Sehr geehrter Herr von Goethe, sehr geehrter Herr von Schiller, ich muss mich bei Ihnen bedanken. Danke, dass ich Ihre Werke in der Schule (und teilweise auch in der Freizeit) lesen und genießen darf. Danke, dass wir ihretwegen schon so viele Orte besucht haben. Aber eine Frage bleibt mir doch offen: Wollten Sie das denn alles? Bevor Sie beide nach Weimar kamen, war das Städtchen total unbedeutend. Ich, mit meinen jungen Jahren, war bereits schon dreimal in der thüringischen Stadt. Egal warum man sich dorthin begibt, immer wird man mit Ihrem Wirken und Ihren Werken konfrontiert. Genau wie heute, waren Sie die „Superstars“ Deutschlands, unsere „Vorzeigesternchen“ im Ausland. Aber wollten Sie das alles?
Heute wissen wir fast alles über Ihr Privatleben. Und dabei muss man sagen, dass es zu Ihrer Zeit noch keine großen Geheimdienste, wie die NSA, gab. Nein, die deutsche Neugier wollte alles über Sie herausfinden. Jetzt wissen wir, wie oft Sie, Herr Goethe, sexuellen Kontakt mit jüngeren Frauen hatten. Und Herr Schiller muss wohl ziemlich viel für Tabak und Wein ausgegeben haben. Wollen wir das wissen? Die Antwort ist wohl leider ja. Erst waren Sie Feinde, Konkurrenten, zwei Genies an einem Ort, dann waren Sie beste Freunde, unzertrennlich und bilden heute die Grundlage des deutschen Kulturguts. Eine ganze Stadt lebt von Ihren Namen. Und wir schmücken uns mit den „deutschen Genies“. Dabei vergessen wir aber wohl, was für entscheidende Mängel an Ihren Personen hingen. Sie Herr Goethe waren, entschuldigen Sie die direkte Anschuldigung, demokratiefeindlich und unterstützten den Adel, wären heute ein Macho, flüchteten von Ihrer vertraglichen Arbeitsstätte nach Italien (und das auch noch bezahlt!). Herr Schiller, Sie waren Kettenraucher. Und heute dürften Sie ihren Genuss in keiner öffentlichen Gaststätte mehr ausüben. Außerdem verliebten Sie sich gleichzeitig in zwei Schwestern und verweigerten den Kriegsdienst. Sie werden wohl noch lange berühmt sein und uns Deutschen in Erinnerung bleiben. Und solange es noch einen Lesekanon an unseren Schulen gibt, werden wir Ihre Werke auch noch lesen. Und das machen wir gerne. Denn wir wissen, Sie wollten uns Menschen vorführen und das Gute aus uns locken. Schon Sie zeigten, alle Menschen sind schlecht und der Einzelne ist gut und kämpft gegen all das „Böse“. So ist es doch auch heute, oder? Hat sich denn in der Zeit zwischen uns viel geändert? Nein, auch Sie waren rebellisch, wild und passten sich am Ende doch an das System an. Außerdem flüchteten Sie sich beide in eine vergangene Epoche (bei Ihnen die Klassik). Goethe und Schiller zu verstehen, heißt nicht nur die Werke zu lesen und zu verstehen, sondern auch Ihre Zeit und die unsrige zu vergleichen und festzustellen, dass sich eigentlich nicht so viel verändert hat. Außer, dass wir Sie heute als „cool“ bezeichnen würden.Dir gefällt dieser Artikel?
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