Jugendliche, angezapft! SPIESSER bittet Philipp, Kristin und Olivervmit ihrem ersten eigenen Auto an die Tanke. Dort tönen sie über ihre Beziehung zu den Karren.
26. February 2007 - 02:04 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
Kristin ist Opfer eines Heckschützen geworden. Eigentlich fahre ich echt nicht mit Vogelscheiße auf dem Auto durch die Gegend , sagt sie. Entschuldigend, weil alle lachen. Ihr sonst so sauberer Ford Ka ist befleckt. Doch: Schwamm drüber.
Philipp, Marie und Kristin stehen schon eine ganze Weile hier. Dass sie jung und motorisiert sind, wird ab und an als Anlass für gepflegte Treffen an der Tanke genutzt. Philipp reißt erst mal Ford-Witze. Liga: Mit dem Ford fährste fort, mit dem Zug kommste wieder. Maries Scheiben laufen an. Hier an der A4 kurz vor Dresden sitzt Philipp in Marie, seinem Opel Astra, und bespricht Kristin, die die Hände in den roten Jackentaschen vergräbt. Kristin studiert Sozialpädagogik.
Und Philipp macht vor dem Damenbesuch auf dicke Haube: Beeindruckend sind nur deutsche Autos , sagt er. Kristin erwidert in Fordfahrerinnenmanier: Ich finde Opel nicht so spannend. Also schwenkt Philipp um: Dir zuliebe würde ich mir sogar einen Audi kaufen. Und sie: Bei uns in der Schule ist jeder Proll Audi gefahren. Wo ist eigentlich Helmi? , fragt Philipp und antwortet sich gleich selbst: Bestimmt liegengeblieben mit der alten Karre! Hätte der nur auch so eine Marie. Marie lebt auf vier abgedrehten Breitreifen, trinkt Benzin und ist Philipps beste Freundin. Marie ist teuer. Ein deutsches Auto kostet um die 500 Euro im Monat: Versicherung, Steuern, Benzin, Reparaturen, jede Menge Kleinkram.
Oliver klappert doch noch ran
Oliver kommt dann doch noch. Helmi nennen ihn nur seine Freunde, und wer mit ihm am Auto steht, ist Helmis Freund. Der Zivildienstleistende aus Nossen ist die gelebte Verbindung von Audi und Volkswagen: Auf den Kühlergrill seines klapprigen alten Polos hat er sich die vier Audi-Ringe gezimmert. Helmi steigt durch die Beifahrertür, die Fahrerseite lässt sich gerade nicht zuschließen. Das Schloss ist kaputt , klagt Helmi, schließt rechts ab und lacht sich erst recht schlapp. Kristin jedenfalls scheint das zu beeindrucken. Die Auto-Crew geht einen Kaffee trinken. Es ist arschkalt. Philipp erzählt weiter von Marie: Ich mag sie. Ich mag ihr Summen. Das kernige, knackige Opel-Summen, weißt du? Glänzend-silberne Fassade, getunte Front, elektronische Scheibenheber der Astra steht voll imLack. Philipp auch. Er ist ein schlaksiger Typ, körperlich lang, haarig kurz und dunkel, Skater-Marken-Klamotte. Philipp prahlt von Marie bis er plötzlich einen ordentlichen Scheibenwischer von Kristin kriegt: Du erfüllst total das Klischee Mann! Fährst jeden Meter mit der Kiste, putzt sie jedes Wochenende und definierst dich darüber. Tschaka, das hat gesessen. Philipps Rechtfertigung: Sein Heimatdorf sei mit sieben Kilometern eines der längsten Waldhufendörfer Sachsens. Ohne Auto sei man dort gerädert.
Mit Marie wollte er Kristin beeindrucken, aber das klappt wohl nicht so richtig. Philipp ist nur einer unter vielen. Knapp 55 Millionen Kraftfahrzeuge fahren derzeit durch Deutschland. Und etwa die Hälfte der heute 18-Jährigen besitzt den Führerschein, hat das Kölner Institut Rheingold herausgefunden also um
die 470.000 junge Menschen. Die Hälfte bekommt direkt zum 18. Geburtstag ein eigenes Auto auf den Hof gestellt.
Nur drei Autos von vielen Millionen
Der Ka von Kristin, Philipps Astra Marie und Helmis Polo sind immerhin drei von vielen Millionen. Sie verstärken das Wir-sind-frei-Gefühl. Neulich, als Marie kaputt war, musste Philipp mit dem Bus fahren. Es war schlimm. Ich hatte in der Leipziger Innenstadt ein Reh umgekachelt , sagt Philipp. Vorne waren übelst Blut und Haare. Vom Vieh keine Spur mehr, 200 Euro Schaden. Kurz danach ging s für Philipp gar gegen einen Baum: Kurve, Rollsplit, ich zu schnell. Danach musste Marie auf die Streckbank.
Wenn Jugendliche Auto fahren, ist das besonders gefährlich, weil die Erfahrung fehlt. 2005 starben in Deutschland von 100.000 Einwohnern 16 Jugendliche zwischen 18 und 25 auf der Straße. In der Gruppe ab 25 gab es je 100.000 Bürger nur sechs Tote. Mehr als 1000 Verkehrsteilnehmer bis 25 kamen im
Auto um. Statistisch gesehen kennt jeder einen, der beim Verkehrsunfall getötet wurde oder getötet werden wird. Philipp und Marie hatten Glück.
Am Ende blieb eine hohe Rechnung: 6400 Euro Schaden durch den Baum-Crash plus 200 für den Reh-Unfall macht zusammen mit den 9000 Euro Kaufpreis, die Marie mal gekostet hat, immerhin 15.600 Euro, die schon jetzt im Auto stecken. Bezahlt haben das Philipps Eltern zum Abi, zum Geburtstag, einfach so. Er weiß das zu schätzen.
Helmi musste einen neuen Motor kaufen
Helmi musste sich gerade einen neuen Motor leisten. Sein alter Benziner hatte 110.000 Kilometer auf dem Tacho. Täglich tuckert Helmi von Dresden nach Bühlau zum Zivildienst. Philipp rollt ein höheres Pensum: 25 Kilometer von Marbach nach Meißen, auch zum Zivildienst. Nur Studentin Kristin fährt auch mal Bahn. Es sei denn, ich besuche meine Eltern im Vogtland. Dann zahlen die aber den Sprit. Kristin würde nie so viel Geld fürs Auto ausgeben. Philipps Kommentar dazu: Du willst doch nur ins Klischee passen. Von wegen Frau und kleines Auto, nicht viel Geld ausgeben, keinen Wert auf Äußerlichkeiten legen. Deshalb stehst du auch wie eine Frau in der Parklücke: schief , sagt Philipp.
Entbrennt jetzt die Frauen-am-Steuer-Debatte? Schreib s auf! , schreit Helmi dem SPIESSER-Reporter zu, als Kristin erzählt, dass sie mal leicht eine Schneewand touchiert hat. Für mich ist mein Auto kein Statussymbol. Für dich schon , wirft Kristin zurück. Stille. Wisst ihr was? , sagt Helmi, Hauptsache, die Buden fahren.
Text: Martin Machowecz
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