Was ist Rebellion? Was ist Protest? Wie entsteht beides und wie unterscheidet es sich? Lukas Gernand, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Passau, erklärte SPIESSER-Autorin Lisa, wie sich die Bedingungen für Protest verändert haben und wieso man nicht generell von einer „unpolitischen Generation” sprechen kann.
Lisa: Vor acht Jahren wurde der damals 93-jährige Stéphane Hessel zur Ikone für Protestbewegungen, als er in einem Essay die Jugend aufrief: „Empört euch!” Ich empöre mich immer wieder über Ungerechtigkeiten oder etwa Sexismus. Ist das schon Protest?
Lukas: Wenn man sich über irgendetwas aufregt oder sich beklagt, ist das streng wissenschaftlich gesehen kein Protest. Protest muss als kollektive Aktion stattfinden, das heißt Menschen müssen zusammenkommen und ihre Unzufriedenheit so ausdrücken, dass sie auch für andere Menschen sichtbar wird.
Lukas Gernand (33)
... ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Passau und gibt Seminare u. a. zur Soziologie sozialer Bewegungen und des Protests. Für seine Doktorarbeit forscht er zu den Protesten gegen die Sparpolitik in Griechenland. Als Schüler war Lukas linkspolitisch engagiert und demonstrierte in Berlin gegen den Irakkrieg. Heute versucht er zu verstehen, welche Probleme hinter Protesten stecken und welche Lösungen es geben könnte: „Protest ist zu häufig auf simple Gegnerschaft und einfache Problembearbeitung aus.“
Also Empörung auf der Straße?
Nicht unbedingt. Auch hinter den Kulissen werden viele Aktionen geplant, etwa über Hashtags wie #Metoo oder mit Online-Petitionen. Aber damit daraus eine Protestbewegung wird, müssen sich genügend Leute beteiligen. Gerade die neue Technologie und die sozialen Netzwerke haben es möglich gemacht, viele Leute zu mobilisieren. Menschen machen im Netz einen Treffpunkt aus und dann kommen auf ein Mal Tausende.
Was unterscheidet Protest von Rebellion?
Protest will bestimmte Entwicklungen oder Zustände verändern. Rebellion ist großflächig auf Umsturz aus, ist also grundsätzlich gegen ein ganzes System. Aus Protesten kann sich Rebellion entwickeln. Rebellion bedeutet, dass eine Gruppe bestimmte Institutionen tatsächlich gefährdet, und das passiert meistens mit Gewalt.
Wieso protestieren Menschen überhaupt?
Menschen protestieren, wenn sie unzufrieden sind und politisch etwas ins Rollen bringen wollen. Das kann bestimmte Konsumformen, Arbeitsbedingungen oder den Umgang mit Minderheiten, Tieren und der Umwelt betreffen. Dabei spielen Emotionen eine große Rolle und werden zu Mottos wie „Die Natur stirbt – wollt ihr auch noch Genmais?“ oder „Merkel muss weg“ gegen ein unbestimmtes So-geht‘s-nicht-weiter-Gefühl.
Welche Rolle spielt dabei die Jugend?
Protest war schon immer ein Jugendphänomen. Als junger Mensch ist man noch nicht gebunden durch Berufe und Erwartungen, man hat mehr persönliche Freiräume und kann sich das Protestieren eher leisten. Es gibt natürlich Ausnahmen, besonders bei emotionsgeladenen Themen. So wurde die Sparpolitik in Griechenland und Spanien von einer breiten Masse als unerhörter Eingriff in die nationale Freiheit verstanden. Die Gegner der aktuellen Flüchtlingspolitik sorgen sich um die eigene Identität oder Kultur und die Proteste gegen Fremdenfeindlichkeit appellieren an die Menschlichkeit. Es geht um etwas Grundlegendes. Da gehen eher alle Altersgruppen und sozialen Schichten auf die Straße.
Für seine Doktorarbeit forscht Lukas zu Anti-Austeritätsprotesten
(Proteste gegen die Sparpolitik) in Griechenland.
Protestieren junge Menschen heute anders als früher?
Eigentlich nicht. Demos, Kundgebungen und Sitzblockaden funktionieren nach wie vor. Protest ist im Gegensatz zu früher nur viel normaler geworden und ,,irritiert“ oft nur für einen kurzen Augenblick. Von der Occupy-Bewegung zur Zeit der Finanzkrise ist heute praktisch nichts mehr übriggeblieben. Schülerinnen und Schüler protestieren in den USA nach einem Amoklauf im Februar für striktere Waffengesetze. Grundsätzlich hat sich bisher trotzdem nichts verändert.
Aktionen müssen heute kreativer oder provokanter sein, um überhaupt Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Aktivistinnen von „Femen“ protestieren oben ohne und schaffen es in sämtliche Medien. Das „Zentrum für politische Schönheit“ verbindet Protest mit Kunst.
Über die Generation Y wird immer wieder gesagt, sie sei unpolitisch.
Das mag für die dominanten Themen, die in der Politik verhandelt werden, zutreffen – also Rente, Arbeitslosigkeit, Umverteilung oder Einwanderung. Zu diesen ‚,trockenen“ Dauerbrennern kann man viele Meinungen haben und endlos diskutieren. Es gibt – im Vergleich zur 68er-Bewegung etwa – viel mehr Möglichkeiten, wofür und wogegen man sich engagieren kann. Das kann junge Menschen auch überfordern. Deswegen würde ich aber nicht von einer ‚,unpolitischen Generation“ sprechen.
Text und Fotos: Lisa Pausch
Teaserbild: Lena Schulze
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