Bereits zum fünften Mal in Folge versammeln sich in den Bergen Antalyas rund 300 Highliner aus der ganzen Welt, um eine der wohl adrenalingeladensten und imposantesten Versionen von Karneval zu feiern: den Türkischen Highline Karneval.
GRUND DER REISE: Highlinefestival Turkish Highline Carnival
DAUER: 10 Tage
DAS HABE ICH GELERNT: Wie wenig Politik mit den Menschen an sich zu tun hat.
Highlinen, das beudeutet das Laufen auf einer Slackline in schwindelerregenden Höhen, meist zwischen zwei Felsen. Ein hohes Maß an Balance, Konzentration und Koordination sind dafür unentbehrlich, vor allem, weil der Kopf in diesem Umfeld sein ganz eigenes Spiel spielt. An und für sich ist die gefühlte Gefahr aber rein psychisch, da man mit einem Klettergurt an der Highline gesichert ist. Gespräche zur Philosophie des Highlinens hört man an jeder Ecke.
Beim gemeinsamen Schwitzen, Lachen und Tanzen in den Bergen Antalyas landet man ganz unweigerlich schnell in einer Blase aus purer Glückseligkeit. Hier überwindet jeder nicht nur seine persönlichen Grenzen, sondern auch Staatsgrenzen und Herkunft sind auf einmal Ideen, die hier eigentlich keinen interessieren. Was zusammenschweißt, ist die Liebe zum Sport und der gewisse Wahnsinn, der in allen von uns steckt.
Foto: Dovi Zilber
Politik wirkt in diesem Umfeld realitätsfern, wenn man Menschen aus der Türkei, Russland, Deutschland, Amerika, dem Iran, Israel und vielen anderen Ländern zusammen am Feuer sitzen sieht. Realitätsflucht zur Annäherung an die eigentliche Realität. Doch diese Realitätsflucht bedeutet für uns alle etwas anderes. Während ich meine Freiheit von Uni und Job genieße, erzählt mir Gögce* aus Istanbul, dass sie diesen Tag das erste Mal klettern und Highlinen war. Als ich das anerkennend kommentiere, entgegnet sie: „Wenn du jeden Tag mit der Angst vor Terror konfrontiert bist, schüchtert dich so viel nicht mehr ein.“ Ich schlucke.
Doch man müsse sich seine Freiheit nehmen, auch wenn deine Umgebung sie dir immer weiter einschränken will, erklärt sie mir weiter. Ali* erzählt mir, dass er seit drei Jahren in der Türkei lebt, weil er aus Syrien vor dem Bürgerkrieg geflohen ist. Sein offizieller Aufenthaltstitel lässt seitdem auf sich warten, von einer Reise- oder Arbeitserlaubnis ganz zu schweigen. Während mir mit meiner deutschen Staatsbürgerschaft Tür und Tor zur Welt offen stehen, kann er legal noch nicht mal die Türkei verlassen. Das Gefühl der Absurdität von Politik wird immer größer. Seinen Optimismus lässt er sich dadurch trotzdem nicht nehmen. Er kämpft jeden Tag weiter. Nach einer Woche gelebter Utopie gehen alle zurück in ihre Normalität. Trotz all der Unterschiede, gibt dieses Festival allen ein großes Stück an Glück und Hoffnung mit. Faith in humanity restored.
*Name geändert
Text: Juliane Müller
Teaserbild: Lena Schulze