Der Regen verleiht dem Schulhof der ehemaligen Grundschule im Düsseldorfer Stadtteil Düsseltal an diesem ungemütlichen Dienstagnachmittag einen traurigen Eindruck. Menschenverlassen und nass liegt er da. Hier, wo lange Zeit Kinder spielten und ihre ersten Schuljahre verbrachten, sind heute etwa 200 Flüchtlinge untergebracht. Die meisten von ihnen sprechen kaum Deutsch, viele Jugendliche gehen nicht zur Schule.
Auf der anderen Seite des Schulhofs steht ein unauffälliges Häuschen: das HispI-Lernhaus. Hier haben es sich circa 100 Freiwillige zur Aufgabe gemacht, Kinder und Jugendliche zu unterrichten und den Flüchtlingen eine Abwechslung vom Alltag zu bieten.
Das HispI-Lernhaus freut sich über jede helfende Hand. Wer sich engagieren möchte, kann sich unter der Email-Adresse hispi.das.lernhaus@gmail.com melden.
Immobilienkauffrau als Selfmade-Lehrerin
Im HispI-Haus, HispI steht für „Hilfe in der sprachlichen Integration“, bin ich mit Heike verabredet, die seit Januar an zwei Nachmittagen in der Woche Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren unterrichtet. Die Immobilienkauffrau hat verzweifelt im Netz nach einer einfachen Möglichkeit gesucht, ihren Beitrag in der Flüchtlingskrise zu leisten.
„Durch Zufall habe ich einen Bericht über die Initiative gelesen. Das fand ich unglaublich toll und unkompliziert.“ Eine Woche später besuchte sie einen Info-Abend. Dass im Grunde jeder Helfer selbst entscheiden kann, wann er kommt und hilft, habe sie überzeugt. Selbst als nicht ausgebildete Lehrerin konnte sie direkt mit einem vorgegebenen Lernprogramm anfangen: „Ich habe mir selbst Material besorgt, bin also Selfmade-Lehrerin“, erzählt sie.
Adjektive, Buchstaben, Umlaute
Mohammad liest Heike die Zahlen auf Deutsch vor.
In einem hellen Raum, dem kleineren von zwei Unterrichtsräumen, setzen wir uns gemeinsam mit dem 18-jährigen Mohammad, einem lächelnden jungen Syrer, an einen Tisch. Seit drei Monaten ist er mit seiner Familie in Deutschland und wohnt in Düsseldorf. Im HispI-Haus lernt er zusammen mit seinem Bruder und zwei Bekannten Deutsch.
Auf dem Lernprogramm stehen heute Adjektive und Gegensätze. Mohammad muss zu vorgegebenen Adjektiven die Gegensätze finden: „lang – kurz“, „froh – traurig“, bei Unklarheiten hilft eine Übersetzungs-App, ansonsten herrscht striktes Handy-Verbot. Buchstabieren und Umlaute machen ihm zu schaffen. Mit viel Mühe liest Mohammad Berufe vor, die in einer völlig anderen Schrift als der gewohnten arabischen, geschrieben sind. Dennoch ist er sehr motiviert und spricht für die kurze Zeit, die er hier ist, schon gut verständliches Deutsch.
Fleißige Schüler ohne Ende
Hier drücken nicht nur Kinder und
Jugendliche die Schulbank...
Initiatorin des HispI-Hauses ist Karin Jungjohann, die von den Schülern beeindruckt ist: „Unsere Schüler sind sehr engagiert beim Lernen und dankbar, dass wir ihnen diese Möglichkeit bieten.“ Oft würde es ewig dauern, bis jemand einen Deutschkurs besuchen darf. Unter den Helfern sind auch ausgebildete Pädagogen. „Die Lehrer sind happy, da sie sonst nicht immer so fleißige Schüler vor sich haben“, erzählt die Initiatorin weiter.
Da in ihren Augen zu wenige Flüchtlingskinder eine Schule besuchen, beschloss sie gemeinsam mit Barbara Gladysch, einer Friedensaktivistin mit vielen Kontakten zur Stadt Düsseldorf, etwas dagegen zu tun: So gründeten sie im August 2015 das HispI-Haus. Barbara Gladysch kümmerte sich um das Haus als geeignete Location und schon konnte Karin zusammen mit den Helfern loslegen. Waren sie zu Beginn noch zu siebt, engagieren sich seit September etwa 100 Ehrenamtliche.
Gruppenarbeit statt Einzelvortrag
...sondern auch Erwachsene.
Im HispI-Lernhaus steht kein normaler Frontalunterricht an der Tagesordnung, stattdessen gibt es Workshops, in denen gemeinsam Plakate erstellt oder über Themen wie Gleichberechtigung, Sexualität und Integration gesprochen wird. Der Unterricht ist klar strukturiert: am Morgen drücken die Kinder die Schulbank, um 15 Uhr die Jugendlichen bis 18 Jahre.
Als ich das HispI-Lernhaus verlasse, muss ich daran denken, wie wenig Lust ich selbst manchmal habe, einen ganzen Tag im Unterricht zu hocken. Hier im Flüchtlingsheim ist für viele der Unterricht eine gelungen Abwechslung im tristen Alltag und eine Chance, von der sie wissen, was sie ihnen bietet: ein neues Zuhause in Deutschland.
Text+Fotos: Marlon Jungjohann