Mit Armut konfrontiert: An der Haltestelle steht sie, sammelt in Lumpen gehüllt Zigarettenstummel auf. SPIESSER-Autorin Katrin trifft sie jeden Morgen, macht sich Gedanken und fragt sich, wie man der Frau helfen kann. Am Ende bleibt das Gefühl der Hilflosigkeit...
11. February 2007 - 22:25 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
Jeden Morgen ist sie da, die Frau. Sie ist jeden Morgen die Erste, die ich sehe. Dabei ist egal, ob sie allein dasteht, oder ob noch viele andere Menschen um sie herumstehen. Ich würde diese Frau in jeder Menschentraube erkennen. Es ist ihr Lachen. Es hat sich auf meine Netzhaut gebrannt.
Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht einmal, ob es wirklich ein Lachen ist. Sie verzieht so komisch ihr Gesicht, dass es so aussieht, als würde sie lachen - doch dabei kommt kein Lachen aus ihrem Mund. Ich meine, ich höre sie niemals lachen, ich sehe sie immer nur. Die Frau spricht nie. Aber sie brabbelt.
Sie muss behindert sein. Das merkt man ihr an. Sie läuft nicht wie andere Menschen. Sie hält auch ihre Hände anders. Sie hält sie vor die Brust. Sie trägt immer dieselbe Kleidung. Jeden Tag die gleichen alten Winterschuhe, die Jacke und die Hose wechselt sie nie. Ihr Blick aber ist das Merkwürdigste an ihr. Wenn sie mich ansieht, bekomme ich Angst. Ich schäme mich für dieses Gefühl.
Ich versuche, Mitleid zu empfinden. Aber es geht nicht.
Eigentlich sollte ich ihrgegenüber Mitleid fühlen. Es gibt sicher niemanden, der sich um sie kümmert. Sonst würde sie nicht jeden Tag an der S-Bahn-Haltestelle stehen und alte Zigarettenstummel aufsammeln, um sie zu rauchen. Jedes Mal, wenn ich sie wieder sehe, versuche ich es, ich versuche, Mitleid zu empfinden. Aber es geht nicht. Die Angst durchdringt mich immer wieder. Ich kann nicht erklären, warum ich so fühle. Wenn diese Frau sich wieder eine Kippe in den Mund steckt und sie mit zitternden Händen anzündet, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich hoffe, dass sie das nicht merkt.
Neulich stand ein Mann an der Haltestelle. Er hat die Frau auch gesehen, und ich sah deutlich, dass er Ekel empfand. Er lließ das auch die Frau durch seine Blicke merken. Danach fiel der Blick des Mannes auf mich, und er sagte zu mir: "Diese Frau ist doch so was von ekelhaft. Finden Sie nicht auch?" Alle anderen Leute, die an der Haltestelle standen, hatten auch gehört, was er gesagt hatte, aber sie taten so, als ob der Mann kein Wort verloren hätte.
Ich weiß nicht, was ich für diese Frau tun soll.
Ich war sprachlos, denn ich hätte es niemals gewagt, so etwas überhaupt auszusprechen. Ich schäme mich ja schon dafür, dass ich diese Frau verstohlen von der Seite anschaue. Die Frau suchte weiter nach Zigarettenstummeln. Ich machte mir Gedanken über den Mann. Der Frau geht es doch so schon schlecht genug, da braucht er ihr ja nicht auch noch zu sagen, wie abstoßend er sie findet.
Der Mann war gut gekleidet. Er hatte bestimmt ein gutes Leben. Ich dachte immer, dass sich Menschen, denen es gut geht, um die kümmern sollten, die krank, arm oder allein sind. Er würde ihr nicht helfen. Aber ich werde es auch nicht tun. Wie auch. Ich weiß nicht, was ich für diese Frau tun soll. Kann ich sie davon abhalten, alte Kippen zu rauchen? Soll ich sie mit in meine Wohnung nehmen, soll ich ihr einen Platz in einem Heim verschaffen? Ich denke nicht, dass ich das kann. Ich habe doch mit dieser Frau nichts zu tun. Ich weiß nur, dass sie jeden Morgen mit mir an der Haltestelle steht und stumm lacht.
Text: Katrin Suckrau
Und ihr? Helft ihr? Schaut ihr weg? Wie geht ihr mit solchen Situationen um? Sagt uns eure Meinung!
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https://youtu.be/dc3EW7fgqk8
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mxk
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