurück zu den Freunden, die man während des Fluges gefunden hatte, ging ich auf meinen Welcome-Gastvater Alastair und meine Welcome-Gastschwester Evelyn zu, und bereits als wir ins Auto einstiegen waren wir munter am Quatschen und ich war froh, den Großteil zu verstehen. Im Haus angekommen war alles neu und ich konnte mir nicht vorstellen, die nächsten drei Monate öfter hier zu sein (denn es waren die besten Freunde meiner richtigen Gastfamilie, einfach zwei Straßen weiter und ich würde in den drei Monaten Neuseeland noch oft hier zu Abend essen oder Rugbyspiele schauen). Doch alle waren einfach lieb, offen und wunderbar und wir erzählten abends bis 11. Der Jetlag überkam mich etwa 1 ½ Wochen lang (11h Zeitunterschied war nicht leicht), doch dann war ich schon total in Neuseeland eingelebt. Die Vorbereitungswoche hat uns allen viel über „the kiwi’s laid back lifestyle“ beigebracht und hat uns sehr geholfen, Fuß auf dem noch so neuen neuseeländischen Boden zu fassen. Doch während der ganzen Vorbereitungswoche fieberte ich nur auf Sonntag hin: Sonntag, da kam meine „richtige“ Gastfamilie aus dem Urlaub in Hawaii zurück, Sonntag würde ich meine neue „Familie“ kennenlernen. Geplant war, dass sie erst gegen Nachmittag kommen sollten – doch als wir sonntags etwas verfrüht zur Kirche kamen, zog mich Evelyn kurz zur Seite und rief „Shelley, here she is!“ und plötzlich kam meine Gastmutter auf mich zu, umarmte mich lange und meinte „Welcome to New Zealand Sara. How are you going? Did you have a nice first week in Wellington?” Ja, das war Shelley, sprudelnd wie ein Wasserfall und die perfekte Gastmutter für mich. Doch noch bevor ich antworten konnte, kam meine kleine Gastschwester Abby-Rose, umarmte mich auch und meinte „Hi, I’m Abby. Wow you’re finally here! How was your flight?“. Während ich auf alle die neuen Fragen antwortete, kamen auch mein Gastbruder Sam und mein Gastvater Mark dazu, umarmten mich und hörten gespannt meinen Erfahrungen der ersten Woche Neuseelands zu. Ja, in dieser Familie war ich richtig, kein Zweifel. Trotzdem war ich abends etwas aufgeregt, am nächsten Tag würde ich schließlich zum ersten Mal in meine neue Schule gehen! Doch weil ich eh nicht schlafen konnte, chattete ich ein bisschen mit meinen Freunden in Deutschland und wie immer konnten sie mich so zum Lachen bringen, dass ich meine Angst vollkommen vergaß und am nächsten Morgen so, als wäre ich in Deutschland, aufstand, mit meiner Gastfamilie frühstückte und mir Lunch einpackte, in den Zug stieg und zur Schule fuhr. Da stand ich dann erstmal etwas hilflos, aber im student service wurde mir sofort geholfen und ich bekam einen Buddy zugeteilt, Maya. So machte ich ihren Stundenplan mit und entdeckte immer mehr von der Schule, den Lunch break verbrachte ich mit ihr und einigen anderen Internationals. Mein Stundenplan war ziemlich genial, so hatte ich jeden Morgen eine ¼ Stunde „Roopu“ (das Maori Wort für „Gruppe“), was in etwa der deutschen Klassenleiterstunde entspricht. Die Schule begann übrigens um 8:45 Uhr und ging bis 15:20 Uhr, zwischendrin war eine Stunde Lunch break und zwei Mal 20 Minuten Interval, also auch Pause. Ich hatte nur 6 Fächer belegt: Maths, Media Science (Filmanalysen etc.), Outdoor Education (kann ich jedem nur raten, ich war unter anderem Kayak fahren, surfen, Klettern und Netball spielen!), Photography, English und History. Niemand in Neuseeland kann ich vorstellen, dass wir in Deutschland bis zu 15 Fächer haben! Der Unterricht war lockerer und moderner als in Deutschland, so hatten wir in jedem Saal whiteboards und jeder Schüler einen google-work account, in dem man seine Aufsätze verfasste und die Lehrer zeitgleich virtuell Kommentare dazuschreiben konnten. Es war auch wirklich nicht schwer, dem Unterricht zu folgen, wenn man sich nur etwas anstrengte banden die Lehrer jeden mit ein und bei Fragen bekam man sofort Hilfe. Am Ende hatte ich so Spaß dabei, mich zu beweisen, dass ich sogar am Englischexamen teilnahm, das am Ende eines jeden Terms geschrieben wird. Die Regeln waren streng: Handys ausgeschaltet in den Rucksäcken, mindestens 2 und maximal 5 blaue oder schwarze Stifte dürfen in einer durchsichtigen Plastiktüte mit an den Platz genommen werden. Kein Essen, Trinken oder auf Toilette gehen während der Prüfungszeit. Kommunikation mit jemand anderem als den Lehrern ist verboten. Nach einer Stunde hatte ich meine Gewichtsanalyse verfasst und durfte die Prüfungshalle verlassen. Was ich danach gemacht hab? Ich traf mich zusammen mit meinem Outdoor Education Lehrer Mr. Rapson sowie einigen anderen Internationals am besten Surferstrand, Lyall Bay. Auch wenn ich nie wirklich surfen konnte, sondern immer nur mit Ach und Krach und viel Glück eine Welle erwischt hatte und dann meistens so überrascht war, dass ich direkt gefallen bin, gingen wir noch öfter zum Strand und liehen uns Boards aus. In meiner Freizeit in Neuseeland habe ich mich viel mit Freunden getroffen, wir waren Shoppen, im Kino, Klettern, haben zusammen gebacken, Rugby geschaut, Sleepovers gemacht und viel mehr. Meine Gastfamilie war in der Kirche und ich dort in der Youth Group, und obwohl ich nicht gläubig bin, hatte ich dort wundervolle Zeiten. Zum Beispiel haben wir nachts in einem großen Park mit allen zusammen Rugby gespielt oder haben abends ein menschliches Cluedo quer durch die Nachbarorte gespielt. Mit meiner Gastfamilie habe ich auch viel unternommen, Wildlife Reservarts besucht, Rugbyspiele im Stadion gesehen, Hafenfeste miterlebt und viel mehr. Da ich zuhause in Deutschland ein Einzelkind bin, genoss ich es umso mehr, Kissenschlachten, Fernsehabende oder Ballspiele vor dem Haus mit meinen Gastgeschwistern zu erleben. Deshalb fiel es mir auch richtig schwer, sie alle gegen Ende zu verlassen. Als Abschiedsgeschenk habe ich ein Kuscheltierschaf (in Neuseeland gibt es pro Einwohner 12,5 Schafe!) sowie eine Kette mit einem Herz mit der Gravur „Family“ bekommen, ihnen habe ich einen großen Bilderrahmen mit vielen Bildern, Eintrittskarten etc aus meinen drei Monaten Neuseeland geschenkt. Alles in allem und abschließend lässt sich sagen, dass meine Entscheidung, drei Monate fern von allen Freunden und Familie in Neuseeland zu leben, eine der besten überhaupt war. Dieses Land der langen weißen Wolke, mit all seinen Schafen, liebenswerten Einwohnern, dem Nationalgetränk L&P, der besten Rugbymannschaft der Welt (und wir sind wirklich Weltmeister, 8:9 gegen Australien gewonnen!) und dem Linksverkehr lässt keinen mehr los, der erst einmal da war. Wie in der Nationalhymne besungen: God defend New Zealand!