SPIESSER unterwegs

Schielende Herzen

In weniger als zwei Wochen geht für Lina von Brasilien zurück nach Deutschland. Gibt es ein Leben nach dem brasilianischen Winter?

01. August 2010 - 17:53
von SPIESSER-Autorin Lina.
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Lina Offline
Beigetreten: 18.05.2009

Eigentlich ist es nicht Linas Art, kleine Kinder zu beschimpfen. Aber vor 30 schreienden Wesen stehend, die sowieso kein Deutsch verstehen, kann man mal seine Erziehung vergessen.

Bis heute Morgen war ich mir noch sicher, dass ich einen Artikel über die WM schreiben werde. Bis heute Morgen dachte ich ja auch noch, dass Brasilien Nordkorea mit mindestens 5:1 besiegt und es eine riesige Party gibt. Nichts davon ist eingetreten. Wahrscheinlich sind die Brasilianer einfach zu siegesgewiss (oder nennt man es arrogant?), um ihre Energie schon in der Vorrunde zu verplempern. Die WM ist also noch keinen Artikel wert, worüber also dann schreiben?

Lina als Lehrerin
Lina ist zurzeit mit dem „Weltwärts-Programm“ in Brasilien. Dort macht sie einen Freiwilligendienst und arbeitet in einer sozialen Einrichtung mit Kindern zusammen. Währenddessen wohnt sie bei einer brasilianischen Familie. Jede Woche schreibt sie, was sie erlebt. Nachlesen könnt ihr das in diesem Tagebuch. Vorherige Artikel findet ihr, indem ihr unten auf der Website die verschiedenen Zahlen anklickt.

Familie und Feste waren schon oft dran – Arbeit komischerweise noch nicht. Wie die meisten Freiwilligen im weltwärts- Programm arbeite ich in einer Art Kindertagesstätte für bedürftige Kinder. Das hörte sich toll an, in der Projektbeschreibung: für die da sein, die es am nötigsten haben. Und so schwer kann es ja nicht sein, ein paar Kinder zu beschäftigen.

So weit jedenfalls meine Vorstellung – mit 19 ist man halt doch manchmal sehr naiv. In Brasilien angekommen war dann alles ein bisschen schwieriger. Im Projekt fix zur Lehrerin ernannt, stand ich von Anfang an mit 40 Kindern allein im Klassenraum. Das ist nicht so lustig, ohne gute Portugiesischkenntnisse. Und ohne Materialien und Spiele gleich noch weniger. Zum Glück braucht  man aber für Englischunterricht nicht viel und Nachhilfe hatte ich ja schon in Deutschland gegeben.

Nun sind die Kinder in meinem Projekt nicht ganz so, wie meine Nachhilfekinder. Statt den Tigerentenclub oder sonst was zu gucken, stehen die Kinder aus meiner Vila eher auf Horrorfilme oder Hahnenkämpfe. Um sich die englischen Zahlen bis zehn merken zu können, brauchen sie Wochen, aber „lice“ und „fleah“ sitzen sofort. Sie haben keine Ahnung, wie die Hauptstadt von Brasilien heißt, wissen aber immer den aktuellen Preis für ein Kilo Plastikflaschen. Manche kommen irgendwann nicht mehr, weil sie mit 13 schon arbeiten gehen. Und ab und zu heult jemand, weil der Drogen dealende Onkel/ Bruder/ Vater erstochen wurde.

Fehlende Autorität
Weltenbummelei auf SPIESSER.de
Auf SPIESSER.de schreiben immer wieder Leute von ihren Erlebnissen im Ausland. Schaut mal rein, zum Beispiel bei
Frank in Israel
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Nora in China
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Selber bloggen?
Wenn ihr auch gerade einen Auslands-aufenthalt oder eine Weltreise plant oder schon irgendwo da draußen seid, dann bloggt doch auch auf SPIESSER.de! Schreibt bei Interesse einfach eine Nachricht an die Online-Redaktion.

Das alles sind nicht die besten Voraussetzungen, um diszipliniert am Englischunterricht irgendeiner über-ehrgeizigen Freiwilligen teilzunehmen. Das weiß ich heute, wusste ich auch früher schon, nur leider habe ich es ab und an vergessen. Geduld kann man sich eben schlecht vornehmen, besonders dann nicht, wenn man gerade überhaupt keine Autorität gegenüber der Klasse hat. So muss ich leider sagen, dass ich mich lieber an manchen Alkohol-lastigen Abend erinnere, als an meine ersten „Unterrichtsstunden“ im Projekt. Wenigstens hat mir niemand den Stinkefinger gezeigt hat, wie damals unserem neuen Sportlehrer .

Umso stolzer bin ich, jetzt sagen zu können, dass die Arbeit mir jetzt richtig Spaß macht. Vielleicht hatte ich zwischendurch einfach vergessen, dass eigentlich kein Kind gerne lange still sitzt und zuhört. Oder ich habe mich bloß dran gewöhnt, dass meine Kinder hier ein bisschen schwieriger sind. Wie auch immer, mittlerweile haben wir gemeinsam Spaß UND lernen etwas voneinander. Am Ende das Tages werde ich dann mit Küsschen verabschiedet. Jedes der Kinder ist mir mittlerweile ans Herz gewachsen. Ein bisschen ist es eben doch so, wie ich mir das vor dem Jahr vorgestellt habe.

Auf der nächsen Seite gibts brasilianische Musik zu hören!

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Kommentare

18 Kommentare
  • Oi Lina,
    tudo bem?

    ich bin für ein Jahr als Austauschschülerin in Brasilien, Minas Gerais und fande die Weihnachtszeit eine schwierige, aber erfahrungsreiche Epoche im letzten Jahr.
    Ich verbrachte Weihnachten in Brasilia und konnte diese Stadt mit vielen Lichterketten,einem riesigen, elekrtronischen Weihnachtsbaum und gemischtem Wetter genießen.

    Ich hoffe dir gefällts bis jetzt super in Brasilien!?
    Wie kommst du mit der Sprache klar und wie lange bleibst du noch?

    Um abraco
    Lydia

  • Ich stell mir Weihnachten bei gutem Wetter immer so komisch vor. Man bekommt so ein ganz anderes Bild und irgendwie hat man keine Lust auf Weihnachten bei dem wetter weil das feeling nicht kommt.
    Aber so wie du es beschrieben hast, muss es doch auch eine gute Seite an sich haben

  • die mit dem glück sind ja auch sehr daruaf bedacht dieses auch im gleichen maße zu behalten. da steckt man halt lieber geld in den elektrozaun als in die armen...

    mich erinnert so ein brasiliansicher ganove an einen halb verhungerten hund, dem man ein stück fleisch vor die nase hält - er schnappt zu.

  • mit deinem Kommentar hast du ja sicher Recht. Aber ich wollte nochmal leise drauf hinweisen, dass ich in meinem Text nicht die Ungerechtigkeit von Armut in Frage gestellt habe, sondern nur die Kategorisierung von der anderen Seite aus. Also in deinen Worten: nicht nur die Verurteilung von Menschen mit Pech, sondern auch die von denen mit Glück.

  • Für mich ist es nicht klar, wie man hässliche und dumme Leute verachten kann!!!

    Es bleiben immer noch Menschen.

    Und es hat Gründe warum sie zu dem wurden was sie sind.

    Die Gründe liegen nah bei deiner Festellung.

    Schubladisierung,

    Kategorisierung.

    ...den Menschen nicht nach Seele, sondern nach Leistung und Können zu beurteilen.

    Ich gebe euch ein Beispiel:

    Stellt euch vor, Mozart wäre in Uganda zur Welt gebracht worden, mit seiner Begabung, seinem unglaublichen Gehör, der Gabe Menschen mit Musik zu verzaubern.

    Glaubt ihr denn im Ernst irgend ein Buschmann hätte ihn entdeckt und mit in einen Konzertsaal geschleift?

    Der wäre untergegangen und an seinem absoluten Gehör zerbrochen.

    Diese Welt ist und bleibt ungerecht.

    Entweder du hast Glück und wirst in ein Wohlstandland hineingeboren,

    oder du hast eben Pech fristest ein elendes Da Sein.

  • Muss ja komisch gewesen sein, so nichtsahnend dazusitzen.
    Hört sich jedoch total lustig an, was du schon alles verstehst nach knappen zwei Monaten ist echt cool.
    Freu mich auf weitere lustige Geschichten und Traditionen. Lg, schneewibchen

  • Klingt ja echt komisch. Wenn Du irgendwann mal rausfindest, um was es da ging, wärs toll, Du könntest es uns mitteilen. =)

    Wünsch Dir weiterhin viele tolle Erfahrungen!

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