2009 sind Landtagswahlen in Thüringen. Die NPD rüstet schon jetzt auf für den Wählerfang. Die Jugendorganisationen der Parteien reagieren mit kopflosem Aktionismus. Aber einigen geht langsam ein Licht auf.
21. March 2007 - 01:00 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
Eine junge Mutter packt die Koffer. Die Familie muss weg. "Sollen wir wirklich in die Fremde gehen?", singt im Hintergrund eine Männerstimme. "Arbeitslosigkeit gibt es überall, aber unsere Heimat ist nur hier." Und die junge Frau packt entschlossen die Koffer wieder aus. "Wir bleiben hier, wir packen an", schwingt sich die Stimme auf. So sah der Wahlwerbespot der NPD für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern aus. VergangenesJahr zog sie dort mit 7,3 Prozent in den Landtag ein. Mit dem Thema Abwanderung hatten sie genau den Nerv der Mecklenburger getroffen.
Bei der Thüringer Landtagswahl 2004 erreichte die NPD 1,61 Prozent damit war sie zwar noch weit entfernt vom Einzug in den Landtag, legte aber im Vergleich zu der letzten Wahl mächtig zu: 2009 soll endlich der Einzug in den Thüringer Landtag gelingen. Als Umzugshelfer sollen der NPD die Jugendlichen dienen. Denn sie waren es auch, die der Partei 2004 das gute Ergebnis bescherten, während die Wählerschaft der anderen Parteien im Rentenalter herumdümpelte.
"Die NPD ist zwei Jahre vor der Landtagswahl schon mit Wahlkampf beschäftigt." Sebastian Steinecke von den Jusos, der Jugendorganisation der SPD, beobachtet mit Sorge das Aufrüsten der NPD mit Infoständen. Der 26-Jährige ist in seiner Organisation unter anderem für den Kampf gegen den Rechtsextremismus verantwortlich. Gleichzeitig ist er Mitglied im Netzwerk für Demokratie und Courage, einem Projekt, das von den Jusos finanziell gestützt wird. Leute wie Sebastian so genannte Teamer gehen an Projektschultagen in Klassen, wo sie mit Schülern über die Schulhof-CD diskutieren oder die Flüchtlingsproblematik. Die Jusos selbst organisieren einmal im Jahr einen antifaschistischen Monat mit Lesungen und Diskussionen. Allein. Es fehlt an Gästen.Vor allem an solchen, die sich nicht hauptsächlichmit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigen.
Ein ähnliches Bild bietet sich bei der Grünen Jugend. "In unserem Fachforum für Demokratie und gegen Rechtsextremismus organisieren die Mitglieder Seminare und haben alle Freiheiten", sagt der 23-jährige Sebastian Brux. Die Fragen ach der Zahl der Mitglieder dämpft seine Euphorie: "Naja, wir haben 30 Mitglieder, die sich bundesweit organisieren." Er selbst ist Mitglied der Rechtsextremismus-Kommission,die von der Bundesvorsitzenden der Grünen Claudia Roth gegründet wurde. Mehrmals im Jahr treffen sich die 24 Mitglieder aus den Bundesländern, um sich auszutauschen. Was da genau passiert, kann Sebastian noch nicht sagen, da er erst seit Januar dabei ist.
Auch die Jungen Liberalen (Julis) haben plötzlich das Thema Rechtsextremismus entdeckt. "Ich habe das Thema zur Chefsache erklärt", bemerkt der 27-jährige Landesvorsitzende Patrick Brauckmann großspurig. "Wir mussten etwas tun angesichts rechtsextremer Aktivitäten." "Was tun" bedeutet, dass die Julis eine große Party schmeißen wollen. Das Motto: "Saufen gegen Rechtsextremismus". Bei jedem gekauften Bier fließen ein halber Liter in die Kehle und 50 Cent an eine Organisation,die sich gegen Rechts engagiert.
Den 23-jährigen Sebastian Grau, Mitglied bei Solid, einer der zwei Jugendorganisationen der PDS in Thüringen, nervt es, dass jede Jugendorganisation in der eigenen Suppe rührt. Seiner Meinung nach kam der Ruf nach einem gemeinsamen Bündnis aus den Reihen der PDS. Darin sollen alle Jugendorganisationen der Parteien und Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, zusammenarbeiten. Es soll eine riesige Kampagne geben, bei der wichtige Personen aus Sport, Politik oder Musik gegen die NPD Stellung beziehen. Das Problem einer solchen Koalition ist, dass sie immer nur die Koalition von Jungpolitikern sein wird, die schon jedesGefühl für die Jugend verloren haben und sie regelmäßig mit Krawatte und geschwungenen Reden verschrecken. Da ist es schlimmer, wenn Patrick Brauckmann unterstreicht, dass er beim "Saufen gegen Rechtsextremismus" ganz locker mit Jeans und T-Shirt antanzen wolle. Besonders beid en Julis hat der Beobachter das Gefühl, dass das Problem Rechtsextremismus gerade vom Himmel gefallen zu sein scheint.
Der stellvertretender Landesvorsitzende der Jungen Union Thüringen Stefan Gruhner hält nichts von diesen Schnellschuss-Projekten gegen Rechtsextremismus, denn die kosten viel Geld. "Wir wollen dauerhaft die Jugendarbeit fördern", sagt der 22-Jährige. Er sitzt im Jungendhilfeausschuss seines Kreisverbandes Saale-Orla, wo sich die Vertreter aus den Jugendorganisationen der Parteien und von Jugendeinrichtungen treffen, um über die Vergabe von Mitteln zu entscheiden. "Wir haben es geschafft, dass die Mittel seit vier Jahren nicht mehr gekürzt werden", freut sich Stefan. Unterstützt werden davon Jugendclubs und Sportvereine. Stefan scheint verstanden zu haben,dass langfristige Jugendarbeit wichtig ist.
Die so genannte Jugendarbeit der anderen Jugendorganisationen schlägt sich in Affektveranstaltungen nieder wie Tanzen gegen Rechts , Kicken gegen Nazis oder eben Saufen gegen Rechtsextremismus . Die Jugendorganisationen der Parteien sollten wachsam hinschauen, wenn die Jungen Nationalen an die Jugendlichen herantreten, denn sie reden ihnen nach dem Mund, schüren Ängste und erschaffen Sündenböcke. Sie thematisieren das fehlende politische Interesse der Jugend ganz offen und machen das Thema Politik zu einer Gefühlssache: Tag für Tag können wir mit eigenen Augen wahrnehmen: Verfall, Zerstörung und Fremdbestimmung werden für jeden von uns bis ins Alltagsleben hinein, in der Schule, an der Uni oder im Betrieb deutlich! Sie appellieren an die Grundängste von Jugendlichen: Arbeitslosigkeit, Abwanderung, fehlende Perspektiven. Die NPD versteht es in erschreckender Art und Weise, junge Leute zu locken. Ein Beweis: die Schulhof-CD. Ernstzunehmende Politik hingegen sind sie bisher schuldig geblieben. Eigentlich ist es ein bekanntes NPDGespenst, das umgeht. Ab und zu erschrecktes uns mit Aufmärschen oder Übergriffen und sorgt damit für überstürzte, kurzlebige Reaktionen. Um es zu verscheuchen, brauchen wir keine Koalition gegen Rechts, sondern eine Koalition für eine intensive, langfristige und erfolgreiche Jugendarbeit.
Antonie Rietzschel
Foto: André Forner
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