Es ist ein grauer Novembertag in Berlin. Die Temperaturen schwanken um den Nullpunkt, ab und zu fallen ein paar Schneeflocken, so richtig hell wird es heute nicht. Trostlos so ein Tag, möchte man meinen. Doch Maike und Mohamad nutzen Stunden wie diese, um sich gegenseitig und die Stadt besser kennenzulernen und bringen so Licht in ihren Alltag.
Plötzlich Freunde
Maike und Mohamad bei einem gemeinsamen Ausflug.
Die 23-jährige Psychologiestudentin und der zwölfjährige Schüler, der vor einem dreiviertel Jahr mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland gekommen ist, haben sich über das Projekt „Fremde Freunde“ gefunden. Der Verein „Frecher Spatz“ hat es im Januar 2015 ins Leben gerufen und vermittelt seitdem Mentoren und Mentees aneinander. Die Mentoren sind junge Menschen über 18, meist Studierende, die Lust haben, sich für Geflüchtete zu engagieren. Sie treffen sich dann einmal in der Woche mit ihrem Mentee – junge Flüchtlinge zwischen sieben und 18 Jahren – und unternehmen etwas zusammen.
Maike und Mohamad haben schon viel miteinander erlebt, sie waren im Zoo und im Aquarium, gingen zusammen schwimmen, besuchten das Naturkundemuseum. Und manchmal gehen sie auch einfach nur spazieren und unterhalten sich. Das geht inzwischen ziemlich gut, da Mohamad in der Schule schnell Deutsch lernt und sogar schon eine Klasse überspringen konnte.
„Sowas wie Krieg kann ich mir nicht vorstellen“
Mohamad erzählt dann von seinem Alltag und der Schule, manchmal aber auch von seinen Erlebnissen auf der Reise nach Deutschland und von dem, wovor er und seine Familie in Syrien geflohen sind. Für Maike ist das sehr bewegend: „Das finde ich wahnsinnig bewundernswert, dass er das macht und kann!“
Gespräche wie diese verstärken ihr Verständnis für die aktuelle Situation. „Sonst ist das wirklich ein sehr abstraktes Bild und sowas wie Krieg kann ich mir nicht vorstellen.“ Auch mir wird in diesem Moment deutlich, dass ich mir kaum vor Augen halten kann, wie es wäre, unfreiwillig mein Land verlassen zu müssen. Umso wichtiger ist es, die Ankommenden willkommen zu heißen und ihnen eine Integration zu erleichtern. Das ist auch Maikes Anliegen: „Mir ist wichtig, ihm und der ganzen Familie zu vermitteln: Es gibt Leute, die freuen sich darauf, dass ihr an der Gesellschaft teilhaben könnt und wollt.“
Kennenlernen mit „Erste-Hilfe-Kit“
Dabei ist das Mentorenprogramm konkret für Leute ausgelegt, die sich nicht auf eine langfristige Patenschaft einlassen wollen oder können. Die Teams werden daher zunächst für drei Monate zusammengestellt. Wenn es gut geklappt hat und beide Zeit und Lust haben, geht es weiter. Viele bleiben länger als drei Monate zusammen“, weiß Sonja Maichl, eine Mitarbeiterin des Projekts.
„Das erste Modul von drei Monaten reicht meistens gerade, um sich kennenzulernen und eine Beziehung aufzubauen“. Die meisten Teams werden nicht einfach zusammengewürfelt, sondern nach Interessen, Zeit und Wohnort gewählt. Bevor es richtig losgeht, bekommen die Mentoren aber noch einen eintägigen Workshop. Dort lernen sie alles Wichtiges über den Umgang mit Kindern, speziell mit solchen, die traumatische Dinge erlebt haben. Aber auch Verhalten bei Unfällen und Kinderschutz werden thematisiert.
Das Projekt „Fremde Freunde“ will Vorurteile abbauen. Es geht uns um interkulturelle Verständigung, Willkommenskultur, respektvolles Miteinander und Toleranz. Dahinter steckt der Verein Frecher Spatz e.V. Wenn auch ihr helfen und mitmachen wollt, schaut doch mal auf der Website des Projekts vorbei.
Das größtes Hindernis ist oft noch die Sprache, aber auch hier hat der Verein vorgesorgt: „Als 'Erste-Hilfe-Kit' bekommen unsere Mentoren von uns ein Ohne-Wörter-Buch mit 600 Abbildungen zu allen Situationen des täglichen Lebens. So kann man sich ganz einfach darüber verständigen, was man zusammen unternehmen möchte“, meint Sonja.
Am Ende des Gesprächs gehe ich beschwingt nach Hause. Die Welt scheint mir ein besserer Ort als noch vor einer Stunde. Das verdanke ich Menschen wie Maike, die sich einen Ruck gegeben haben und über den großen Schatten der Unwissenheit gesprungen sind. Und wer weiß, vielleicht durchzuckt es mich ja auch eines Tages. Wünschen tue ich es mir insgeheim.
Text: Carolin Eyert
Teaser-Foto: Claudia Wehner
Foto: Carolin Eyert