SPIESSER unterwegs

Abschied und Rückflug

Ein halbes Jahr Schüleraustausch ist vorbei. Da ein Weiterleben im Keller oder Auswandern nach Hawaii wohl doch nicht in Frage kommen, muss Anita schweren Herzens den Rückflug nach Deutschland antreten.

02. March 2010 - 12:26
von SPIESSER-Autorin -atinA-.
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-atinA- Offline
Beigetreten: 08.05.2009

 

Fünf Monate USA stehen an, aber erst mal heißt es für SPIESSER.de-Autorin -atinA- noch Rotz und Wasser heulen.

Ich kauere vor meinem Bett und heule. Eine SMS nach der anderen tippen meine Finger. Ich habe das Bedürfnis, die Text-Botschaften meiner Freunde wieder und wieder zu lesen. Das Fotoalbum, das mir meine besten Freundinnen zum Abschied geschenkt haben, liegt neben mir, aufgeschlagen auf einer bunten Seite mit vier lachenden Gesichtern. Darauf ist ein nasser Fleck, eine Träne hat es nicht mehr bis ins Taschentuch geschafft. John Denver singt erbarmungslos aus meinem Handy. „So kiss me and smile for me. Tell me that you wait for me. Hold me like you never let me go. Cause I’m leaving on a jetplane.” Das Lied läuft heute bei mir in der Endlosschleife. Und es berührt mich immer noch. Zu gut passt es gerade in meine Situation, zu viele schöne Erinnerungen ruft es in mein Hirn zurück. Ich hätte mehr Taschentücher kaufen sollen. Aber wer denkt denn, dass ich schon zwei Tage vor der Abreise in die USA meine geplante Wochenration verbrauche?

Anita ist für ein halbes Jahr in den Vereinigten Staaten und geht dort wie eine ganz normale Amerikanerin auf die Highschool. Was sie erlebt, lest ihr in ihrem Tagebuch. Ältere Einträge findet ihr, wenn ihr unten auf die Seitenzahlen klickt.

Übermorgen geht es also los. Übermorgen beginnt die Reise, auf die ich mich im Grunde seit meinem 11. Lebensjahr überirdisch freue. Ich habe Monate gezählt, Wochen, schließlich Tage. Ich wurde mit jedem durchgestrichenen Kästchen im Kalender aufgeregter und glücklicher.

Der Stimmungskurs sinkt


Der Koffer ist bereit für die Reise. Ich scheinbar noch nicht.

Bis heute. Jetzt driftet der Stimmungs-Kurs steil abwärts. Totaleinbruch bei Anitas Gefühlskurve. Aktionäre meiner Stimmung würden sich die Haare raufen und verzweifelt schreien „Warum habe ich nicht gestern verkauft?“. Millionenverluste sind zu erwarten. Meine Koffer liegen halb gepackt neben mir. Auch hier sind Verluste zu erwarten. Niemals kann ich mich auf das erlaubte Gewicht beschränken. Momentan sieht der Inhalt noch mehr nach Chaos als nach der systematischen Ordnung aus, zu der mir Mama geraten hat. „Dann passt mehr rein!“, sagte sie.

Obwohl es sinnvoll wäre weiterzupacken, interessiert es mich gerade überhaupt nicht. Wo soll das nur hinführen? Ich habe jetzt schon Heimweh, obwohl ich noch nicht einmal weg bin! Ich vermisse alles, meinen routinierten Alltag, der mir immer zu langweilig erschien, die Zeit, die ich mit Freunden einfach mit sinnlosem Nichtstun verbracht habe, sogar die Menschen, für die ich noch nie auch nur einen Hauch von Sehnsucht empfunden habe.

Musik, Rotz und Wasser

Ich sollte den zweiten Koffer füllen und den ersten umordnen. Ich sollte mich freuen, wie verrückt. Ich sollte meiner Gastfamilie noch eine Mail schreiben. Ich sollte endlich einmal zufrieden sein, weil sich bald mein allergrößter Traum erfüllt. Was mache ich statt all dieser sinnvollen Taten!? Ich sitze auf einem von Kleidungsstücken und Dokumenten übersäten Boden, lese mit zittrigen Fingern Abschiedsgrüße, höre schnulzige Herzschmerz-Musik und heule Rotz und Wasser.

Wenn ihr wissen wollt, was andere SPIESSER.de-Autoren über ihre Auslandsreisen berichten, dann schaut doch mal in die "Bock auf Ausland"-Gruppe

Die unbändige Freude der letzten Wochen wird zu mir zurückfinden, da bin ich mir ganz sicher. Aber jetzt muss mein Kissen noch tapfer die Tränen-Wimperntusche-Tortur über sich ergehen lassen. „Now the time has come to leave you. One more time let me kiss you. Close your eyes and I’ll be on my way.” Danke, John, für die aufmunternden Worte.

Titelbild: pixelio.de/ Rainer Sturm

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Kommentare

Sechs Kommentare
  • Jetzt bin ich wieder daheim in Deutschland, das vielleicht ereignisreichste und beste halbe Jahr meines Lebens ist vorbei, und somit leider auch mein USA-Blog hier. Es hat mir echt Spaß gemacht, über meine Auslands-Zeit zu schreiben. Und ich wollte nochmal danke sagen, an alle spiesser.de user, die mir in Kommentaren und Privatnachrichten geschrieben und Mut gemacht haben, Glück gewunschen, etc. Danke :)
    An alle, die auch ein Highschool-Semester oder -Jahr planen: Ich wünsche euch genauso viel Spaß und neue Erfahrungen, wie ich hatte. Ergreift die Chance, wenn ihr könnt. Nur ganz wichtig: Offen für neues sein, alles ausprobieren, was sich bietet und auf Menschen zugehen. Ich kann es nur jedem empfehlen und würde es sofort wieder machen!

  • Huhu,
    also mir haben deine Berichte sehr gut gefallen und ich bin traurig, dass du schon wieder nach Hause fliegen musstest.
    Ich hoffe, du bist wieder gut im (manchmal doch etwas unfreundlichen) Deutschland angekommen!
    Alles Gute für die Zukunft! VG

  • Wie du schon gesagt hast, ich habe mich "um einen neutralen Anschein bemüht". Es tut mir Leid für dich, wenn du meine Schreibweise als "arrogant" auffasst, das bin ich nämlich nicht und es war nie meine Absicht, so rüberzukommen.
    Das Gegenteil ist der Fall, ich bin sehr sehr froh, dass ich die Chance bekommen habe, Amerika kennenzulernen und einfach zu sehen, wie Menschen in anderen Teilen der Welt leben.
    Zum Thema Gott hat wohl jeder eine andere Meinung und ich habe auch lange überlegt, ob ich über dieses Thema schreiben soll oder nicht, schließlich sind einige Menschen dabei sehr empfindlich. Letztendlich habe ich mich dazu entschlossen, den Text zu schreiben.
    Ich habe eben erzählt, was ich erlebt habe, ohne jemals zu schreiben ob ich es toll oder doof finde. Wie gesagt, es ist eben anders als ich es gewohnt war, und trotzdem habe ich vor dem Essen gebetet und bin in diese Jugendgruppe gegangen. Einfach, um selbst zu erfahren, wie es denn so ist. Es war ungewohnt anfangs, klar, aber auch interessant und ich könnte niemals behaupten, dass es eine "abwegige Andersartigkeit" der Amerikaner ist. Man kann diesen Text, wie ebenfalls genannt, auch nicht auf die kompletten USA beziehen, genauso wenig meine Einstellung auf ganz Deutschland. Ich habe versucht, dem Leser einen Einblick zu geben, wie ich es erlebt habe, mehr nicht.
    Über manche Dinge wie dem Kein-Sex-vor-der-Ehe war ich überrascht, aber das findest du in Deutschland sicher auch. Jeder, wie er es für richtig hält, wieso sollte ich darüber urteilen?
    Ich finde einige Sachen in Amerika besser, einige in Deutschland. Und selbst wenn du das beste aus beiden Ländern kombinieren würdest, hättest du noch nicht das perfekte Land.

  • Nicht unbedingt. Doch obwohl sich dein Text um einen neutralen Anschein bemüht und du unter anderem auf die Unterschiede bei deiner Auffassung des Themas hinweist, kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass hier jemand schreibt, der nach seinen gemachten Erfahrungen nun arrogant und voll Abscheu von der abwegigen Andersartigkeit der US-Amerikaner berichtet. Zwar wird nirgends direkt kommentiert und es werden lediglich indirekt Dinge impliziert (vornehmlich durch, der Schilderung nachgereichten Beschreibungen der eigenen Reaktion), doch das Gefühl bleibt.

    Könntest du dich bitte mit diesem Eindruck von der ersten Seite deines Berichts auseinandersetzen? Treffe ich ins Schwarze oder meilenweit daneben? Wenn du meine Vermutungen an dir selbst überprüfst, findest du, dass diese ihre Berechtigung haben?

  • dein Auslandsjahr klingt unglaublich cool! Wenn ich die Chance dazu hätte, ich würde sofort mitmachen.
    Und Frauenfussball ist genial ;D

  • Wow, das klingt alles super! Plane auch gerade mein Highschooljahr, deine schönen Erfahrungen zeigen, dass es bestimmt die richtige Entscheidung ist!
    Also weiterhin viel Glück beim Fußballspielen!
    (Wir wissen ja alle das Frauen die wahren Fußballmeister sind;))

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