Paprika, Kürbis, Lasagneplatten, Sahne, Tomaten, Zucchini, rote Linsen und Rucola – alles da. Es ist 20 Uhr, ich habe mich in Schale geschmissen, denn zum Abendessen erwarten meine Freunde Felix, Lisa und ich heute ganz besondere Gäste. Es zischt und brutzelt, gerade erst haben die Zwiebeln ihren Weg in die Pfanne gefunden, da klingelt es auch schon.
Kennenlernen à la carte
Das Menü steht.
Vor uns stehen Alkader (31), Alfares (34) und Mohamad (51) – drei Flüchtlinge aus Syrien. Momentan leben sie in Jena in einer Turnhalle zusammen mit knapp 200 anderen Geflüchteten auf Feldbetten. Das „Welcome Dinner“ ist für sie eine erfrischende Abwechslung zum Alltag in der Notunterkunft.
Während Lisa und Felix die Vorspeise vorbereiten und die Lasagne seelenruhig im Ofen vor sich hin kocht, mustern die drei Männer noch etwas schüchtern die Küche und nehmen Platz an dem kleinen ausgezogenen Tisch in unserer WG-Küche. Um das Eis langsam zu brechen, setze ich mich zu ihnen und versuche mit Händen und Füßen zu erklären, welches Menü sie heute erwartet.
Im Vorfeld gab es ein Formular, um für jeden Gastgeber die passenden Gäste finden zu können: Wann? Wie viele Gäste kann man bekochen? Welche Sprachen werden im Haushalt gesprochen? – diese Fragen sollte ich dafür beantworten.
Polizeigewalt in Ungarn
Alfares spricht zwar einige Brocken Englisch, besonders einfach ist das Kommunizieren anfangs trotzdem nicht. Dafür lachen sie viel, sind freundlich und zeigen mir mit Mimik und Gestik, dass ich ihnen heute eigentlich alles auftischen könnte. Syria – Turkey – Greece – Macedonia – Serbia – Hungary – Austria – Deutschland. Das ist die Route, die sie hinter sich gebracht haben. Die Strapazen sieht man ihnen glücklicherweise nicht mehr an.
Da zeigt Alfares uns plötzlich eine Zahnlücke. Ein Backenzahn fehlt, den habe ihn ein Polizist in Ungarn ausgeschlagen, als er sich weigerte, seine Fingerabdrücke zu Protokoll zu geben. Die Texte der Nachrichtensprecher fühlen sich auf einmal ganz nah an. In Syrien, genauer gesagt in Aleppo, war Alfares Physiklehrer, lebte mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern in einem Haus. Mittlerweile ist das alles Geschichte, seine Familie ist seit einem Jahr getrennt. Mittlerweile traut sich seine Frau nicht mehr aus dem Haus, weil der Krieg jeden Einkauf zur lebensgefährlichen Mutprobe macht. Mittlerweile hat Alfares gesehen, wie es ist, einen Freund auf der Flucht im Meer zu verlieren.
Gastgeberin sein als Privileg
Satt und zufrieden – Anhs „Welcome Dinner“ war ein voller
Erfolg.
Mir steckt ein Kloß im Hals. Ich möchte jetzt auch etwas von mir mit ihnen teilen, sonst fühle ich mich irgendwie schlecht. Ich eile in mein Zimmer und hole Fotos, die meine Familie zeigen. Ich fühle mich auf einmal so priviligiert: Hier zu sitzen, ihnen meine gesunden Eltern, Geschwister und Großeltern zu zeigen, die noch nie Hunger erleiden mussten. Im Gegenzug sehe ich auch Fotos aus der Vergangenheit meiner Gäste. Mohamad war früher viel unterwegs als erfolgreicher Ingenieur. Bilder aus Afrika mit seinen Angestellten zeugen von dieser glücklichen Zeit.
Auch Alkader zeigt uns Bilder seiner Familie und seinem Gesicht entweicht auf einmal diese leichte Spur von Nervosität. Er lächelt, als er uns seine Frau und und seine Kinder zeigen kann – und doch ist es ein trauriges Lächeln.
Ich spüre, wie das Eis langsam bricht und so bleiben die drei Männer nicht nur unsere Gäste, sondern greifen uns auch tatkräftig beim Kochen unter die Arme. Alkader war selbst Chefkoch, er schmeckt für uns Suppe und Dressing ab, während mir Alfares beim Anrichten der Lasagne behilflich ist. Die Bäuche knurren und das Essen ist serviert.
„Kari alddijaj“ mit den Habibis
Während des Essens ist es eher still. Ab und zu erkundigen wir mit Hilfe des Google-Translators nur, ob es unseren Gästen schmeckt. Außerdem bekommen wir einen kleinen Crashkurs in Arabisch, was das Essen betrifft. „Kari alddijaj“ heißt Hühnchencurry, eine Spezialität aus Syrien und das Leibgericht der drei Männer – da sind sie sich einig. Auch von „jarjir“ (Rucola) und „liamun“ (Zitrone) können sie nicht genug bekommen. Das gibt es in der Notunterkunft nicht. Das Essen dort sei ungenießbar. Wir lachen. Wenigstens gibt es heute einmal etwas Richtiges zu Essen.
Am Ende haben wir noch nicht einmal mehr Hunger auf unseren Schokoladennachtisch, so vollgestopft haben wir uns. Der Abschied steht an, aber nicht ohne ein Abschlussfoto! Das wollen die drei ihren Familien nach Syrien schicken. Jeden Tag schicken sie Sprachnachrichten nach Hause oder telefonieren per Skype mit ihrer Familie. Heute Abend können sie vom gemeinsamen Essen mit Lisa, Felix und mir erzählen.
Ihr wollt auch mal ein „Welcome Dinner“ veranstalten? Hier findet ihr die Homepage und das Kontaktformular für potentielle Gastgeber: Jena, Hamburg, Stuttgart.
Mohamad hat eine kleine Übersetzung vorbereitet und lässt die Googleübersetzerstimme noch einmal sprechen: „In Deutschland sind alle so höflich und lieb. Ihr seid fantastisch.“ Wir sind gerührt und bieten ihnen zur Verabschiedung eine Umarmung an. Freudig nehmen sie an und verpassen Lisa, Felix und mir auf jeder Seite noch ein Abschiedsküsschen. Immer wieder fällt das Wort „habibi“. Als wir wieder in der Wohnung sind, googlen wir schnell das Wort: „Habibi“ heißt Freund.
Text+Fotos: Anh Tran Thi