SPIESSER unterwegs

15 Jahre Bücherwust in Ghana

Peter ist der Bücherwurm einer ghanischen Schule und mogelt sich durch den Unterricht. Was er macht oder auch nicht macht, lest ihr hier.

04. January 2012 - 15:05
von SPIESSER-Autor Struwwel.Peter.
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Struwwel.Peter Offline
Beigetreten: 14.12.2010

Endlich! Die Schule hinter mir, das Abi in der Tasche. Zeit für eine richtige „Große Pause”: Seit Mitte September befinde ich mich in Ghana. Mein nächstes Stundenklingeln wird wohl bis zur Uni auf sich warten lassen.

Ein bisschen Ökogehirnwäsche
Peter macht Freiwilligendienst an einer Schule in Ghana und versucht sich als Bibliothekar.

Dachte ich zumindest. Aber das schrille Stundenklingeln hörte ich schneller wieder, als mir lieb war. Seit September 2011 bin ich nun in Ghana und arbeite an der John-William-Montessori-Schule in Kumasi. Montessori-Schulen sind eine Art Waldorfschulen mit nicht ganz so viel Ökogehirnwäsche, wie das über Waldorfschulen immer behauptet wird. Weil Unterrichten nicht so mein Ding ist, leite ich die Bibliothek. Ich bin sozusagen Bibliothekar. In Deutschland müsste ich dafür erst studieren oder eine Ausbildung machen – aber es ist ja auch nur eine kleine Schulbibliothek.

Wer sich wundert, dass es in Ghana Bücher gibt, wird gleich aus allen Wolken fallen. Wir haben auch einen Computerraum. Sogar eine Internet-Flatrate ist drin. Unterstützt wird das von „Grandma”, die bei der UN arbeitet und so alt ist, dass ich sie Grandma nennen darf. Die Verbindung ist fast so schnell wie bei meinen Eltern. Memo an Papa: Wir brauchen unbedingt schnelleres Internet ! Einziger Wermutstropfen ist der schlechte Zustand der meisten Computer.

Neben der Bibliothek gebe ich pro Woche auch zwölf Stunden Unterricht nach meinem Gutdünken. Also gebe ich meinen Schülern Bücher und lasse sie damit mehr oder weniger alleine. Lesen bildet schließlich! Das klappt erstaunlicherweise ganz gut. Wer nichts lesen will, den mag ich nicht dazu zwingen. Wer ein besonders interessantes Buch bekommen hat, leiht es sich oft nach der Stunde aus, um es zuhause weiterzulesen. Und da es jede Stunde ein neues Buch gibt, ist für jeden mal was dabei.

Der pure Luxus!

Da immer jeder erzählt, dass die Schulzeit die schönste Zeit im Leben ist, koste ich das in Ghana nochmal richtig aus. Ich arbeite nämlich nicht nur, sondern wohne auch dort. Bis die ersten Kinder wach sind, versuche ich auch hier zu schlafen. Spätestens dann wird mein Gehör auf die Probe gestellt. Inzwischen habe ich mich aber an den morgendlichen Krach gewöhnt und schlafe meistens bis halb zehn durch. Außer wenn der Internatschor halb sechs Uhr morgens sein erstes christliches Liedchen trällert.

Ungewohnt ist auch, dass ich meinen Schülern auf dem Weg ins Bad über den Weg laufe. Zum Glück habe ich ein eigenes Zimmer mit selbstgebauter Hängematte, Teppich und Ventilator und teile mir die Dusche nur mit meinem „Mitfreiwilligen“ Severin. Die Dusche ist sogar „echt” und besteht im Gegensatz zu vielen anderen in Ghana nicht aus Eimern voll kaltem Wasser. Der pure Luxus! Die Internatskinder dagegen wohnen in Schlafsälen. Privatsphäre ist da Fehlanzeige.

Uniformierte Schüler auf maroden Stühlen

Ich war zwar nie in einer Montessori-Schule in Deutschland, aber ich habe mir sagen lassen, dass die Schüler dort in den „Freiarbeitsstunden” im Grunde machen können, was sie wollen. Und dass die Klassen sich regelmäßig im Kreis zusammensetzen und über ihre Probleme sprechen.

Auch im Neuen Jahr gibt's wieder spannende Geschichten aus aller Welt zum Beispiel von Katja aus Serbien, Jelena aus Frankreich und Markus von hier und da.

Hier in Ghana wird das ein bisschen anders gehandhabt: Frontalunterricht ist die Devise. Die Schüler tragen Uniformen und rutschen auf maroden Stühlen hin und her. Oft hat ein Lehrer zwei Klassen gleichzeitig, die er dann mit Tafel-Romanen in Schach hält. Manchmal sitzen die Schüler auch einfach nur rum, weil der Lehrer gerade etwas Besseres vor hat und nicht zur Schule kommt.

Die Unterrichtsatmosphäre pendelt irgendwo zwischen gelangweilt und aufgedreht. An so manchem Lehrer ist ein Entertainer verlorengegangen! Zwar verstehe ich die meisten Witze nicht, da sie auf Twi, der Stammessprache der Ashanti, zum Besten gegegeben werden, aber den Schülern scheints zu gefallen. Gelegentlich rutscht dem ein oder anderem auch mal der Stock aus. Das wird zwar von der Chefin der Schule kritisiert und ist auch gesetzlich verboten, aber es zählt hier als normales Mittel, um sich Autorität zu verschaffen – bei Eltern ebenso wie bei Polizisten oder eben Lehrern. Wie gut, dass es Freiwillige gibt, die allzu schlagfertige Lehrer anschwärzen können.

15 Jahre Bücherwust

Von afrikanischer Gelassenheit habe ich bisher noch nichts mitbekommen – zumindest nicht im Umgang mit den Behörden. Beim Papierkram kennen die auch hier keinen Spaß. Visa-Formulare müssen in vierfacher Ausführung an die ghanaische Botschaft in Berlin gehen. Kopieren darf man nichts, man muss also alles viermal per Hand schreiben. Bei meiner Handschrift eine ziemliche Hürde.


Konrad, mein Mitfreiwilliger, hilft mir, das
Bücherchaos in den Griff zu kriegen.

Auch meine Schule ist vom Bürokratieproblem infiziert: Eigentlich wollten mir ein paar Freiwillige bei meiner Arbeit in der Schulbibliothek helfen, weil das alleine nicht zu schaffen war. Außerdem ist mir das auch zu langweilig. Leider darf ich mir nicht helfen lassen. Meine Chefin behauptet, das sei gegen das Schulgesetz.
Also sortiere ich weiter alleine die Bücher aus der Bibliothek nach Kategorie, Autoren und Titel,  verleihe nebenbei einige davon und muss zusehen, dass ich sie alle wiederbekomme. Pro Tag muss ich dann auch noch drei Klassen unterrichten. Dass ich alleine nur einen Bruchteil der Arbeit leisten kann, ist anscheinend egal: „Auch wenn du heut nur ein Buch sortieren kannst. Niemand macht hier Stress”, meint die Chefin dazu. Bei einer geschätzten Zahl von 4 000 Büchern würde es auf diese Weise circa 15 Jahre dauern, die Bücher zu sortieren. Kurz vor Weihnachten haben Severin und ich dem Elend dann aber ein Ende gesetzt und alle überschüssigen Bücher in eine Abstellkammer verfrachtet. Statt den Freiwilligen mussten dann aber die Schüler schuften – verdammtes „Schulgesetz“!

 

Wollt auch ihr eure Auslandserlebnisse mit uns teilen? Dann werdet SPIESSER.de-Autor. Infos gibts bei unter redaktion@spiesser.de

Teaserfoto: Mariocopa/ pixelio.de

Textfotos: privat

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Kommentare

Fünf Kommentare
  • Wie ist es denn generell so in Ghana?
    Ich finde richtig gut was du machst und habe mir überlegt nach dem Abi entweder nach Ghana oder nach Kenia zu gehen für ein halbes/dreiviertel Jahr. :)

  • ich musste mir die schule gar nicht selber raussuchen. das hat alles der ICJA (icja.de) bzw. der ICYE ghana gemacht. die haben mich in "meine schule" gesteckt, nachdem ich gesagt hab, wo ich grob hinmöchte (schule/waisenhaus).

    es gibt einen haufen vereine , die weltwärts (tolles förderprogramm) und IJFD (nicht so tolles förderprogramm, rate, welches ich habe) anbieten, einfach mal googeln.

    überleg dir aber gut, ob du ein ganzes jahr bleiben willst. das ist verdammt lange =D ich würd dir irgendwas zwischen 6 und 12 monaten empfehlen. und bewirb dich rechtzeitig.

    wenn du irgendwelche ghana-/icja-fragen hast, dann frag ruhig. =)

  • Und wie bist du auf diese Schule gestoßen? Ich will nach meinem Abi auch gerne erstmal einen Freiwilligendienst in Afrika machen (Schule oder Waisenhaus :) ), aber ich weiß noch nicht so recht wo ich suchen soll und für was ich mich entscheiden soll und die wie die Vermittlung dann abläuft. Hast du dich auf Internetseiten umgeschaut oder hattest du schon eine "Agentur" im visier?

  • als ich mich für das jahr in ghana beworben hab, konnte ich ganz grob auswählen, was für mich ok wäre (arbeit in einer schule, mit straßenkindern/waisen) und was gar nicht geht (arbeit mit alten, behinderten)

    irgendwann wurde mir mein projekt gesagt und ein paar wochen vor abflug wusste ich dann dank facebook-geschreibe mit sev, dass ich in die bibliothek komme.

  • ...nicht schlecht an! Wusstest du von Anfang an, dass du due Bibliotehk leisten würdest, oder hast du das erst vor Ort erfahren?

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