Krise der Randstaaten
Die ursprünglich ganz Europa betreffende Flüchtlingskrise hat sich mittlerweile zu einer Krise in den Randstaaten der Union verwandelt. Während in Deutschland und anderen mitteleuropäischen Ländern immer weniger Geflüchtete ankommen, konzentriert sich nun alles auf Griechenland und Italien.
War das der Plan des Abkommens? Der Vertrag zwischen der EU und der Türkei hatte vorgesehen, dass jeder Flüchtling, der in Griechenland illegal ankommt, direkt wieder in die Türkei geschickt werden muss. Wenn er jedoch nachweisen kann, dass die Türkei für ihn keinen sicheren Drittstaat darstellt, darf er auf der Insel bleiben, um Asyl in Griechenland zu beantragen. Laut einem Bericht der der Eu-Kommission vom 02.03.17 erfüllt der Deal seine Ziele bisher ganz gut. Zu diesen zählen die Beendigung der irregulären Migration von der Türkei in die EU, so wie die Schädigung des Schlepper-Geschäfts.
Klettergerüst auf dem Spielplatz des Community
Centers.
Brutale Abfangmanöver der türkischen Küstenwache
Tatsächlich ist die Zahl der Menschen, die illegal die Meerespassage zwischen der Türkei und der EU überqueren, stark gesunken. Erreichten in den Wochen vor dem Abkommen noch etwa 1750 Flüchtlinge täglich die griechischen Inseln, so waren es im April 2017 nur noch durchschnittlich 43 pro Tag. Somit ist die Zahl der in Griechenland strandenden Flüchtlinge um fast 98 Prozent gesunken.
Grund hierfür ist vor allem die türkische Küstenwache, die fast alle Boote abfängt, bevor sie die Seegrenze überqueren. Innerhalb der türkischen Hoheitsgewässer schicken sie die Menschen zurück. Teilweise gelingt es den Flüchtlingen erst beim fünften Versuch, in griechische Gewässer zu gelangen. Die türkische Küstenwache agiert bei den Abfangaktionen häufig sehr brutal. Im Internet kursieren Videos, die bezeugen, wie sie versucht, die Flüchtenden mit Eisenstangen zur Umkehr zu zwingen und wie Schlauchboote absichtlich zum kentern gebracht werden. So kommt es immer wieder vor, dass selbst schwangere Frauen starke Verletzungen davontragen, die im günstigsten Fall dann in Griechenland behandelt werden.
Mit dem Handy Menschenleben retten
Auch die Zahl der vermissten Personen, welche die Überfahrt nicht überleben ist seit dem EU-Türkei-Deal stark gesunken. Laut der EU-Kommission sind vom 1. April 2016 bis zum 23. Februar 2017 70 Menschen verunglückt. Im selben Zeitraum waren es 2015 und 2016 noch 1100 Menschen, welche die Überquerung nicht überlebten. Der Grund hierfür liegt vor allem an der besseren Kommunikation zwischen Flüchtenden und freiwilligen Helfern. „Ziel ist es, dass wir immer genau wissen, wo sich welches Boot gerade auf dem Weg nach Griechenland befindet“, erklärt der 29-jährige Mike, der vor vier Jahren selbst als Flüchtling nach Europa kam. Seinen Spitznamen hat er aus der Zeit, in der er als Übersetzer für amerikanische Soldaten arbeitete. Mike ist schlank und mittelgroß. Er verwandelt sich innerhalb von Sekunden vom Kindskopf zum ernsten, vom Leben gezeichneten Mann, sobald er über sein Herzensprojekt spricht. Der Iraqi hat mittlerweile in Deutschland Asyl bekommen, reist aber so oft es ihm sein Job als Security in einem Flüchtlingsheim ermöglicht nach Griechenland, um vor Ort zu helfen. Sein wichtigstes Werkzeug hierbei ist sein Handy, dass pausenlos Nachrichten per Whatsapp empfängt.
Mike agiert als Vermittler zwischen den Flüchtenden auf den Booten, den Helfergruppen an den Stränden der griechischen Inseln und der Küstenwache. Sein Job ist es, in Erfahrung zu bringen, wie viele Menschen auf einem Boot sind, wie groß der Anteil Frauen und Kindern ist und wo sie sich genau befinden. Diese Information gibt er an die Helfer weiter, die am Strand warten und sich somit auf die Ankunft der Menschen vorbereiten können. Sollte es unterwegs ein Problem geben, beispielsweise ein kaputter Motor oder etwa das drohende Kentern des Bootes, verständigen Mike und seine Kollegen die Küstenwache, welche dann meist rechtzeitig da ist, um die Menschen zu retten. So können viele Unglücke verhindert werden. Allerdings greift dieses System nicht immer. So ging beispielsweise am 24. April ein Schlauchboot mit 18 Flüchtlingen vor der Küste von Lesbos unter. Nur zwei Frauen konnten gerettet werden. 16 Menschen starben. „Das Problem war, dass wir von diesem Boot nichts wussten. Dann kommt häufig jede Hilfe zu spät“, erklärt Mike traurig. Obwohl er diese Arbeit schon seit Monaten macht, ist er alles andere als abgehärtet. Jedes mal, wenn etwas schief läuft, geht es ihm sehr nahe. „Manchmal beneide ich die Leute, die von dem allem hier keine Ahnung haben. Die ruhig schlafen können, während sich hier täglich eine Tragödie nach der anderen abspielt“.
Camp Moria. Es liegt zwischen Olivenhainen ein Paar Kilometer vom Meer entfernt. Foto: Laura Heinig
Ein roter Stempel, der das Verlassen der Insel verhindert
Sobald die Flüchtlinge auf Lesbos ankommen, bringt sie ein Bus in das Camp Moria. Dort werden sie ärztlich untersucht und registriert. Sie erhalten einen Ausweis, in dem ihr Name, ein Foto und eine Nummer steht. Zudem beinhaltet er einen roten Stempel, der signalisiert, dass sie zwar das Camp, jedoch nicht die Insel verlassen dürfen. Diesen Ausweis müssen sie ab sofort immer bei sich tragen, um bei den regelmäßigen Polizeikontrollen ihren Aufenthalt auf der Insel legitimieren zu können. Wenn sie Glück haben, erhalten sie relativ bald einen Termin für das erste Interview, in dem geklärt werden soll, ob sie direkt in die Türkei abgeschoben werden, oder ob es ihnen erlaubt ist, in Griechenland Asyl zu beantragen.
Laut dem EU-Türkei-Abkommen müssten eigentlich alle Migranten, die irregulär von der Türkei auf die griechischen Inseln übersetzen, in die Türkei abgeschoben werden. Allerdings bedürfen diese Rückführungen in jedem Einzelfall einer Zulässigkeitsprüfung. So wird mithilfe von Interviews geprüft, ob die Türkei für den jeweiligen Migranten wirklich einen sicheren Drittstaat darstellt, oder ob er dort Gewalt erfahren hat, bedroht oder verfolgt wurde.
„Die Interviews dauern meist vier bis sechs Stunden, in denen es ausschließlich um die Erfahrungen geht, die wir in der Türkei gemacht haben“, erklärt Amir, ein junger Mann aus Afghanistan, der fast jeden Tag das Community Center von swisscross.help besucht. Auf die Entscheidung der Behörden, ob sie vorerst in Griechenland bleiben können, müssen die Menschen oft monatelang warten.
Schlechte Organisation der Interviews
Wenn sie diesen ersten Schritt hinter sich haben und nicht zurückgeschickt werden, bekommen sie den nächsten Termin für ein weiteres Interview, bei dem es dann um die Fluchtursache geht. Dann soll entschieden werden, ob sie in Griechenland Asyl beantragen können. Ein großes Problem ist, dass es keine durchschnittliche Wartezeit gibt, an der sich die Menschen orientieren können. Bei manchen dauert der gesamte Prozess nur ein par Wochen, bei manchen über ein Jahr.
Häufig kommt es vor, dass der Asylbeantragende am entsprechenden Tag im zuständigen Büro anwesend ist, ihm dann aber mitgeteilt wird, dass sich der Termin verschoben hat. Manchmal wird als Grund das Fehlen eines Dolmetschers angegeben, meist wird gar kein Grund genannt. Milad, ein junger Afghane, wurde vier mal wieder zurückgeschickt, bevor eines seiner Interviews endlich stattfand. „Man ist jedes mal wahnsinnig aufgeregt, weil man weiß, wie viel von diesen Terminen abhängt. Es ist ernüchternd, wenn man immer wieder unverrichteter Dinge gehen muss“, schildert er.
Mangel an Fairness und Gründlichkeit in den Asylbüros
Auch das ECCHR (European Center for constitutional and human rights) ist mittlerweile auf die zahlreichen Unrechtmäßigkeiten, wie Fahrlässigkeit bei den Befragungen und Terminverschiebungen der Interviews aufmerksam geworden und prangert diese öffentlich an. Es beschuldigt vor allem das Europäische Unterstützungsbüro für Asylanfragen (engl. EASO), welches die griechische Asyl-Behörden, („Greek Asylum Service“), bei der Bearbeitung der Anträge unterstützt, indem es auch Interviews durchführt, dabei grundlegende Standards bezüglich Fairness zu missachten. Sie sollen die Flüchtlinge unnötig lange auf die Interviews warten lassen und in den Gesprächen oft nicht gründlich arbeiten. In dem Fallbericht des ECCHR, der diesen April erschien, heißt es: „Die Asylsuchenden haben keine Chance auf eine faire Anhörung und damit keine Möglichkeit, ihr Gesuch ausreichend darzulegen und zu begründen“.