Sie sind nun schon fast ein Jahr als eine Hälfte von @doktorsex auf TikTok aktiv. Wie kam es dazu?
TikTok hat damals dieses Programm #LernenMitTikTok gestartet und die wollten gern auch einen Aufklärungskanal integrieren und etablieren. So wurde ich dann dafür angefragt. Ich habe mir das dann überlegt und bin zu dem Entschluss gekommen, dass sowas bei uns in Deutschland tatsächlich fehlt. Ich habe aber direkt gesagt, dass ich ja Frauenärztin bin und entsprechend der Part für die Fragen der Jungs fehlen würde. Darum habe ich meinen Kollegen Volker Wittkamp angesprochen, ob er da mitmachen würde. Volker und ich kannten uns schon von dem RTL ZWEI-Format „Die Sex-Klinik“, bei dem wir als Experten mitgewirkt haben. Ja, und deswegen machen wir das jetzt gemeinsam.
Warum ist es Ihnen so wichtig, ihr Wissen über die sozialen Medien zu teilen? Als Frauenärztin mit eigener Praxis, benötigen Sie doch sicher keine Werbung?
Nein, ich habe wirklich genug zu tun. (lacht) Aber mir ist eben aufgefallen, dass die Aufklärungssituation in Deutschland mangelhaft ist. Wir selbst sind damals groß geworden mit „Doktor Sommer“ und den Jugendlichen heute fehlt sowas – jemand, an den sie sich bei Fragen wenden können. Und ich kenne das ja von meinen eigenen Kindern: Mir hören sie nicht zu und ein Buch lesen, wollen sie auch nicht – aber TikTok gucken sie. Und da dachte ich, es gibt eigentlich kein besseres Mittel, die Jugendlichen zu erreichen, als über diese Plattform.
Ihre Videos sind ja tatsächlich vom ersten an millionenfach angesehen worden – hatten sie damals mit einem solchen Erfolg gerechnet?
Ich denke, keiner von uns hat ahnen können, dass unser Kanal so schnell so explodiert. Also wir hatten schon das Gefühl, dass das gut wird – einfach, weil wir von Anfang an mit vollem Elan dabei waren und das Gefühl hatten, dass es sehr viele Themen gibt. Aber dass @doktorsex dann so schnell durch die Decke geht, damit hat keiner gerechnet. (lacht)
Warum kommen die @doktorsex-Inhalte Ihrer Meinung nach gerade auf TikTok so gut an?
TikTok bietet eben diese kleinen Info-Snacks für zwischendurch. Und neulich hat mir jemand gesagt, wenn man einfach mal eine Frage hat, wie zum Beispiel „Warum habe ich Zwischenblutungen, obwohl ich die Pille nehme?“ – dann schauen mittlerweile viele erst einmal auf unseren Kanal, ob wir schon ein passendes Video zu diesem Thema gemacht haben. Wenn sie da eine Antwort finden, dann reicht ihnen das erstmal und sie fragen vielleicht nicht den Frauenarzt. Also für so kleinere Unsicherheiten zwischendurch sind unsere Videos für die Jugendlichen sehr hilfreich.
Ich glaube, es liegt zusätzlich an dem Medium TikTok selbst, dass unsere Inhalte gut funktionieren und an unserer Ansprache in den Videos. Sie machen Spaß – weil wir selbst auch Spaß haben, wenn wir die Videos erstellen und unsere Ideen da einbringen. Wir haben da ja künstlerische Freiheit ohne Ende.
Wie kommen Sie denn konkret auf Ihre Themen?
Wir nehmen zum Teil Fragen der User auf. Ich selbst nehme auch Fragen aus meinem Praxisalltag auf – Dinge, die mir auffallen, die immer wieder aufkommen, Unsicherheiten von Patientinnen, die sich nie ganz beerdigen lassen. Aber wir thematisieren auch Mythen aus dem Internet, die nicht tot zu kriegen sind. Und damit haben wir tatsächlich jede Menge Stoff für unsere Videos. (lacht)
Aber die Inhalte erstellen Sie beide komplett selbst? Ihr Kanal wird ja gesponsert.
Ja, tatsächlich wird der Kanal seit Februar dieses Jahres (2021, Anm. d. Red.) von der DAK gesponsert. Zuvor hat ihn TikTok selbst gesponsert. Aber die Themen und die Ideen erstellen Volker und ich selbständig und wir müssen da niemanden großartig um Erlaubnis bitten oder so etwas.
Was sagt Ihr persönliches und auch kollegiales Umfeld dazu, dass Sie nun so in der Öffentlichkeit stehen?
Also meine Kinder sind da eigentlich ganz stolz drauf. Ansonsten kennen das viele Erwachsene gar nicht. Aber ich werde natürlich auch ab und an von Patientinnen angesprochen, die die Videos gesehen haben und super finden. Und im Kollegenkreis wissen es die meisten gar nicht – wahrscheinlich auch nicht, dass es TikTok überhaupt gibt. (lacht) Ich glaube bis jetzt hält man sich als Gynäkologe erstmal dezent zurück, was mich anbelangt.
Sie sind ja auch schon in der ein oder anderen Talk-Show zu Gast gewesen und als Expertin auf Ihrem Gebiet durchaus bekannt – wie hat das alles angefangen?
Aktiv bin ich in Medien seit etwa 2017. Damals fing ich an mit sporadischen Fernseh-Auftritten und das wurde dann immer mehr – inzwischen bin ich auch in größeren Produktionen von öffentlich-rechtlichen Sendern dabei. Das ist schön.
Angefangen hat das eigentlich durch Zufall: Ich war auf einer Fortbildung auf Mallorca und habe dort eine ganz tolle Hautärztin kennengelernt. Wir haben uns dann intensiv über Wechseljahre und Hormone und sowas ausgetauscht und irgendwann meinte sie zu mir: „Weißt du Sheila, du erklärst das alles so genial. Ich habe da eine Freundin, die bei der Zeitschrift Freundin arbeitet und dringend jemanden sucht, um einen Artikel zu schreiben.“ Diese Redakteurin habe ich dann damals tatsächlich kennengelernt und dann kannte man mich im BurdaVerlag, der die Zeitschrift rausbringt. Und von dort aus folgen dann immer weitere Projekte.
Ich habe selbst gemerkt, dass seit dem Tod von Erika Berger, einer Aufklärerin der 80er und 90er, eine Lücke in Deutschland entstanden ist. Es fehlt jemand, der sich hinsetzt und einfach mal über diese Themen redet und es schafft, die Balance zu halten zwischen Professionalität und Verständlichkeit – ohne zu fachlich oder ordinär zu werden.
Sehen Sie sich selbst als Influencer?
Also für mich ist ein Influencer jemand, der einfach nur berühmt ist, weil er berühmt ist. Und der dann seine Reichweite nutzt, um irgendwelche Energy-Drinks oder Turnschuhe oder sowas zu promoten. Also nein, ich sehe mich nicht als Influencer. Ich bin eine Aufklärungsmissionarin.
Natürlich bekommen auch wir Anfragen, um Produkte zu bewerben oder dergleichen, aber das ist nicht unser Ziel. Unser Ziel ist es, Informationen rauszubringen und so viele Leute wie möglich aufzuklären.
Ich finde, man muss schon jemand sein, bevor man in die Medien kommt, denn dann hat man auch immer etwas Interessantes beizutragen. Aber, wenn man sich wie typische Influencer nur darüber identifiziert, dass man in den Medien präsent ist, ist das schnell eine abgebrannte Nummer, denke ich.
Ihr Fachwissen ist also ein Vorteil für Ihren Kanal?
Oh ja. Es gibt natürlich jede Menge Leute, die über Instagram und andere Kanäle, gerne aufklären wollen, aber denen fehlt meistens der nötige Background. Also der fachliche Hintergrund und auch die Erfahrung. Also ich habe ja selbst mittlerweile fast 25 Jahre Erfahrung in meinem Fachgebiet auf dem Buckel und das ist ein nicht endender Quell von Informationen, die man weitergeben kann. Das hat man nicht, wenn man 20 Jahre alt ist und über die Vulva aufklären will. Das funktioniert so nicht.
Ganz ähnlich ist das ja zum Beispiel bei unserem TikTok-Kollegen Herr Anwalt. Wenn TikTok mal zumacht, ist er immer noch Anwalt.
Wie beeinflusst Ihr Influencer-Dasein Ihren Alltag?
Tatsächlich weniger als man meinen würde. Also erst vor Kurzem wurde ich das erste Mal auf der Straße angesprochen. Die wenigsten rechnen wohl damit, dass die Frau deren TikTok-Video sie gerade im Bus gesehen haben, tatsächlich mit im Bus saß. (lacht) Aber klar, meine Patientinnen sprechen mich natürlich ab und an darauf an. Dann spricht man da mal eine Minute drüber und dann ist man wieder Arzt und Patient.
Welches Potenzial schlummert Ihrer Meinung nach noch in sozialen Netzwerken in Bezug auf Bildungsinhalte?
Das wird noch weiter wachsen. Unbedingt. Ich glaube, dass die meisten Leute sich einfach mehr und mehr online bei sozialen Medien informieren werden. Ich glaube auch, dass das gedruckte Blatt an Bedeutung verlieren wird – zu meinem Leidwesen. Ich mag Bücher, aber in Zukunft ist es schlicht einfacher zu gucken, wer kann mir da online was beibringen. Kein Weg ist da schneller, direkter und unbürokratischer als die sozialen Medien.
Warum sind Sie überhaupt Frauenärztin geworden? War das schon immer Ihre Wunschfachrichtung?
Also, als ich noch in der Schule war, habe ich mich mal gefragt: Wenn du eine Ärztin wärst, was für eine Art Ärztin wärst du gern? Ich habe mich nicht als Hausarzt gesehen und auch nicht als Chirurg oder Notarzt. Aber ich habe mich gesehen als eine Frau mit einer Praxis, die anderen Frauen hilft. Tatsächlich war ich da noch nicht unbedingt bei der Fachrichtung Gynäkologie, weil ich selbst eher schlechte Erfahrungen in dem Bereich gemacht hatte.
Im Studium hatte ich dann mein erstes Praktikum in der inneren Medizin und ich fand es ganz entsetzlich. Um mich im Krankenhaus etwas abzuseilen, bin ich herumgelaufen und immer wieder um den Kreißsaal und die Gynäkologie herumgeschwebt. Ich war einfach neugierig und habe schnell gemerkt: Das ist es, was du machen willst. Ich habe es ausprobiert und mich dann stehenden Fußes in diesen Beruf verliebt.
Sex, Verhütung und gerade auch Geschlechtskrankheiten sind ja gerade für junge Erwachsene sehr schambehaftete Themen – wie nehmen Sie ihren Patientinnen die Sorge, nicht offen sprechen zu können?
Ich denke das funktioniert gut, weil sie merken, dass uns selbst das nicht peinlich ist – also mir und meinem Team. Also wir reden ganz locker flockig über alles. Wenn die Patienten dann merken, dass unsere Praxis so eine Art „Safe Space“ ist, wo niemandem was peinlich ist, dann fühlen die sich auch sehr animiert dazu, über ihre eigenen Probleme zu sprechen.
Und war Ärztin auch schon ihr Berufswunsch, als sie noch ein Kind waren?
Nein, nicht so wirklich. Damals war ich eher so der Performer. Also mit Theater spielen, Auftritte haben und sowas. Und diese Ader ist jetzt doch ganz gut durchgekommen. (lacht) So kann ich durch meine Präsenz in den Medien, meinen Beruf als Frauenärztin und mein Rampensau-Gen gut kombinieren.
Text/Fragen: Tabea Grünert
Foto: ©Gaby Gerster/laif