Brief an …

Brief an...
den Corona-Virus

SPIESSER-Autorin Katharina wendet sich in ihrem Brief an jemanden, der ihre Welt von einen auf den anderen Tag veränderte.

27. April 2021 - 13:58
SPIESSER-Autorin Kathi99.
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Kathi99 Offline
Beigetreten: 01.04.2021

Lieber Corona-Virus,

seit ungefähr einem Jahr kennen wir uns nun schon. Du hast mein Leben so umgekrempelt wie noch nie jemand zuvor. Durch dich habe ich nicht nur gelernt, wie wichtig Freiheit und die Verbindung zu anderen Menschen sind, sondern auch wie sehr sich Menschen voneinander spalten können, wenn Meinungen so sehr auseinander gehen.

Zuerst habe ich nicht damit gerechnet, dass du uns hier in Deutschland wirklich besuchen wirst. Du warst eine Berühmtheit in einem weit entfernten Land. Irgendwann hast du auch hier an unsere Tür geklopft, aber weiterhin glaubte ich nur an einen kurzen Aufenthalt von dir. Doch dann kam alles anders: Von einem auf den anderen Tag waren Existenzen bedroht, die Gesichter mit einem Mundschutz bedeckt und keine Menschenseele auf der Straße zu sehen. Niemals hätte ich vermutet, dass du, als kleiner Virus, es schaffst die ganze Welt lahm zu legen.

Der erste Lockdown mit dir war noch aufregend. Jeder Einkauf wurde zum Abenteuer und ich fagte mich, ob ich noch genug Nudeln oder Toilettenpapier kaufen kann. Aber ich war mir auch dann noch sicher, bis zum Sommer würdest du wieder deiner Wege gehen. Jedoch bliebst du länger als gedacht. Du warst nun kein Fremder mehr und wir lernten uns allmählich besser kennen. Ich weiß mittlerweile welchen Schaden du anrichten kannst, wie ich dich am besten von mir und anderen fernhalte oder was du alles nehmen kannst, wenn du voll zuschlägst.

Eine Zeit lang hast du mich sehr traurig gemacht. Nicht nur mir hast du zu spüren gegeben, wie einsam man sich fühlt, wenn die Verbindung zu anderen Menschen fehlt. Besonders für alte Menschen und diejenigen, denen es mental nicht gut geht, warst du eine große Herausforderung. Mittlerweile ist schon ein Jahr vergangen ohne Umarmungen, Partys, Hochzeiten, Geburtstage und Reisen. Du hast auch Erfahrungen genommen. Ich stehe am Anfang meiner Zwanziger und habe das Gefühl ich verpasse das Leben. Und so geht es sicher auch den Kindern, die nicht in die Schule oder in den Kindergarten können.

Mittlerweile bin ich oft nicht mehr traurig, sondern wütend auf dich. Darauf, dass so vieles momentan nicht möglich ist und dass es so vielen Menschen gesundheitlich und finanziell schlecht geht wegen dir. Aber auch darauf, dass du Menschen so sehr auseinander bringst. Wegen dir stehen sie auf den Straßen und vertreten ohne Maske, aber dafür mit Ignoranz und Unverständnis ihr Denken. Was habe ich oft über dich diskutiert. Kein anderes Gesprächsthema war mehr relevant. Du hast dich so oft in den Mittelpunkt gedrängt, nicht nur in Gesprächen, sondern auch in meinem Kopf.

Aber dennoch will ich dir zum Ende noch etwas Positives mit auf den Weg geben. Auch wenn dein Besuch viele Negatives bedeutet hat, kann ich auch auf einige gute Dinge zurückblicken. Durch dich schätze ich die Verbundenheit mit Menschen, egal ob Freunde oder Fremde, wieder mehr. Auch die Freiheit überall hinzugehen, neue Länder zu erkunden, die Neugier auf das Unbekannte ist durch dich so stark wie nie zuvor. Du hast mir gezeigt, wie schön es ist zur Ruhe zu kommen. Ich war gezwungen zu Hause zu bleiben, durchzuatmen und mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Durch dich konnte sich unser geschwächter Planet endlich erholen, weil durch dich die Mobilität eingeschränkt wurde. Und auch die Erkenntnis, dass die Umgebung, in der ich schon seit Jahren lebe es wert ist, erkundet zu werden, hast du mit dir gebracht. Du hast zwar viele Menschen räumlich voneinander entfernt, dafür aber Nachbarschaften enger zusammengebracht.

So normal die Maßnahmen um dich herum auch geworden sind, so fremd kommt mir die ganze Situation immer noch vor. Denn jeden Tag warte ich nur darauf, dass alles zum Alten zurückkehrt. Ich hoffe nachdem du weg bist, wird sich einiges ändern in der Welt. Vielleicht schaffen wir es, nicht nur für Pfleger und Ärzte zu klatschen, sondern sie mehr wertzuschätzen durch eine bessere Bezahlung. Ich hoffe, dass in Zukunft kleine Leute mehr unterstützt werden als große Konzerne und die Einsicht kommt, dass Reisen und Partys wichtig sind, aber man auch in Zukunft das Auto für unsere Erde zumindest ab und zu stehen lassen kann.

Danke Corona, dass du mir und allen Menschen der Welt so viel beigebracht hast. Ich glaube, das war wichtig, um einige Dinge zu ändern. Aber nun hat der Besuch lange genug gedauert und du darfst uns gerne wieder verlassen.

Lebe wohl (hoffentlich bald)!
Katharina

 

Text: Katharina Ziegler
Teaserbild: 
Photo by Priscilla du Prez on Unsplash

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