Herzallerliebstes Gewissen,
vielleicht zweifelst du beim Öffnen dieses Briefes an seiner Sinnhaftigkeit, wo wir doch täglich, hunderte, ach was tausende male miteinander kommunizieren. Gerade jetzt, schreist du mir ins Ohr und rügst mich, warum ich bei diesem heiteren Tag nicht draußen Erdbeeren ernte, statt die Tasten meiner Tastatur abzunutzen. Täglich störst du mich, verwarnst du mich, stutzt mich zurecht.
25. April 2011 - 12:05 von SPIESSER-Autorin Wortgestalt.
vielleicht zweifelst du beim Öffnen dieses Briefes an seiner Sinnhaftigkeit, wo wir doch täglich, hunderte, ach was tausende male miteinander kommunizieren. Gerade jetzt, schreist du mir ins Ohr und rügst mich, warum ich bei diesem heiteren Tag nicht draußen Erdbeeren ernte, statt die Tasten meiner Tastatur abzunutzen. Täglich störst du mich, verwarnst du mich, stutzt mich zurecht.
Mit deiner Lupe suchst du sie, in deinem Beutel sammelst du sie: Missetaten, die mich keinesfalls belasten würden, hebst du auf, schmeißt sie in deinem Beutel, doch zuvor hältst du sie mir vor die Augen, erinnerst mich an sie und verleihst ihnen den nötigen Hauch Dramatik.
Was du alles in deiner Sammlung hast: die geliehenen 2 Euro, die „aus Versehen“ mein Gedächtnis verließen. Die „vergessene“ Hausaufgabe. Die Lüge, die mich am Samstagabend in die Disko lässt. Das Geheimnis meiner besten Freundin, das mich bei den anderen beliebter machte. Und, und, und. Wie groß dein Beutel sein muss und wie scharf deine Lupe, wage ich nicht mir vorzustellen.
Doch denk bloß nicht ich wäre dumm. So schnell du die Missetaten in deinen Beutel tust, so schnell kann ich sie dort auch wieder herausholen. Ich kann dein Geschrei ersticken, deine Rügen verblassen lassen. Ich habe dich durchschaut. Vielleicht hast du es bereits bemerkt: ich speise dich ab, mit scheinbar guten Taten. Du schreist nach Lebenssinn, Glauben und Tiefgang – ich lasse mich einmal berieseln mit den Worten des Pfarrers (gehe das ganze Jahr nicht in die Kirche) und dein Hunger ist gestillt. Du schreist nach Fleiß – ich mache eine Hausaufgabe für übernächste Woche („vergesse“ aber die für morgen) und dein Hunger ist gestillt. Du schreist nach Verantwortung – ich lasse mich ausnahmsweise bei der nächsten Klassensprecherkonferenz blicken. Du schreist nach Ehrlichkeit – ich beichte meine kleinste Lüge (was nicht bedeutet, dass ich die Wahrheit sage) und dein Hunger ist gestillt. Du schreist nach Strebsamkeit – ich lese das Telefonbuch und dein Hunger ist gestillt.
Egal, was für ein Tag auf mich und dich wartet, die wirst nie hungern müssen. Und noch in hundert Jahren, wirst du mich an all das erinnern, was du einst in deinen Beutel getan hast.
Doch ich muss auch gestehen, du bist die Moral in meinem Leben.
Was wäre die Welt gemein ohne dich!
In Liebe
PS: Nun hör schon auf zu schreien, ich gehe ja schon Erdbeeren ernten.
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https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
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[Bild:1]
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mxk
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